Abgas-Skandal: Kritische Passagen in Bericht getilgt

In der Kritik: Verkehrsminister Alexander Dobrint
Opposition in Deutschland ortet Skandal um einen Untersuchungsbericht zum Thema Abgaswerte.

Nach dem Ärger aus Brüssel wegen angeblicher Versäumnisse im Abgas-Skandal erhebt die Opposition neue Vorwürfe gegen das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Die Aufsichtsbehörde habe Einschätzungen von Fachleuten, die illegale Abschalteinrichtungen in Autos vermuteten, aus einem umstrittenen Untersuchungsbericht „einfach tilgen“ lassen, sagte der Grünen-Verkehrspolitiker Oliver Krischer.

Anlass sind Recherchen von Spiegel Online, BR Recherche und der Deutschen Presse-Agentur, nach denen in Entwurfsversionen des Untersuchungsberichtes in Texten zu 14 PKW-Modellen Zweifel an der Zulässigkeit der Abschaltung der Abgasreinigung formuliert wurden. Zwar sind in der Endfassung des Berichts vom April die 14 Modelle einer Gruppe zugeordnet, deren Stickoxid-Werte im Abgas „technisch nicht ausreichend erklärbar schienen“. Aus den Beschreibungen der einzelnen Modelle wurden die Passagen allerdings gestrichen.

"Die Unschuld der Hersteller scheint im Kraftfahrtbundesamt schon dann erwiesen, wenn die Hersteller dies in einer kurzen Mail beteuern"

Wie eng das KBA und die Hersteller für den Untersuchungsbericht zusammenarbeiteten, ging im November aus E-Mails hervor, deren Inhalt die Deutsche Presse-Agentur, Spiegel Online und BR Recherche einsehen konnten. „Die Unschuld der Hersteller scheint im Kraftfahrtbundesamt schon dann erwiesen, wenn die Hersteller dies in einer kurzen Mail beteuern“, sagte Krischer, der die Grünen-Fraktion als Obmann im Untersuchungsausschuss zur Diesel-Affäre vertritt. KBA-Chef Ekhard Zinke verstehe sich „offensichtlich als Dienstleister der Autoindustrie und nicht als Leiter einer Überwachungsbehörde.“

Infolge des VW-Dieselskandals um manipulierte Abgastests hatte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) im September 2015 die „Untersuchungskommission Volkswagen“ eingesetzt. Außerdem ordnete er Abgas-Nachmessungen durch das KBA bei VW und anderen Herstellern an. Die Ergebnisse dieser Messungen finden sich in dem Bericht der Untersuchungskommission, der im April veröffentlicht wurde.

Opel-Modelle

Im Fall der Opel-Modelle Insignia und Zafira verwiesen die Autoren in früheren Versionen des Berichts auf ein Gutachten des Experten Georg Wachtmeister von der Technischen Universität München. Unter anderem ging es darum, dass bereits ab 17 Grad Außentemperatur das Abgas nicht mehr richtig gereinigt wurde. Wörtlich hieß es dazu im Entwurf: „Dieses Gutachten stützt die Zweifel an der Zulässigkeit dieser temperaturabhängigen Emissions-Minderungs-Strategie.“ Dieser Hinweis fehlt in der veröffentlichten Fassung des Berichts.

Auf Anfrage verwies Opel darauf, dass nur Ministerium und KBA Fragen zur Untersuchungskommission beantworten könnten. Das Ministerium teilte mit, bei den 14 Fahrzeugen habe die Kommission Zweifel gehabt, ob die Abschaltung der Abgasreinigung „vollumfänglich mit Motorschutzgründen gerechtfertigt werden können und damit zulässig“ sei. Darum seien sie in die entsprechende Gruppe von Fahrzeugen eingeordnet worden. Auf Fragen nach der Streichung der Textpassagen ging das Ministerium nicht ein.

Am Donnerstag hatte die EU-Kommission ein Mahnverfahren gegen Deutschland und sechs weitere Staaten eingeleitet. Brüssel wirft der Bundesrepublik vor, sie habe VW nicht für die Manipulation von Schadstoffwerten bei Dieselautos bestraft und halte Informationen über technische Daten zurück. Auch gegen Tschechien, Litauen, Griechenland, Luxemburg, Spanien und Großbritannien leitete die EU-Behörde sogenannte Vertragsverletzungsverfahren ein.

„Aus den Akten geht eindeutig hervor, dass dem Verkehrsministerium nicht nur im Fall VW Belege für illegale Abschalteinrichtungen vorlagen“, sagte Linke-Politiker Herbert Behrens, der dem Untersuchungsausschuss des Bundestags vorsitzt. „Warum und durch wen die eigenen Erkenntnisse schließlich zensiert wurden, wird im Untersuchungsausschuss zu klären sein.“

Im Rechtsstreit um manipulierte Abgaswerte bei VW fordert die US-Handelsbehörde weitere Schritte, um das Verschwinden von Beweismitteln bei VW aufzuklären. Es gebe glaubhafte Hinweise, dass bei Volkswagen absichtlich belastendes Material zerstört worden sei, teilten Anwälte der Federal Trade Commission (FTC) am Donnerstag dem für zahlreiche US-Zivilklagen gegen VW zuständigen Gericht in San Francisco mit.

VW wies den Verdacht zurück. Die Behauptungen seien Teil eines seit langem andauernden Konflikts um juristische Offenlegungspflichten, sagte eine Sprecherin auf Nachfrage.

In dem FTC-Dokument ist unter anderem die Rede von 23 Mobiltelefonen, die "wichtigen Personen" gehört hätten und die verschwunden oder deren Speicher gelöscht worden seien. Zudem will die Behörde, dass die Umstände der Kündigung eines Ex-Mitarbeiters von VW weiter aufgeklärt werden, der im März eine Whistleblower-Klage gegen Konzern eingereicht hatte. Der Mann gab damals an, er habe im VW-Rechenzentrum in Michigan versucht zu verhindern, dass Daten gelöscht werden. Der Konzern bezeichnet die Klage als unbegründet.

Für VW-Anwälte kein Grund zur Aufregung

Die VW-Anwälte vertraten Gerichtsunterlagen vom November zufolge die Auffassung, es sei nicht ungewöhnlich, dass Mobiltelefone verloren gingen oder ihre Daten versehentlich gelöscht würden. Daran sei nichts "bemerkenswert". Das sieht man bei der FTC anders. Um den Dingen auf den Grund gehen zu können, hat die Behörde beim Gericht die nochmalige Befragung eines Zeugens beantragt, der bisher "unsinnige oder ausweichende" Antworten gegeben habe. Der Mann habe unter anderem mehr als 250 Mal "ich weiß nicht" geantwortet.

VW hatte am 18. September 2015 nach Vorwürfen der US-Umweltbehörde EPA eingeräumt, in großem Stil bei Abgastests betrogen zu haben. Bei rund 480.000 Dieselwagen hat sich der Konzern bereits mit US-Klägern auf einen Vergleich geeinigt, der bis zu 16,5 Milliarden Dollar (15,33 Mrd. Euro) kosten könnte. Bei über 80.000 größeren Dieselautos, die ebenfalls mit verbotener Abgastechnik ausgestattet sind, steht eine Einigung noch aus. Der zuständige Richter hatte sich zuletzt aber optimistisch hinsichtlich einer Lösung bis zur nächsten Anhörung am 16. Dezember gezeigt.

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