Abschied von Niedermeyer: "Wo soll ma jetzt hingehen?"

Niedermeyer sperrt zu , Reportage, Stammhaus Alser Strasse
53 Geschäfte der insolventen Elektronikkette sperren zu. Stammkunden sind traurig, Schnäppchenjäger enttäuscht.

Alles online, alles digital? Von wegen. Die Rupps haben gar kein Internet zu Hause und kommen regelmäßig in die Filiale, um digitale Fotos auszudrucken. „Sonst können wir sie ja nicht weiterschenken“, erklärt Herr Rupp, während er seine Gattin fragend anblickt. „Wo soll ma jetzt hingehen?“ In Zukunft werden sie die Bilder zu Hause ausdrucken müssen, „aber da sind die Farben nicht so schön“. Im Internet einkaufen? „Sicher nicht“.

Seit mehr als 30 Jahren sind die Rupps schon Stammkunden in der „Ur-Filiale“ von Niedermeyer in Wien-Alsergrund, „weil die Verkäufer so hilfsbereit sind und alles erklären“. Das 1957 von Helmut Niedermeyer als Röntgen-, Film- und Fotoartikelgeschäft gegründete Geschäft sperrt wie 52 andere auch am Samstag für immer zu. Ein Abverkauf soll noch Geld in die Kassen spülen, um möglichst rasch einen Investor – als Favorit gilt die deutsche Cyberport – zu finden.

Abschied von Niedermeyer: "Wo soll ma jetzt hingehen?"
Niedermeyer sperrt zu , Reportage, Stammhaus Alser Strasse
Für Stammkunden, die gemeinsam mit der Filiale älter geworden sind, ist es ein bitterer Abschied. „Ich war schon beim alten Niedermeyer da“, erzählt Thomas Sacken und umarmt sichtlich gerührt einen älteren Verkäufer, der seinen Job verliert. „Ich wünsch dir alles Gute.“

Die Verkäufer haben kaum Zeit für Reminiszenzen, sondern alle Mühe, sich um die hereinströmenden Schnäppchenjäger zu kümmern. Weil darunter der ein oder andere Langfinger ist, schaut auch kurz die Polizei vorbei. „Es läutet öfter die Alarmglocke, wir können gar nicht alles im Auge behalten“, erzählt der Filialleiter den Beamten und ist froh über deren Anwesenheit.

Pseudo-Rabatte

Trotz Ansturms läuft der Abverkauf der Ware eher schleppend, die Kunden haben sich wohl höhere Rabatte erwartet. „Minus zehn Prozent auf das iPad, das kriegt man beim Mediamarkt auch“, beschwert sich ein enttäuschter Preisfuchser über Pseudo-Rabatte. Zum halben Preis gibt es nur Fotokleinkram und Bilderrahmen – „da kann ich gleich meine aus dem Keller herbringen“. Ein anderer Kunde setzt auf fallende Preise. „Ich komme morgen wieder.“ Gutscheine werden nicht mehr eingelöst, sie müssen im Zuge der Insolvenz eingefordert werden.

Christian Lag ist auf der Suche nach einer externen Festplatte , wird aber in der Filiale nicht fündig. „Das Problem von Niedermeyer war immer, dass man als Kunde gar nicht weiß, was die überhaupt haben. Sind sie jetzt mehr Libro oder doch mehr Mediamarkt?“

Ein früherer Niedermeyer-Verkäufer, der zufällig im Geschäft ist, hat sich vor Jahren schon zum Buchhalter umschulen lassen und ist heute froh darüber. „Das Ende war absehbar, die Strategie hat schon früher nicht mehr gestimmt“, meint er und hat zugleich Mitleid mit den 280 Beschäftigten, die jetzt ihre Jobs verlieren. Schon nahe beim Ausgang blickt eine ältere Stammkundin – wohl zum letzten Mal – zurück in „ihre“ Niedermeyer-Filiale. „Alles sperrt zu, wo sollen wir künftig einkaufen?“, fragt sie. Nur wenige Meter weiter gibt es bei Hausmann Leder Rabatte bis zu 70 Prozent. Die Filiale sperrt im Juni für immer zu.

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