Wenn Michelangelo mit im Spiel ist

Jan Åge Fjørtoft

Jan Åge Fjørtoft

Der erste Durchgang in der Vorrunde erfreute mit Toren wie Kunstwerken und Technik für die Zukunft. Vor der WM lautete meine Antwort auf die meistgestellte Frage Spanien. Nach dem ersten Durchgang in der Vorrunde glaube ich nicht mehr, dass Spanien Weltmeister wird. Schade drum, es wäre ein historischer Triumph gewesen: 2008, 2010, 2012, 2014 – vier Titel bei vier Endrunden in Folge. Da wäre nur noch der Titel als bestes Team der Fußballhistorie geblieben.

Jetzt waren sie mit dem 1:5 gegen die Niederlande zumindest an einem Spiel für die Ewigkeit beteiligt. Der Schlüsselmoment war die vergebene Chance von Silva nach dem Zauber-Pass von Iniesta. Kurz darauf folgte mit dem 1:1 ein Kunstwerk von einem Tor. Wie Robin van Persie den Kopfball mit dieser Flugbahn über Casillas hinweg geschafft hat, ist unglaublich. Ich als Florenz-Fan möchte das mit der Linienführung von Michelangelo vergleichen. Van Persie litt in Manchester offensichtlich an der Moyes-Krankheit, van Gaal hat die Gegenmedizin gefunden.

Extrem beeindruckend war auch Arjen Robben, der es sich zutraut, WM-Tore zu schießen, die andere nur im Training versuchen würden.
Überhaupt fällt auf, dass fast alle Stars auch gleich ihren Torhunger unter Beweis stellen konnten. Thomas Müller hält nun schon bei den acht WM-Toren von Diego Maradona. Da erübrigt sich jede Diskussion, ob Müller auch ein „Star“ ist.

Heilsame Enttäuschung

Das im ersten Durchgang gebotene Niveau war extrem hoch. Darum bin ich dankbar, auch einmal ein schlechtes Spiel wie das 0:0 NigeriaIran zu sehen. Vorher hatten ja schon viele geglaubt, die übrigen Leistungen bei dieser WM wären eine Selbstverständlichkeit.
Auffallend sind die vielen Tore aus Standardsituationen. Meine Erklärung dafür sind die Teamcamps: Endlich hatten die Trainer länger Zeit, an den Varianten für die ruhenden Bälle zu feilen. Besonders im ersten Durchgang kann man den Gegner damit auch noch überraschen, ehe alle Standardvarianten wieder analysiert und bekämpft werden konnten.

Die große WM-Premiere war bisher der Einsatz der Torlinientechnik. Dafür gebührt dem sonst oft kritisierten FIFA-Präsidenten Blatter Lob. An sich gehöre ich zur Gruppe jener Fußball-Liebhaber, die das Spiel möglichst wenig verändern wollen. Wenn es aber bei einer so entscheidenden Frage wie einem Treffer eine sichere Antwort geben kann, muss man diese auch veröffentlichen und umsetzen. Nach dem Frankreich-Tor gegen Honduras fühle ich mich als Fan bestätigt.
Mein vorläufig einziger Kritikpunkt betrifft das Auftaktspiel: Ich wollte nicht nur Brasilien als Gastgeber und eines der besten Teams der Welt sehen, sondern auch einen der besten Schiedsrichter der Welt. Das wäre wichtig gewesen, um einen Standard für den weiteren Verlauf des Turniers zu setzen.
Der Japaner Nishimura hat allerdings das Spiel mit einem falschen Elfmeterpfiff, für den er ganz sicher sein hätte müssen, beeinflusst. Aus seiner Position konnte er aber gar nicht zu 100 Prozent sicher sein, dass Fred gefoult worden war.

Jan Aage Fjörtoft ist Experte für den TV-Sender Sky. Sky Sport News HD berichtet während der WM rund um die Uhr live aus Brasilien und ist mit Sky Go auch unterwegs empfangbar: www.skygo.sky.at

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