"Die fetten Jahre werden nicht wiederkehren"

Andreas Treichl: "Wir stehen jetzt so da, dass nicht nur Draghi und die Kontrollore, sondern vor allem die Aktionäre zufrieden sind."
Im Interview mit dem KURIER erklärt der Boss der Erste Group, warum er den Konzern einer Großwäsche unterzieht, dadurch einen Riesenverlust baut und warum die nächsten Jahre besser werden.

KURIER: Die Bank Austria hat die Firmenwerte ihrer Töchter in Osteuropa schon vor Monaten auf null gestellt. Waren Sie damals zu feig dazu?

Andreas Treichl: Ha, das ist eine gemeine Frage. Aber man kann so was nicht aus der Hüfte schießen. Da geht es um zwei Dinge: zum einen um den Wunsch der rumänischen Notenbank an die Banken, non performing loans abzubauen (faule Kredite müssen im Vorfeld des Banken-Stresstests bereinigt werden, Anm.).

Durch Zwangsverkäufe?

Nein, das nicht. Durch verkaufen oder wertberichtigen.

Und das Zweite?

Das ist eine Aktion der ungarischen Regierung. Die fordert unter anderem andere Wechselkurse und eine Rücknahme von Gebührenerhöhungen bei Fremdwährungskrediten. Wir haben damit auf Dinge reagiert, die erst in den letzten Wochen sichtbar geworden sind.

Wie steht es jetzt um die rumänische Tochter BCR?

Wir haben hier noch 800 Millionen Euro Firmenwert, die werden wir abschreiben.

War’s das jetzt?

Ich glaube, wir haben alles in unserer Macht stehende getan, damit es in den Jahren ab 2015 keine Überraschungen mehr geben kann.

Damit EZB-Chef und Banken-Oberaufseher Mario Draghi zufrieden mit Ihnen ist?

Wir stehen jetzt so da, dass nicht nur Draghi und die Kontrollore zufrieden sind, sondern vor allem die Aktionäre.

Apropos Aktionäre. Sie haben den erwarteten Rekordverlust von bis zu 1,6 Milliarden Euro am Donnerstag nach Börsenschluss verlautbart. Der Kurs der Erste-Aktie ist aber schon untertags, gegen den Börsentrend, um zwei Prozent gefallen. Waren da Insider unterwegs?

Der Kursverlust hat mich auch gewundert. Aber wir haben extrem strenge Compliance-Regeln. Wir schauen uns das an, aber von uns kann eigentlich nichts nach außen gegangen sein.

Rumänien soll heuer ein Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent schaffen – viel besser als im Westen. Warum haben Sie dort so viele faule Kredite?

Wir haben die BCR damals vom Staat gekauft. Ein großer Brocken an Kreditnehmern entfällt daher auf Gebietskörperschaften und die lokale Wirtschaft. Die profitieren nicht so sehr von der exportorientierten Konjunktur. Wir sind dort aber auch eine große Retailbank. Und dort kommt das Kreditwachstum erst ein bisschen.

Hat sich der Traum Osteuropa zu einem Albtraum entwickelt?

Das glaub’ ich gar nicht. Wir hatten eine extrem schwierige Phase. 2008 bis 2014 waren schlechte Jahre, davor war es extrem gut. Mit den Abschreibungen haben wir jetzt die Vergangenheit aufgeräumt.

Erwarten Sie fette Jahre?

Nein, die fetten Jahren werden nicht wiederkehren. Aber bessere Jahre. Ich hoffe, dass die Region ihr Potenzial ausschöpfen kann.

Sie haben selber schon einmal gesagt, dass Sie die BCR zu teuer gekauft haben. Muss man im Rückblick nicht sagen, dass die Bank einfach sündteuer war?

2006 war die BCR mit einem fünffachen Buchwert extrem teuer. Aber die Erste hat damals mit dem dreieinhalbfachen Buchwert notiert. Das war im Verhältnis also gar nicht so teuer. Ich bin noch immer überzeugt, dass es der richtige Schritt war. Rumänien ist der zweitgrößte Markt in der Region und extrem wichtig.

Die Erste muss wie alle anderen Banken sparen. Werden Filialen in Österreich zugesperrt?

Wir sparen konstant und arbeiten am Vertriebskonzept. Dafür werden wir von Analysten auch immer wieder gelobt.

Aktionären wird für heuer die Dividende gestrichen. Werden Sie einen Bonus bekommen?

Sicher nicht. Das wäre ja völlig absurd.

Schon am Donnerstag, vor Ankündigung des 1,6-Milliarden-Verlusts der Erste Group, war die Erste-Aktie um zwei Prozent gefallen. Und das, obwohl der Leitindex ATX um 0,48 Prozent gestiegen war. Diese Bewegung wundert nicht nur Erste-Chef Andreas Treichl (siehe Interview), sondern auch die Finanzmarktaufsicht (FMA). Sie wird diese Entwicklung und die Tatsache, dass die Erste-Aktie am Donnerstag das meistgehandelte Papier in Wien war, unter die Lupe nehmen.

"Die fetten Jahre werden nicht wiederkehren"
So richtig schlimm wurde es für die Erste-Aktie aber erst am Freitag. Der Kurs rasselte bis zum Nachmittag um fast 16 Prozent in den Keller. Diese Talfahrt erwies sich auch für den ATX als Mühlstein – der Index verlor 3,3 Prozent. Auch deshalb, weil ein anderer schwer gewichteter Bankenwert, die Aktie der Raiffeisen Bank International, fast fünf Prozent einbüßte. Unter dem Kurseinbruch der Erste Group litten aber auch andere europäische Banktitel.

Am Freitag senkten die Analysten einiger Bankhäuser die Kursziele für die Erste-Group-Aktie: JP Morgan von 30 auf 21 Euro, UBS von 26,50 auf 25 Euro, Credit Suisse von 30 auf 26,37 Euro und Barclays von 28 auf 21,40 Euro. Die Kursziele schätzen diese Analysten zwar unterschiedlich ein, bei einem sind sie sich aber doch einig: 2014 wird es für die Erste einen Riesenverlust und für die Aktionäre keine Dividende geben. Für die beiden Folgejahre erwarten sie aber wieder Konzerngewinne und auch wieder Ausschüttungen an die Anleger.

Vor gut zehn Jahren noch galt für Österreichs Banken, Versicherungen, Energiekonzerne und die Industrie nur eine Strategie: Expansion nach Mittel- und Osteuropa. Die Wirtschaft dieser Länder boomte, der Nachholbedarf der Bevölkerung war enorm. Sie brauchten Bankkonten, Kredite, Versicherungen, eine gute Energieversorgung.

Doch der Aufschwung ist langsamer, die Arbeitslosigkeit höher als gedacht, die Finanzkrise des Westens zog den Osten mit. Und die Ost-Politik reagierte diktatorisch.
Die Erste Group muss nun wegen hoher Abschreibungen für ihre Rumänien- und Ungarn-Töchter einen Rekordverlust von 1,6 Milliarden Euro verkraften. Die Bank Austria hat den Schnitt im Ostgeschäft schon Ende 2013 gesetzt und das Jahr mit einem Minus von ebenfalls 1,6 Milliarden Euro abgeschlossen. Der NÖ-Energieversorger EVN hat vergangenen Mittwoch angekündigt, dass wegen hoher Abschreibungen in Bulgarien und Mazedonien heuer mit einem Verlust zu rechnen sei. Auch das Versicherungsunternehmen Vienna Insurance musste 100 Millionen Euro in Rumänien in Wertberichtigungen stecken.

Die Hauptgründe für den Absturz im Osten

Zu teuer gekauft

Die Erste Group hat die rumänische Großbank BCR Ende 2005 um fast vier Milliarden Euro gekauft – in etwa zum fünffachen Buchwert. Heute können Banken nicht einmal mehr zum Buchwert veräußert werden. Dazwischen lag die Finanzkrise, die die Werte von Banken drastisch reduziert hat. Die Erste Group hat den Firmenwert ihrer – aus heutiger Sicht – viel zu teuer gekauften Rumänien-Tochter auf null abgeschrieben.

Die Raiffeisen Bank International steht vergleichsweise besser da, weil sie die meisten Ost-Töchter selbst aufgebaut und wenig zukauft hat. Die größten Firmenwerte in der RBI-Bilanz sind die Polen-Tochter mit 198 Millionen Euro und die Russland-Bank mit 236 Millionen Euro. „Aufgrund unserer diversifizierten Risikostruktur in Zentral- und Osteuropa sind wir robust aufgestellt“, betont RBI-Chef Karl Sevelda.

Zu teuer war wohl auch der Kauf der bulgarischen Stromversorgung durch die EVN für 310 Millionen Euro.

Staatliche Eingriffe

Die ungarische Regierung hat den Banken nicht nur die europaweit höchste Bankensteuer aufgebrummt, sondern auch beinharte Eingriffe vollzogen. Die Banken mussten Fremdwährungskredite zu vorgeschriebenen, für die Kunden günstigen Wechselkursen in Forint-Kredite tauschen.

Am Freitag hat das ungarische Parlament zudem beschlossen, dass die Banken den Fremdwährungskreditnehmern Geld zurück zahlen müssen, weil sie ihnen einen schlechten Einstiegskurs und zu hohe Zinsen verrechnet hätten.

Die Erste Group kostet allein das 300 Millionen Euro. Die EVN leidet in Bulgarien unter dem staatlichen Strompreisdiktat.

Kreditausfälle

Die schwächere Konjunktur der Ost-Länder stürzte viele Kreditnehmer in Probleme. Bis zu einem Drittel der Bankkredite in Ungarn und Rumänien werden schleppend oder gar nicht bedient. Die Erste Group musste ihre Kreditvorsorgen für beide Länder um 700 Millionen Euro aufstocken.

Stresstests

Die Europäische Aufsicht durchleuchtet derzeit alle Vermögenswerte der Banken und betrachtet vor allem das Ost-Risiko. In sogenannten Stresstests werden die Überlebenschancen der Banken bei einer schweren Krise geprüft. Mit dem Bilanzputz bereiten sich Erste Group und Bank Austria auf diese Tests vor.

"Die fetten Jahre werden nicht wiederkehren"

Abschreibung

Im betrieblichen Rechnungswesen wird mittels Abschreibung die Wertminderung von Vermögensgegenständen verbucht. Die Abschreibung drückt einerseits den natürlichen Verschleiß aus, andererseits müssen die Werte von Tochterfirmen, die zu teuer gekauft wurden, über außerordentliche Abschreibungen verringert werden. Wertberichtigung ist ein anderes Wort dafür.

Non-performing loans

Kredite an Kunden, die mit Zinsen und Tilgungen mehr als 90 Tage im Rückstand sind, gelten als „non-performing loans“ (NPL). Für diese Kredite müssen die Banken in den Bilanzen für den Fall eines Totalausfalls Vorsorgen treffen. NPL können also vorübergehende Kreditrückstände sein oder auch wirklich uneinbringliche Kredite.

Firmenwert

Das ist jener Wert, der beim Kauf eines Unternehmens den Buchwert – das ist das Eigenkapital zum Bilanzstichtag – übersteigt. Der Firmenwert wird oft auch als „good will“ bezeichnet.

Risikokosten

Das sind erwartete Verluste, die Banken aus vergebenen Krediten erwarten. Die Risikokosten vermindern den Reingewinn aus dem eigentlichen Bankgeschäft. Risikokosten werden zu tatsächlichen Kosten, sobald der als riskant eingestufte Kredit tatsächlich ausfällt. Passiert dies nicht, können Risikokosten auch wieder reduziert werden.

Stresstest

Die Europäische Zentralbank und die Europäische Bankenaufsicht prüfen heuer knapp 130 europäische Großbanken, darunter sechs österreichische Institute, auf ihre Krisenfestigkeit. Dabei wird analysiert, ob die Banken im Fall eines dramatischen Konjunktureinbruchs überlebensfähig sind. Derzeit bereiten sich alle Großbanken auf diesen Test vor, indem sie Risiken in ihren Bilanzen reduzieren. Sie werten Beteiligungen ab, verkaufen Tochterfirmen und stocken ihr Eigenkapital auf, um krisensicherer zu werden.

Kommentare