Rückenschmerzen: Wenn der Mensch "verkümmert"

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Gabriela Kieser, Ärztin und Mitbegründerin des Fitnesskonzepts Kieser Training, im Interview über Rückenschmerzen als Krankheitsbild unserer Zeit.

Über 80 Prozent aller Menschen sind mindestens einmal im Leben von Rückenschmerzen betroffen, etwa 40 Prozent haben dauerhaft damit zu kämpfen. Unter den Betroffenen sind auch immer mehr Kinder und Jugendliche. Gabriela Kieser über Ursachen und Prävention einer der häufigsten Erkrankungen unserer Zeit.

kurier.at: Immer mehr Menschen leiden unter anderem aufgrund ihrer sitzenden Arbeitstätigkeit an Rückenschmerzen. Manche Menschen scheinen stärker betroffen als andere. Was sind neben dem vielen Sitzen noch Risikofaktoren für Rückenprobleme?

Gabriela Kieser: Körperliche Untätigkeit und Übergewicht sind weitere Risikofaktoren für Rückenbeschwerden. Wir haben immer noch den Körper eines Steinzeitmenschen. Hochintensive Belastungen und Nahrungsmangel im Wechsel mit Ruhe und genügender Nahrung ist für uns kein Problem. Das ist wahrscheinlich sogar eine wichtige Voraussetzung für unsere Gesundheit. Wir leben aber nicht mehr so: Wir verbringen unser Leben sitzend vor Bildschirmen. Das beginnt bereits im Kindesalter und zieht sich hin bis ins hohe Alter. So kann der Bewegungsapparat nicht aufgebaut und erhalten werden. Wir verkümmern buchstäblich.

Welche Bereiche des Rückens sind am häufigsten von den Schmerzzuständen betroffen?

Sehr häufig sind chronische Nackenbeschwerden mit oder ohne Armschmerzen oder Hinterhauptskopfschmerzen. Aber auch Kreuzschmerzen oder muskuläre Verspannungen im Brustwirbelsäulenbereich sind häufig.

Wie sollte der Arbeitsplatz, also Schreibtischstuhl, Arbeitstisch und Bildschirm, optimiert werden?

Ideal ist ein Arbeitstisch, der in der Höhe verstellbar ist. So sind Wechselbelastungen möglich. Die Position des Bildschirms, der Bürostuhl und die Arbeitshaltung müssen ergonomisch stimmen. Der Körper muss in sich ruhen können. Zwangs- und Schiefhaltungen müssen vermieden werden. Trägt man eine Gleitbrille, kann eine spezielle PC-Brille notwendig sein, damit der Kopf in entspannter Position gehalten werden kann.

Wie kann man den Schmerzen bereits während der Arbeit entgegenwirken?

Wechselbelastungen sind wichtig, das heißt immer wieder die Position wechseln, sich durchstrecken, Dehnübungen machen, einige Schritte gehen, die Mittagspause für einen Spaziergang oder für sportliche Tätigkeit nutzen.

Wie sollte ein wirksames Entlastungsprogramm nach der Arbeit aussehen? Ist Kraftsport einem Ausdauertraining vorzuziehen? Wie oft sollte man trainieren und worauf sollte man generell achten?

Zweimal pro Woche ein gesundheitsorientiertes Krafttraining ist sinnvoll. Dazu ein aktiver Lebensstil: Bewusst jeden Tag 30 bis 60 Minuten forsches Gehen oder drei bis vier Stunden pro Woche. Das kann gut im Alltag eingebaut werden. Benützt man die öffentlichen Verkehrsmittel und die Treppen statt den Fahrstuhl, ist bereits viel getan

Was sind langfristige Präventionsmaßnahmen?

Ganz wichtig ist eine gezielte Kräftigung der Nacken- und Rückenmuskulatur, aber auch der Rumpf- und Beinmuskulatur. Nur mit einer kräftigen Muskulatur kann die Belastbarkeit am Arbeitsplatz, aber auch im Alltag und Sport erhalten und verbessert werden.

Wann sollte man einen Arzt aufsuchen?

Wenn trotz dieser Maßnahmen keine Verbesserung eintritt. Aber auch wenn Sensibilitätsstörungen oder motorische Schwächen auftreten. Wenn die Beschwerden länger als vier bis sechs Wochen dauern oder sich das Beschwerdebild verändert hat.

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