Alltagsleben im Ramadan: Wenn die Wirtschaft fastet

Datteln haben Hochsaison
Der Fastenmonat wirbelt das Geschäftsleben in der islamischen Welt durcheinander. Einblicke, die durchaus überraschen.

Nie schmeckt die Dattel süßer als beim täglichen Fastenbrechen. Traditionell wird nach Sonnenuntergang die Askese als erstes mit einer Dattel und einem Schluck Wasser beendet. Weil das im arabischen Raum alle tun, schnellt die Nachfrage nach Datteln in die Höhe. Und mit ihr die Preise. Um Wucherpreise zu unterbinden, führte Saudi-Arabien eine staatliche Preisobergrenze ein. „Die regulierten Preise werden im Ramadan auch streng kontrolliert“, berichtet Kurt Altmann, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Riad.

Während des Fastenmonats Ramadan, der heuer vom 6. Mai bis 5. Juni stattfindet, verzichten gläubige Muslime tagsüber auf Essen und Trinken. Der KURIER wollte wissen, wie das wirtschaftliche Alltagsleben in großen muslimischen Ländern während der Fastenzeit abläuft und fragte bei Österreichs AußenwirtschaftsCentern nach.

Arbeitsleben

Das Fasten zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang ist – vor allem bei hohen Temperaturen – physisch und mental sehr anstrengend. „Termine am Nachmittag werden weniger gerne wahrgenommen als sonst“, berichtet Clemens Machal, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Jakarta. Kreislaufprobleme, Unterzuckerung oder Dehydrierung können die Folge sein, die Unfallhäufigkeit im Haushalt oder im Straßenverkehr ist höher als sonst.

Dazu kommt ein Schlafmangel, weil das Essen erst nach Sonnenuntergang eingenommen wird und daher länger in die Nacht hinein dauert. Um rechtzeitig zum Fastenbrechen daheim oder in einem Lokal zu sein, sei der Verkehr am Abend deutlich stärker als normal, weiß Machal. „Unternehmen müssen sich dementsprechend anpassen. Es gibt keine Business-Lunches zu Mittag, sondern es wird eher zum Fastenbrechen eingeladen“, berichtet Martin Woller, Wirtschaftsdelegierter in Kairo.

Wichtige Projekte sollten möglichst vorher unter Dach und Fach gebracht werden: „Während des Ramadans werden üblicherweise keine wichtigen Entscheidungen mehr getroffen“, sagt Altmann.

Arbeitszeiten

In vielen, aber nicht allen muslimischen Ländern gibt es während des Ramadans kürzere Arbeitszeiten, bei uns würde man sagen Kurzarbeit. So wird in Indonesien oder Malaysia im Schnitt eine Stunde weniger gearbeitet, im arabischen Raum meist zwei. Restaurants halten ebenso kürzer offen wie staatliche Einrichtungen. In Ägypten haben Banken nur zwischen 9.30 und 13.30 Uhr geöffnet. Einkaufszentren halten hingegen oft länger offen, in Jakarta etwa von 10 bis 22 Uhr, in Riad mitunter bis zum frühen Morgen.

Studien haben ergeben, dass muslimische Länder im Fastenmonat durchschnittlich 40 Arbeitsstunden verlieren, das entspricht einer ganzen Arbeitswoche. Die Produktivitätseinbußen im Vergleich zu anderen Monaten können zwischen 35 und 50 Prozent betragen.

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Supermärkte haben am Abend länger offen.

Konsum

Während der Fastenzeit wird nicht unbedingt weniger, dafür höherwertige Nahrung konsumiert, weshalb die Preise steigen. „Viele der Lebensmittelpreise steigen am Anfang des Fastenmonats an und gehen Mitte bis Ende des Monats wieder zurück“, berichtet Woller. Das Ende des Ramadans (heuer am 5. Juni) ist für gläubige Muslime ein Festtag. Das so genannte Zuckerfest wird je nach Land und Region meist drei Tage gefeiert. Es ist ein Familienfest, an dem Verwandte beschenkt, gut gegessen und Almosen gespendet werden.

„Die Shoppingcenter sind zum Bersten voll und oft die ganze Nacht geöffnet. Es gehört zum guten Ton, dass man sich neu einkleidet und das Haus neu ausstattet“, erzählt Altmann. Für die Wirtschaft bedeutet das Ramadanfest je nach Kaufkraft einen kräftigen Mehrumsatz, Arbeitnehmer erhalten dafür meist das 13. Gehalt ausgezahlt. Zu den Profiteuren zählt auch die Dienstleistungsbranche inklusive Tourismus. Außerdem sehen die Menschen im Ramadan mehr fern – es gibt TV-Serien, die nur dann ausgestrahlt werden – und gehen häufiger ins Kino.

Tourismus

Generell wird während des Ramadan in der muslimischen Welt weniger gereist, dafür nach Fastenende umso mehr. „Vom 3. bis 7. Juni gehen fast alle Indonesier auf Urlaub und besuchen Verwandte im ganzen Land. Die Straßen sind überlastet, die Hotels und öffentliche Verkehrsmittel entsprechend voll“, schildert Machal. Auch im arabischen Raum ist die Zeit nach Fastenende Hauptreisezeit. Für Touristen: Außerhalb der Hotels haben oft viele Stände und Restaurants zu. Die touristische Infrastruktur bleibt davon meist unberührt.

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Alle wollen nach Hause. Die Staus in Jakarta sind besonders lang.

Wirtschaftsleistung

Kürzere Arbeitszeiten und geringere Produktivität schlagen sich negativ zu Buche, dafür führt das Ramadanfest – ähnlich wie das christliche Weihnachtsfest – zu Mehrumsätzen. Wie sich das ausgleicht, ist schwer zu berechnen. Harvard-Ökonomen gingen 2013 dem „Ramadan-Effekt“ nach. Ihr Fazit: Der Zeitpunkt des Ramadan spielt eine entscheidende Rolle. Je länger die tägliche Fastenzeit, sprich je länger das Tageslicht, desto negativer der ökonomische Effekt. Während das für die Länder am Äquator kaum einen Unterschied macht, da die Zahl der Sonnenstunden wenig variiert, haben es nördliche Länder, wo die Sonne im Mai/Juni sehr spät untergeht, am schwersten.

Was den Wissenschaftern noch aufgefallen ist: Die Fastenzeit hat einen sehr positiven Einfluss auf die Lebenszufriedenheit der Menschen. „Einfach formuliert macht der Ramadan zwar relativ ärmer, trotzdem aber glücklicher.“

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