Argentinien im Eck: "Erpressung durch Geierfonds"

Die Spätfolgen der Pleite von 2001: Warum Argentinien erneut an den Rand des Bankrotts gerät. Und welche Lehren das für Österreich und die Hypo-Alpe-Adria parat hält.

Warum ist Argentinien so in der Zwickmühle?

Wieder einmal zeigt sich: Staatspleiten laufen nur sehr selten friedlich und geordnet ab. Das jüngste Gerichtsurteil in den USA ist eine Spätfolge des argentinischen Bankrotts von 2001. Damals konnte der südamerikanische Staat 95 Milliarden Dollar an Anleihen nicht zurückzahlen. Nach jahrelangem Tauziehen einigten sich die „Gauchos“ 2005 und 2010 mit 92 Prozent ihrer Geldgeber auf einen Schuldenschnitt: Die große Mehrheit der Gläubiger akzeptierte einen Anleihentausch und verzichtete auf rund zwei Drittel ihrer Ansprüche. Eine kleine Gruppe von Hedgefonds ließ es aber darauf ankommen und verweigerte den „Haircut“. Zwei Fonds forderten vor Gericht die komplette Rückzahlung ihrer Anleihen ein. Am Montag gab ihnen der Oberste US-Gerichtshof recht. Die Republik Argentinien muss ihnen 1,3 Milliarden US-Dollar auszahlen und obendrein alle Gläubiger gleich behandeln.

Warum wurde überhaupt in den USA verhandelt?

Weil die betroffenen argentinischen Staatsanleihen ursprünglich in US-Dollar ausgegeben worden waren. Und weil in ihnen spezielle Klauseln fehlten („Collective Actions Clauses“), wonach eine Entscheidung, die eine Mehrheit der Gläubiger trifft, für alle gilt. Diese Kollektivklauseln wurden im Zuge der Griechenland-Teilpleite zum Thema und sind seit 2013 standardmäßig in europäischen Staatsanleihen enthalten.

Geht Argentinien nach 2001 jetzt wieder pleite?

Nein, versicherte Staatspräsidentin Cristina Kirchner de Fernandez am Montagabend via TV-Ansprache: „Argentinien wird seine Verpflichtungen einhalten, das kann ich den 92 Prozent unserer Gläubiger versichern.“ Gemeint sind jene Geldgeber, die 2008 dem Schuldenschnitt zugestimmt haben. Allerdings könnten auch sie jetzt auf eine vollständige Rückzahlung pochen. Kirchner selbst erwähnte einen möglichen Gesamtbetrag von 15 Milliarden Dollar.

Wie wird Argentinien nun reagieren?

Realistisch betrachtet hat Argentinien nur eine Option: Es muss sich mit den aufsässigen Geldgebern – den „Geierfonds“, wie sie Kirchner nennt - einigen und ihnen bis Ende Juni die vom Gericht zugesprochenen 1,3 Milliarden Dollar auszahlen. Das für Kirchner eine politische Niederlage. Finanziell wäre es vermutlich machbar, aber schmerzhaft. Argentinien hängt in einer tiefen finanziellen Krise, die Währungsreserven sind beim Versuch, die Landeswährung Peso zu stützen, rasant dahingeschmolzen. Nach den jüngsten Angaben verfügt die Zentralbank gerade noch über 29 Milliarden Dollar an Fremdwährungen. Auf eine rasche Verhandlungslösung deutete das erste TV-Statement der Präsidentin freilich nicht hin. Man werde nicht der „Erpressung“ nachgeben, so Kirchner wortwörtlich.

Was, wenn es keine Einigung gibt?

Dann dürfte Argentinien laut Urteil auch die 92 Prozent „braven“ Gläubiger nicht auszahlen. Viel Zeit bleibt nicht für Verhandlungen. Schon am 30. Juni ist die nächste Zahlung fällig. Wenn Argentinien diese nicht bedient, wäre die nächste Staatspleite die Folge. Dabei muss das Land erst noch mühsam das Vertrauen der Märkte zurückgewinnen. Mit den staatlichen Kreditgebern hatte Wirtschaftsminister Axel Kicillof erst im Mai 2014 eine Lösung (im „Pariser Club“) gefunden und einen Rückzahlungsplan aufgesetzt. Hier ging es um 9,7 Milliarden US-Dollar.

Wer sind die Fonds, die Argentinien vor Gericht gezerrt haben?

Es sind Fonds, die auf Rechtsstreitigkeiten mit Staaten spezialisiert sind – namentlich NML Capital und Aurelius Management. Dahinter steht unter anderem die berüchtigte Elliott Management Corp. von Hedgefund-Manager Paul Singer. Argentinien behauptet, NML habe die Anleihen um nur 48 Millionen Dollar aufgekauft und würde jetzt 832 Millionen, also das 17-fache, einfordern.

Wie könnten die Gläubiger sonst noch an ihr Geld kommen?

US-Hedgefonds sind nicht zimperlich, wenn es um ihre Ansprüche geht. Das Gericht sprach den Klägern obendrein das Recht zu, Auskunft über Besitztümer des argentinischen Staates in den USA zu bekommen. Damit könnten sie den „Kuckuck“ auf diese kleben lassen – diese also pfänden. NML Capital ließ im Vorjahr bereits ein argentinisches Marineschiff vor der Küste von Ghana beschlagnahmen.

Wie sind die Reaktionen auf das Urteil?

Die internationale Entwicklungshilfeorganisation Jubilee, die sich für einen Schuldennachlass für arme Staaten einsetzt, ist entsetzt: Das Urteil belohne Spekulanten und bestrafe die Mehrheit der Gläubiger, die sich konstruktiv verhalten habe. Auch Kirchner sprach in ihrer TV-Rede von einer fatalen Signalwirkung: „Wenn dieses Verhandlungsmuster Schule macht, wird das zu unvorstellbaren Tragödien führen.“

Wie reagieren die Märkte?

Die Turbulenzen sind groß: Der argentinische Börsenindex Merval 25 brach am Montag um mehr als 10 Prozent ein. Die staatlichen Anleiherenditen kletterten über 11 Prozent, den höchsten Wert eines entwickelten Schwellenlandes nach Venezula. Die Zinskosten sind allerdings eher theoretisch: Eine Kreditaufnahme ist für den Staat Argentinien momentan ohnehin faktisch unmöglich. Für Unternehmen und Provinzen könnte die Lage noch ungemütlicher werden.

Hat der Fall Argentinien eine Lehre für Österreich und die Hypo-Gläubiger parat?

In einem Punkt sind die Fälle vergleichbar. Die Lehre lautet: Wer Gläubiger rasiert, ohne sich vorher intensiv um eine mehr oder minder gütliche oder freiwillige Einigung (wie im Fall Griechenland) zu bemühen, muss mit gerichtlichen Folgen rechnen. So könnten auch Österreich bzw. Kärnten Prozesse drohen, warnen Finanzexperten. Und zwar dann, wenn sich Kläger finden, die auf die Einhaltung der Landeshaftung bei den nachrangigen Hypo-Alpe-Adria-Anleihen pochen. Oder auf die Gleichbehandlung aller Gläubiger. Er könne sich gut vorstellen, dass aggressive US-Fonds wie die genannten Elliott Associates auf die Idee kommen, die nachrangigen Hypo-Anleihen mit Abschlag aufzukaufen und die Rückzahlung vor Gericht auszustreiten, hat Hendrik Leber, Chef des Vermögensverwalters ACATIS, kürzlich zum KURIER gesagt. Die Frage ist, ob das Volumen attraktiv genug wäre. Und vor einem österreichischen Gericht wären die Voraussetzungen wohl andere, als sie Argentinien in den USA vorgefunden hat.

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