Wie man Mehrfachversicherungen kippen könnte
Einst war die Welt übersichtlicher: Da gab es hie Arbeitgeber, dort Arbeitnehmer und jeder hatte seine eigene Sozialversicherung. In der schönen neuen Arbeitswelt haben sich die Beschäftigungsformen allerdings vermischt: Insgesamt 750.000 Österreicher sind mehrfach versichert, mit aller dazugehörigen Bürokratie.
Steigender Unmut
Selbst wenn ein Angestellter mit Gewerbeschein im ASVG über der Höchstbeitragsgrundlage verdient, muss er dies rechtzeitig der gewerblichen Sozialversicherung SVA melden, damit er nicht für seine selbstständige Nebenbeschäftigung ein zweites Mal Kranken- und Pensionsversicherung bezahlt. Aber wer kann "doppelt krank" sein? Die Zahlungen mit dem sperrigen Titel "Differenzvorschreibung" werden dann refundiert. Doppelte Unfallversicherung hingegen ist obligat. Der Unmut darüber steigt.
Allein in Wien sind 20.000 Selbstständige davon betroffen (österreichweit 63.460), zum Beispiel ein Ziviltechniker, der nebenher an einer HTL unterrichtet. Daher hat die Wirtschaftskammer Wien (WKW) nun ein dem KURIER exklusiv vorliegendes Reform-Modell ausarbeiten lassen. Es wird dem Hauptverband der Sozialversicherungen präsentiert und wäre eine kleine Revolution: Erstmals gäbe es Wahlfreiheit – zumindest für jene Bürger, die in mehr als einer Versicherung gemeldet sein müssen – also SVA, Gebietskrankenkasse oder Bauernversicherung. Sie haben dann künftig nur noch einen Ansprechpartner.
Mehr Ärzteauswahl
Speziell in der Krankenversicherung gibt es ja große Unterschiede: Gewerblich Versicherte haben zwar einen Selbstbehalt zu zahlen, dafür aber größere Ärzteauswahl (plus höhere Vergütung bei Wahlärzten und Heilbehelfen) und müssen für teure Untersuchungen (MRT) nicht so lange warten wie ASVG-Versicherte.
Wer hingegen, weil er ohnehin wenig verdient, keinen Selbstbehalt mehr zahlen will, könnte dann freiwillig ins ASVG wechseln. Der Versicherte entscheidet. Voraussetzung sind "Pauschalsätze" für die Kranken- und die Pensionsversicherung. Das sei aber relativ einfach einzuführen, sagt der stv. Direktor der Wiener Wirtschaftskammer, Alexander Biach.
Aus Sicht von WKW-Präsident Walter Ruck wären damit mehrere Fliegen auf einen Schlag erwischt: Für den Bürger wird es einfacher, das System ist effizienter und bringt auch noch neuen Wettbewerb. "Das ist ein Paradigmenwechsel – weg von der Pflichtversicherung, hin zur Versicherungspflicht", meint er im Gespräch mit dem KURIER. Das würde auch das Bewusstsein der Versicherten für Sozialversicherungsleistungen schärfen.
Das grundsätzlich gute System der Sozialversicherung müsse ja weiterentwickelt und immer wieder "neu erfunden werden". Der jetzige Zustand entspreche nicht mehr einer serviceorientierten und versichertenfreundlichen Abwicklung, so Ruck.
Klare Verhältnisse
Was die Kammer nicht dazusagt: Das könnte auch ein Lösungsansatz für Firmen sein, die mit Selbstständigen zusammenarbeiten, aber das Damoklesschwert der Sozialversicherung fürchten, die diese Verhältnisse schon öfters als Scheinselbstständigkeit verdammt hat. Wenn nämlich ein Verfahren ergibt, dass die Mitarbeiter eigentlich angestellt sein müssten, können die Beitrags-Nachzahlungen bis zum Konkurs des Unternehmens führen, wie es bei der Wiener Pflegegruppe VisiCare der Fall war. Künftig würde dann Klarheit bestehen.
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