EuropasAutobranche ist in Aufruhr: Die am Wochenende bekannt gewordene Manipulation von Abgastests in den USA durch den VW-Konzern könnte nicht nur für Europas führenden Autobauer Konsequenzen haben. Auch andere Hersteller stehen nun im Verdacht, getrickst zu haben. Die US-Umweltbehörde kündigte bereits an, diesen Vorwürfen nachzugehen. Noch aber steht VW im Mittelpunkt. Der Konzern musste am Dienstag eine Gewinnwarnung veröffentlichen. Aufgrund "notwendiger Servicemaßnahmen" und weiterer Anstrengungen, um das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen, will VW heuer 6,5 Milliarden Euro zurückstellen. Im Vorjahr gab es noch einen Gewinn von drei Milliarden Euro.
Die Investoren reagierten prompt. Nach dem Kurssturz von Montag um 23 Prozent ging es gestern erneut um 20 Prozent bergab. VW-Vorstandschef Martin Winterkorn entschuldigte sich öffentlich. In einem Video-Auftritt versprach er rasche und transparente Aufklärung und Wiedergutmachung. "Die Unregelmäßigkeiten widersprechen allem, für das Volkswagen steht. Auch ich habe zum jetzigen Zeitpunkt nicht die Antworten auf alle Fragen. Es tut mir unendlich leid."
Winterkorn gilt als angezählt. Für Mittwoch war eine Aufsichtsratssitzung angesetzt. Die Aufsichtsräte gaben jedoch Gas und zogen die Krisensitzung ihres Präsidiums vor. Das Gremium kam bereits am Dienstagabend zusammen, berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung. Winterkorn habe das Vertrauen großer Aktionäre verloren, hieß es. Er stehe vor einer raschen Ablösung.
In den USA sind eine halbe Million Autos betroffen, deren Ausstoß absichtlich falsch berechnet wurde. Weltweit geht VW von elf Millionen Diesel-Pkw eines bestimmten Motorentyps aus. Allerdings sind die Normen und Tests in den USA mit jenen in anderen Regionen nicht vergleichbar. Das heißt, dass die Angaben zu den Abgasen in Europa nicht automatisch falsch sind. Verbrauch und Ausstoß (z.B. CO2) sollten hierzulande korrekt dargestellt sein; somit ändert sich auch bei der Besteuerung nichts.
Wie sich die Malversationen auf den Absatz auswirken, ist laut Branchenkennern nicht abschätzbar. Ebenso unklar sind die Folgen für die heimische Zulieferindustrie, die vor allem deutsche Hersteller als Kunden hat. Geraten neben VW auch andere in Mitleidenschaft, dann könnte die heimische Branche dies zu spüren bekommen. Einen Imageschaden fürchten auch die Deutschen selbst. "VW steht wie kaum ein zweites Unternehmen für Produkte ‚Made in Germany‘ – nämlich für Perfektion, Zuverlässigkeit und Vertrauen", sagt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher.
Am Dienstagabend gab auch die UNO ihren Unmut über die manipulierten Abgaswerte zu Protokoll. Das Eingeständnis von VW sei "äußerst beunruhigend", sagte der Sprecher von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, Stephane Dujarric. Die Autoindustrie müsse Partner bei allen Bemühungen des Privatsektors sein, den Klimawandel zu bekämpfen.
Die EU hält spezielle Abgas-Kontrollen von VWs in Europa vorläufig für unnötig. Italien plant jedoch eigene Kontrollen und Frankreich fordert eine groß angelegte Untersuchung auf EU-Ebene. Österreichs Verkehrsminister Alois Stöger geht davon aus, dass in Österreich die Werte eingehalten werden.
Eigentlich wollte der Aufsichtsrat den Vertrag von Martin Winterkorn am kommenden Freitag um zwei Jahre bis 2018 verlängern. Nach dem Bekanntwerden des Abgas-Skandals allerdings könnte der VW-Chef am Freitag abgelöst werden. Winterkorn habe nach dem Diesel-Abgasbetrug in den USA nicht mehr das Vertrauen des Kontrollgremiums. Am Mittwoch tagt das Präsidium des VW-Aufsichtsrates, am Freitag das gesamte Gremium. An der Gerüchtebörse werden bereits mehrere Konzern-Manager als Nachfolger gehandelt.
Matthias Müller
Wie der „Tagesspiegel“ unter Berufung auf Aufsichtsratskreise am Dienstag berichtet, soll Porsche-Chef Matthias Müller sein Nachfolger werden. VW dementiert den Wechsel allerdings. Eine solche Behauptung sei „Schwachsinn“, sagte ein Sprecher am Dienstag. Der 62-jährige Müller war im Frühjahr als Kandidat für eine Übergangszeit gehandelt worden. Er könnte den Konzern führen, bis ein jüngerer Manager wie Diess den Vorstandsposten übernimmt. Müller ist seit bald vier Jahrzehnten im VW-Konzern: Er lernte bei Audi in Ingolstadt Werkzeugmacher und kehrte nach dem Informatikstudium dorthin zurück. Als Winterkorn 2007 als Chef von Audi an die VW-Spitze wechselte, ging Müller als Produktstratege mit ihm nach Wolfsburg. Nach der gescheiterten Übernahme von Volkswagen durch Porsche, die schließlich mit der Unterordnung von Porsche als VW-Marke endete, übernahm er 2010 die Porsche-Führung und trieb den Absatz auf neue Rekordhöhen. Vergangene Woche noch erklärte Müller im Interview mit Reuters, in einer neuen Konzernstruktur gerne die Leitung der Sportwagengruppe übernehmen zu wollen. Volkswagen sei mit Winterkorn an der Spitze in guten Händen. „Ich bin ein Konzernzögling“, betonte das VW-Vorstandsmitglied. Daher würde Müller seine Stuttgarter Wahlheimat wohl aufgeben, sollte der Aufsichtsrat ihn rufen.
Herbert Diess
Der 56 Jahre alte Münchner wechselte am 1. Juli von BMW zu Volkswagen und übernahm von Winterkorn die Führung der schwächelnden Hauptmarke VW. Er kam Insidern zufolge auf Betreiben des Firmenpatriarchen Ferdinand Piech nach Wolfsburg. Der VW-Miteigentümer hatte im Frühjahr versucht, Winterkorn zu kippen und war als Aufsichtsratschef zurückgetreten, nachdem sich die anderen maßgeblichen Eigner und der Betriebsrat hinter Winterkorn gestellt hatten. Mit Diess an der Spitze könnte VW einen konsequenten Neuanfang demonstrieren. Ein Nachteil ist allerdings, dass Diess die Mechanismen und Netzwerke in dem Riesenkonzern mit zwölf Marken und über 600.000 Beschäftigten noch nicht lange kennt. Auch gibt es unter den Arbeitnehmern Vorbehalte gegen den Manager, der den Ruf eines knallharten Kostendrückers hat, der Sparprogramme kompromisslos gegen Kritik der Belegschaft durchsetzt. Bei BMW rückte der promovierte Maschinenbau-Ingenieur nach rund zehn Jahren 2007 in den Vorstand als Einkaufschef auf, um mit Milliardeneinsparungen die Rendite hochzutreiben. Zeitweise galt er als möglicher Nachfolger von Konzernchef Norbert Reithofer, doch dazu wurde dann Produktionschef Harald Krüger bestimmt.
Rupert Stadler
Als Kronprinz gilt auch schon lange der 52-jährige Audi-Chef Rupert Stadler. Sein Aufstieg im Konzern begann 1997 als Büroleiter des damaligen VW-Chefs Piech. Bei Audi übernahm er 2003 zunächst das Finanzressort und rückte 2007 an die Spitze der Premiumtochter, die zusammen mit Porsche den Löwenanteil zum Konzerngewinn beiträgt. Unter seiner Führung hat Audi als zweitgrößter Premiumhersteller weltweit aber damit zu kämpfen, vom Platzhirsch BMW in den Schatten gestellt zu werden. Zuletzt wurde Stadler als Nachfolger von VW-Finanzchef Hans Dieter Pötsch gehandelt, der neuer Aufsichtsratschef von VW werden soll. Dass StadlerWinterkorn beerben könnte, bezweifeln Experten allerdings mit dem Hinweis auf die VW-Tradition, wonach ein Ingenieur an der Spitze des Konzerns stehen muss. Stadler ist Betriebswirt.
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