„Wir wollen eine Vorreiterrolle einnehmen“
Beim Aufbau eines nachhaltigen Lebensmittelsystems spielen Aquakulturen eine tragende Rolle. Fische und Meeresfrüchte sind eine wichtige Proteinquelle, zudem weist ihre Aufzucht einen geringeren CO2-Fußabdruck als die von Nutztieren auf. Das EU-Projekt Cure4Aqua will Aquakulturen unter ökologischen, biologischen und sozioökonomischen Gesichtspunkten verbessern. Univ.-Prof. Dr. Astrid Holzer von der Vetmeduni ist Teil des internationalen Teams.
Welche Probleme können bei Aquakulturen auftreten?
Astrid Holzer: Die effiziente und kostengünstige Bekämpfung von Krankheitserregern bleibt eine der größten Herausforderungen, vor allem für Europa, wo es eine große Vielfalt an Arten und Produktionssystemen gibt. Die Umsetzung guter, auf jede Wasserart und jedes Produktionssystem zugeschnittene Haltungspraktiken ist bereits schwierig, jetzt kommen neu auftretende oder durch den Klimawandel und steigende Wassertemperaturen eskalierende Krankheiten dazu, die bekämpft werden müssen. Auch die Aquakultursysteme müssen angepasst werden. Cure4Aqua zielt darauf ab, in Zusammenarbeit die Aquakultur in der EU unter ökologischen, biologischen und sozioökonomischen Gesichtspunkten zu verbessern – wobei das Wohlergehen der Tiere von großer Bedeutung ist.
Was steht im Mittelpunkt der Forschung?
Um Krankheiten vorzubeugen sollen kostengünstige Impstoffe sowie neue Marker für Fischgesundheit und Frühdiagnostik von Pathogenen entwickelt werden, um das Stress- und Krankheitsmanagement zu verbessern. Auch werden innovative, biobasierte und nachhaltige Lösungen getestet, die als Alternative zu Antibiotika und zur Reduktion der globalen Antibiotikaresistenz eingesetzt werden können. Und zu guter Letzt sollen auch neue Technologien zur Verbesserung der Überwachung von Gesundheit und Tierwohl in Fischzuchten entwickelt werden.
Wurden für das Projekt eigene Aquakultur aufgebaut?
Die meisten Institutionen, die an Cure4Aqua beteiligt sind, besitzen experimentelle Aquakultursysteme. Im Rahmen des Projektes wurden aber manche Systeme erweitert, um etwa unterschiedliche Temperaturkonditionen parallel testen zu können. Wir arbeiten auch mit kommerziellen Produzenten zusammen, um etwa Impfstoffe in einem real-life-scenario zu testen und nicht nur in einem Forschungssystem mit spezifisch pathogenfreien Fischen.
Wie läuft die Forschung ab?
Bei den Tieren wird eine Therapie – z. B. Phagentherapie im Vergleich mit einer traditionellen Antibiotikatherapie – im Wasser getestet und der Gesundheitszustand der Fische durch Probennahmen genau überwacht. Auch die Keimzahl im Wasser wird bestimmt und verglichen. An der Vetmeduni haben wir zur Überwachung der Fische Sensoren und Kameras installiert, damit wir Veränderungen im Verhalten der Fische sofort bemerken. Wir analysieren auch die Kinetik von Immun- und Entzündungsmarkern im Blut, gleich wie unsereins beim Arzt. Alle Versuche folgen strikten Ethikprotokollen.
Gab es für Sie überraschende Ergebnisse?
Es gibt immer wieder tolle Neuigkeiten. Wir arbeiten gerade mit dem Imperial College London an einem qPCR-on-Chip Tool für die Quantifizierung des Erregers der proliferativen Nierenkrankheit bei Forellen. Der Chip ermöglicht ein Ablesen der Krankheitserregerzahl mit dem Handy und somit eine rechtzeitige Implementierung von Managementstrategien auf Fischfarmen. Wir haben festgestellt, dass wir die Krankheitserreger im Wasser und auf der Haut non-invasiv detektieren können, ohne den Fisch für die Nierenentnahme einschläfern zu müssen. Die Möglichkeit der Analyse direkt im Betrieb und ohne Verzögerung durch Versenden von Proben spart Fischfarmern Zeit und Geld.
Wenn Sie in die Zukunft blicken, wo sehen Sie dann die Aquakultur in Europa?
Aquakultur ist weltweit der am schnellsten wachsende Zweig in der Tierproduktion. Die Leitlinie der EU konzentriert sich auf eine nachhaltigere und wettbewerbsfähigere Aquakultur und betont die Bedeutung von Strategien zur Anpassung an den Klimawandel und zur Eindämmung seiner Folgen. Der Bau von sogenannten Recirculation Aquaculture Systems, die 90 % des Wassers in Fischproduktionssystemen rezirkulieren, ist ein Schritt in diese Richtung. Ich hoffe, dass wir bei verschiedenen Arten eine Vorreiterrolle einnehmen können, was Nachhaltigkeit und tiergerechte Haltung in der Aquakultur angeht.