Wie man die ungesunde E-Mail-Sucht besiegt

Nach Dienstschluss Arbeitsmails zu checken fördert den Stress im Alltag.
90 Prozent der Bevölkerung checken ihre Arbeitsmails außerhalb der Dienstzeit. Ein Buch erklärt, warum das ungesund ist und wie man am besten mit dem portablen Posteingang umgeht.

"Nur noch einmal schnell die Mails checken" - mit diesem Gedanken beginnt nach Feierabend oder frühmorgens für viele ein arbeitsintensiver Kraftakt - außerhalb der Arbeitszeit, wohlgemerkt. Dabei haben zahlreiche Studien gezeigt, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen individuellem Zeitinvestment in Mails und Stress gibt. Heißt: Je öfter man seine Mails abruft, desto erschöpfter, müder und gestresster ist man.

Noch erschreckender als diese wissenschaftliche Erkenntnis ist nur die Statistik, die angibt, wie viele Menschen tatsächlich außerhalb der Arbeitszeit ihre Mails checken - und wie oft sie dies tun. So haben Untersuchungen gezeigt, dass Arbeitnehmer im Schnitt 77 Mal pro Tag ihren Posteingang aktualisieren. Dabei werden durchschnittlich 100 Mails verschickt und empfangen. Dass ein Großteil die ersten Mails schon kurz nach dem Aufstehen liest oder bearbeitet, scheint angesichts dieser Zahlen auf der Hand zu liegen.

Doch nicht nur Mails mit beruflichen Inhalten werden ständig gemonitort. Auch der private Mailverkehr ist eine zeitintensive Sache. Studien haben ergeben, dass man in der Arbeitszeit im Schnitt 3,1 Stunden mit dem Bearbeiten von Privatmails verbringt. Demgegenüber stehen 3,2 Stunden, in denen man mit Arbeitsmails beschäftigt ist.

Das Paradoxe daran: Bei all diesen E-Mail-Aktivitäten fühlen wir uns äußerst produktiv. Laut Jocelyn K. Glei, Autorin des E-Mail-Ratgebers "Unsubscribe: How to Kill Email Anxiety, Avoid Distractions, and Get Real Work Done", ist jedoch das Gegenteil der Fall. Um die Absurdität dieser Vorgänge zu verdeutlichen, vergleicht Glei die permanente Mailarbeit im Gespräch mit dem britischen Telegraph mit dem unaufhörlichen Klingeln eines Telefons. Während man bereits beim Gedanken an ständiges Telefonieren gestresst ist, sei das bei 100 Mails nicht der Fall.

Um einen bewussteren und gesünderen Umgang mit E-Mails zu pflegen, rät Glei zu den folgenden 4 Verhaltensregeln:

1. Frequenz minimieren

Jedes E-Mail braucht Aufmerksamkeit. Das lenkt ab. Um nach dem Lesen eines Mails wieder an den ursprünglichen Gedanken vor dem Lesen anzuknüpfen, braucht man Studien zufolge über eine Minute. Die Rechnung zeigt: Mails sind enorme Zeitfresser. Das ständige Kontrollieren des Mailordners einzuschränken ist Glei zufolge jedoch ein psychologisch schwieriger Prozess. Da das Gehirn bei jeder erledigten Aufgabe (beispielsweise "beantwortetes Mail") Glückshormone ausschüttet, gibt uns das Leeren und Aktualisieren des Posteingangs ein gutes Gefühl. Hinzu kommt, dass das menschliche Gehirn kleine, leichte Aufgaben großen, komplexen Aufgaben vorzieht. Schnell ein Mail zu beantworten ist also kognitiv attraktiver, als beispielsweise ein aufwändiges Konzept zu erarbeiten. Da sich Mailkorrespondenzen oft über Stunden, Tage oder gar Wochen hinziehen können - und somit nie wirklich erledigt sind - ergibt sich daraus ein gefährlicher Teufelskreis, der Glei zufolge nicht selten in Angstzustände und Stress mündet.

Die Lösung des Problems: E-Mails bewusster und seltener abrufen. Beispielsweise alle 30 Minuten.

2. E-Mail-Verkehr beenden

Wie in Punkt 1 erwähnt, sind E-Mail-Unterhaltungen oft ein langwieriger Prozess. Gruppenmails sind Glei zufolge besonders schlimme Energiesauger, da man dabei nicht selten in Belanglosigkeiten, Scherze und private Details abdriftet. Da man nichts verpassen möchte, versucht man ständig up to date zu sein - ein Stressfaktor, den viele unterschätzen.

Die Lösung des Problems: Kurze, prägnante, informationslastige Mails verfassen. Belanglose Gruppenmails ignorieren und für private Unterhaltungen lieber das Face-to-Face-Gespräch mit Kollegen suchen.

3. Automatische Benachrichtigungen deaktivieren

Mailprogramme wie Outlook bieten automatische Bildschirmbenachrichtigungen bei Erhalt einer E-Mail an. Keine gute Idee, wie Glei erläutert. Durch das ständige Hin- und Herwechseln zwischen den Aufgaben gehe viel Zeit verloren. Studien hätten auch gezeigt, dass die Notification-Funktion bei geöffnetem Posteingang zu Ablenkung und Konzentrationsverlust führt.

Die Lösung des Problems: Benachrichtigungen ausschalten.

4. Hierarchien erstellen

E-Mail-Programme funktionieren demokratisch - das bedeutet: Wer auch immer ein Mail schreibt, wird zunächst ganz oben gereiht, bis das nächste Mail eintrudelt. Faktoren wie Relevanz oder Aktualität werden dabei nicht berücksichtigt. Es kommt also nicht selten vor, dass der Posteingang voll ist, jedoch nur etwa zehn Prozent der Mails wirklich relevant sind.

Die Lösung des Problems: Man erstellt Ordner und Listen, die Mails automatisch zuordnen. Und: Unwichtige Newsletter abmelden! Das kann nicht nur im Arbeitsalltag, sondern auch im Privatleben äußerst hilfreich sein.

Buchtipp: Jocelyn K. Glei: "Unsubscribe: How to Kill Email Anxiety, Avoid Distractions, and Get Real Work Done", via Amazon um ca. 11 Euro.

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