Online-Riese in der Mangel

Ein Computerprogramm namens „Nessie“ soll Amazon mehr als eine Milliarde Dollar eingebracht haben. Eingesetzt wurde es von dem Branchenprimus, um sich gegen Konkurrenten am US-Markt, etwa Walmart, Costco oder Target, abzusichern. So soll Amazon in mehreren Produktkategorien die Preise künstlich erhöht haben, um seine Gewinne zu steigern. Zog die Konkurrenz bei den Preiserhöhungen nicht mehr mit, wurden sie auch von Amazon auf den zuletzt erhöhten Preis zurückgesetzt.
Die US-Wettbewerbsbehörde FTC wirft dem Online-Händler vor, mit Nessie nicht nur die eigenen Preise künstlich in die Höhe getrieben, sondern auch für Preissteigerungen bei der Konkurrenz gesorgt und damit Verbrauchern massiv geschadet zu haben. Auch bei Rabattaktionen von Mitbewerbern soll das Programm nicht untätig geblieben sein. 2019 wurde es eingestellt. Die Gründe dafür sind unklar.
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Amazon-Logistikzentrum
"Ernsthafte Schwierigkeiten"
Amazon habe vielleicht das Projekt Nessie eingestellt, andere Preisalgorithmen des Konzerns würden jedoch weitergeführt, sagte Stacy Mitchell von der Organisation Local Self Reliance, die sich den lokalen Handel in den USA einsetzt. Die Vorwürfe der US-Wettbewerbsbehörde seien jedenfalls ziemlich schwerwiegend. Gelinge es der FTC, Beweise für ihre Anschuldigung vorzulegen, sei Amazon in ernsthaften Schwierigkeiten, wird Mitchell vom US-Technologieportal Ars Technica zitiert.
Ans Tageslicht kam das geheime Amazon-Projekt durch eine Klage, die Ende September von der FTC und von 17 US-Bundesstaaten eingebracht wurde. Sie könnte dem Konzern Milliarden an Schadenersatzzahlungen einbringen und sogar zur Zerschlagung führen. Nessie, zu dem in den Gerichtsunterlagen noch viel geschwärzt ist, ist laut der FTC aber nur eine von vielen „illegalen monopolistischen Praktiken“, mit denen Amazon versuchen soll, seine Vormachtstellung im Online-Handel zu zementieren.
Marktplatz im Visier
Im Zentrum der Klage steht Amazons Marktplatzgeschäft, auf dem Drittanbieter ihre Produkte verkaufen. Dafür zahlen sie Gebühren. Die werden auch für Logistik- und Lieferdienstleistungen sowie für die Bewerbung der Produkte von Amazon verlangt. Die US-Wettbewerbsbehörde wirft dem Konzern auch vor, Händler mit dem Versprechen prominenter Platzierungen auf dem Marktplatz zur Nutzung seiner Logistik-Services zu zwingen und Konkurrenten auszuschließen. Wer seine Produkte auf konkurrierenden Seiten günstiger anbietet, soll laut der FTC von Amazon sanktioniert worden sein.

FTC-Chefin Lina Khan geht hart gegen Techkonzerne vor
Die Behörde spricht von „Straf- und Zwangstaktiken“, um ein Monopol aufrechtzuerhalten. Pro zwei Dollar, die Verkäufer auf Amazon verdienen, zahlen sie einen an den Konzern, sagte die Vorsitzende der Wettbewerbsbehörde, Lina Khan. Zusatz: „Für einen schlechten Service.“
Das Marktplatzgeschäft ist mittlerweile immerhin für die Hälfte der Umsätze von Amazon im Online-Handel verantwortlich und hat auch bereits in Europa Wettbewerbsbehörden auf den Plan gerufen . Amazon stellt die Vorwürfe in Abrede. Die Klage der FTC sei falsch und dürfte Konsumenten schaden, da sie zu höheren Preisen und langsameren Lieferungen führen würde, ließ ein Rechtsvertreter des Konzerns wissen.
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Es ist bereits die vierte Klage mit der die Behörde, die in den USA auch für den Verbraucherschutz zuständig ist, gegen Amazon vorgeht. Auch gegen die Prime-Abos des Online-Händlers, die schwer zu kündigen sind, ist ein Verfahren anhängig. Wegen des mangelnden Datenschutzes bei der Sprachassistenz-Software Alexa und den Ring-Überwachungskameras hat sich Amazon mit der Behörde bereits auf Strafzahlungen von gut 30 Millionen Dollar geeinigt.
Bereits 2019 rief eine Beschwerde des Handelsverbands über die Händlerverträge und die Datennutzung bei Amazons Marktplatzgeschäft die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) auf den Plan. Nachdem Amazon sich zu Änderungen der Geschäftsbedingungen bereit erklärte, wurde das Ermittlungsverfahren nicht weiterverfolgt. Eine Befragung der Behörde attestierte dem Konzern in Österreich über eine relevante Marktmacht zu verfügen. Viele der Händler würden kaum Alternativen zu Amazons Marktplatz sehen, um ihre Kunden zu erreichen, hieß es. Die Behörde kündigte an, Amazon weiter zu beobachten. Derzeit sei gegen den Konzern nichts anhängig, teilte eine Behördensprecherin mit.
Ende 2022 stellte die EU-Kommission gleich zwei Kartellverfahren gegen Amazon ein. Zuvor erklärte sich der Konzern dazu bereit, die Nutzung von Verkäuferdaten aus seinem Marktplatz zu unterlassen, und machte auch bei der Reihung der Angebote von Drittanbietern Konzessionen.
Im März wird in der EU das Gesetz über digitale Märkte schlagend, das die Macht von Plattformanbietern stark begrenzen soll. Viele der Praktiken, die Amazon in den USA vorgeworfen werden, sind darin untersagt. Bei Zuwiderhandeln drohen Geldbußen von bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes. Das wären bei Amazon immerhin mehr als 51 Milliarden Dollar (48,5 Mrd. Euro).
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Amazon ist nicht das einzige Tech-Schwergewicht, das ins Visier der Wettbewerbsbehörden geraten ist. Seit Mitte September steht Google in Washington vor Gericht. Dem Konzern wird vorgeworfen, mit Milliardenzahlungen an Gerätehersteller und Browseranbieter seine Dominanz im Suchgeschäft aufrechtzuerhalten.
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