Pro Monat kommen derzeit 800 bis 900 neue Asylberechtigte zum AMS, vor allem gering qualifizierte junge Syrer. Um sie arbeitsmarktfit zu machen, startet im Herbst die wohl größte Ausbildungsoffensive für Flüchtlinge, erläutert AMS-Wien-Chef Winfried Göschl dem KURIER.
KURIER: In Wien stieg die Arbeitslosigkeit mit 10 Prozent zuletzt stärker als im Österreich-Schnitt. Wie geht es weiter?
Winfried Göschl: Schwer zu sagen. Das wird vom Verhalten der Betriebe abhängen, wie sehr sie auf die Stagnation mit Kündigungen reagieren. An einen zweistelligen Anstieg im Gesamtjahr glaube ich persönlich aber nicht, es wird sich eher bei 7 bis 8 Prozent einpendeln oder sogar leicht zurückgehen.
Auffällig ist die hohe Arbeitslosigkeit im Gesundheits- und Sozialsektor, wo dringend Personal gesucht wird. Warum ist das so?
Wir bilden sehr viele Menschen in dem Bereich aus, was sich auf die Statistik auswirkt. Viele Menschen wollen aber auch den Gesundheitsbereich verlassen, wegen der schlechten Bezahlung oder der vielen Nachtdienste. Wenn sie einmal ausgestiegen sind, ist es sehr schwer, sie wieder zurück in die Pflege zu bringen.
Das größte Plus gibt es bei den arbeitslosen Asylberechtigten. Warum gelingt es nicht, sie besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren?
Wir haben in Wien derzeit etwa 33.000 gemeldete Asylberechtigte mit deutlich steigender Tendenz. Pro Monat kommen 800 bis 900 neue dazu, die noch nie vorgemerkt waren. Hier wirkt sich der Familiennachzug aus, es kommen auch mehr Frauen zum AMS. Die sind überwiegend schlecht ausgebildet, daher schwer zu integrieren.
Der größte Anteil sind junge Männer aus Syrien. Was sind hier die größten Probleme?
Die meisten Flüchtlinge kommen nicht wie 2015 aus Syrien direkt, sondern aus Lagern im Libanon oder der Türkei und haben oft keinerlei Schulausbildung. Wir schätzen, dass bis zu zwei Dritteln nicht alphabetisiert sind, also nicht in lateinischer Schrift, und viele auch nicht in ihrer Muttersprache. Das ist anders als 2015, wo das Bildungsniveau deutlich höher war.
Weil Deutsch-Kurse allein nicht reichen, werden jetzt eigene Jugendcolleges mit Ganztagsbetreuung geschaffen werden. Was wird da genau gemacht? Ziel ist es, die Teilnehmer so ausbildungsfit zu machen, dass sie eine Lehrstelle annehmen können. Es werden bis zu 7 Stunden am Tag verschiedene Bereiche, wie Basisbildung, digitale Kompetenz und Werteschulungen abgedeckt. Also welche Werte hat die EU, was erwartet man sich von Zuwanderern usw. Der Ausbildungsprozess soll maximal 1,5 Jahren dauern.
Wie viele Plätze wird es in diesen Colleges geben?
Wir haben hier Plätze für 5.000 Asylberechtigte, wobei 4.000 für unter 25-Jährige vorgesehen sind. Wenn wir es genau nehmen, sind das fünf bis sechs riesige Schulen, die das AMS da schafft. Die Ausschreibungen laufen gerade, die Colleges starten Anfang September. Wir versuchen jetzt schon, Teilnehmer vorauszuwählen. Die Maßnahmen sind dann verpflichtend. Es wird daher Konsequenzen geben, in der Regel bei der Mindestsicherung (gekürzt oder ausgesetzt, Anm.).
Auf Wien entfallen mehr als zwei Drittel aller arbeitslosen Asylberechtigten. Warum funktioniert die überregionale Vermittlung nicht?
Schwieriges Thema. Es fehlt vor allem an Quartieren im Westen. Jetzt, wo die Wintersaison ausläuft, kommen daher wieder alle zurück zu uns. Die anderen Bundesländer sollten sich mehr bemühen, die Wohnungsfrage zu lösen, etwa mit der Einrichtung eines Wohnfonds.
In der Kritik steht auch die geringfügige Beschäftigung von Arbeitslosen neben dem Arbeitslosenbezug. Soll sie abgeschafft werden?
Eine gesetzliche Begrenzung wäre hier sehr wichtig. Es kann keine Dauerlösung sein, dass jemand arbeitslos ist und nebenher geringfügig dazuverdient, weil es sich auch so rentiert. Eine Reform ist mangels politischer Einigung leider gescheitert. Es ist jedenfalls nicht illegal, nebenbei geringfügig zu arbeiten. Wir bemühen uns und kontrollieren laufend Betriebe, die viele Geringfügige beschäftigen, stoßen hier aber auf Ressourcengrenzen. Wir müssten den Erhebungsdienst aufstocken.
Winfried Göschl Der gebürtige Wiener (62) übernahm am 1. Juli 2023 die Geschäftsführung beim AMS Wien von Petra Draxl, die in den Bundesvorstand aufrückte. Göschl war zuvor schon ihr Stellvertreter und ist seit 1988 in der Arbeitsmarktverwaltung tätig
121.000 Arbeitslose in Wien Beim AMS Wien waren Ende Februar inklusive Schulungen 121.637 Arbeitslose vorgemerkt, um 10,3 Prozent mehr als 2023. Die Zahl der unter 25-Jährigen stieg um 11,7 Prozent
Hat das AMS Wien zu wenig Personal für die aktuellen Herausforderungen?
Wir mussten Personal dorthin verschieben, wo die Arbeitslosigkeit am stärksten steigt. Jugendliche und Migranten wohnen vor allem in den Außenbezirken, speziell im 10. Bezirk, wo wir eine neue Geschäftsstelle eröffnet haben. Die ist schon fast wieder zu klein, sodass wir mehr Personal auf Kosten der anderen Standorte dorthin gebracht haben.
Ja, schon. Die Frage ist, wie es kontrolliert wird. In Favoriten haben wir einen Metallscanner. Und wir setzen mitunter auch Security-Personal ein. Und ja, es gibt Vorfälle, aber man darf es auch nicht überbewerten. Es passiert wirklich ganz, ganz selten, dass AMS-Mitarbeiter bedroht werden. Angesichts der Menge der Kontakte und des Konfliktpotenzials ist es sehr überschaubar.
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