"Er wird im Amt sterben"
Guido Tognoni war über viele Jahre ein enger Berater von FIFA-Präsident Sepp Blatter. Im Interview spricht der ehemalige Funktionär des Weltfußballverbandes über die Person Sepp Blatter, die Macht des Geldes und die größte Gefahr für den Fußball.
Herr Tognoni, sehen wir gerade die letzte WM mit Sepp Blatter an der Spitze der FIFA?
Nein, ganz bestimmt nicht. Sepp Blatter wird so lange er lebt, versuchen Präsident zu bleiben. Er wird im Amt sterben. Das ist sein Ziel, seine Mission. Und er tut alles, damit ihm das gelingt. Es ist ihm völlig egal, ob er damit der FIFA schadet. Solange er die Stimmen der Afrikaner, der Asiaten und der Mittelamerikaner hinter sich weiß, bleibt er an der Macht. Und solange er denen immer mehr Geld verspricht, das die Fifa in ausreichenden Mengen hat, wird sich daran auch nichts ändern. Wer die Sonntagspredigt hält ist egal, so lange das Geld fließt. Wie viel fließt, bestimmt letztlich allein Blatter.
Sie haben über viele Jahre mit Sepp Blatter zusammengearbeitet, waren ein enger Weggefährte. Wie würden Sie ihn charakterisieren?
Sepp Blatter opfert seinem Machtanspruch alles. Er hat kein Unrechtsbewusstsein, fühlt sich bei Konflikten immer als Opfer. Ich hatte über viele Jahre ein sehr enges und gutes Verhältnis zu ihm, bis er mich aus politischen Gründen entlassen hat. Später hat er mich aufgrund einer Notsituation wieder an Bord geholt und mich kurz darauf erneut rausgeworfen. Sein Leben besteht aus Freundschaft und Verrat: Joao Havelange wollte er entmachten, Mohamed bin Hammam hat er entmachtet und mit Platini liegt er mehr oder weniger offen im Streit. Das sind alles Leute, denen er sehr viel verdankt. Ich bin mir sicher, dass er Franz Beckenbauer, Mohamed bin Hammam und Michel Platini die FIFA-Präsidentschaft versprochen hat. Er sichert sich so Verbündete auf Zeit. Doch wenn es dann wirklich drauf ankommt, lässt er sie wieder fallen.
Was treibt ihn an?
Er liebt die Macht, die Ehrerbietungen und den Einfluss. Er sagt, er wolle den Rest der Welt gegen die Gier der Europäer schützen. Das ist seit bald 40 Jahren seine Mission. So macht man sich Verbündete und sichert sich seine Macht.
Leidet der Fußball unter der FIFA mit Sepp Blatter an der Spitze?
Nein, wir dürfen den Einfluss der FIFA auf den Fußball nicht überschätzen. Der Fußball wird in den Spitzenklubs und den großen Ligen entwickelt. Den meisten Delegierten ist es schlicht egal, wer da oben steht, solange sie finanziell versorgt werden. Aber fest steht auch: so lange Blatter an der Spitze des Weltfußballverbandes bleibt, wird die Fifa ihren Ruf der Korruption nicht los. Und das ist für den Fußball kein guter Zustand.
Ist die FIFA überhaupt noch zu reformieren?
Die Strukturen der FIFA sind nicht schlecht, die handelnden Personen sind das Problem. Die angestoßenen Reformen und die vielen Kommissionen sind vor allem ein Instrument des Machterhalts. Die FIFA braucht wirkliche Transparenz. Das fängt beim Gehalt von Sepp Blatter an. Was verdient der? Und warum verschweigt er es?
Was schätzen Sie, wie hoch wird sein Jahresgehalt sein?
Ich denke, dass heute sein Gehalt in einem zweistelligen Millionenbereich liegt. Blatter glaubt ja, dass die FIFA ein Großkonzern ist. Doch er vergisst: die FIFA ist konkurrenzlos.
Ist sie das denn wirklich? Wie wichtig ist der Weltfußballverband?
Die FIFA ist nützlich, aber es ginge auch ohne sie. Aber sie hat es geschafft, sich für unverzichtbar zu erklären. Die FIFA und die katholische Kirche funktionieren nach dem gleichen Prinzip: Gehorsam. Nur wenn keiner mehr gehorcht, haben beide ein Problem.
Der europäische Fußballverband UEFA und sein Präsident Michel Platini versuchen das momentan und begehren gegen Sepp Blatter auf. Ist das ein Problem für die FIFA?
Es gibt bei der WM keinen Teilnahmezwang. Die UEFA könnte einfach sagen: wir nehmen nicht mehr an der WM teil. Dafür laden wir im Gegenzug z.B. Brasilien und Argentinien zu unserem Turnier ein. Theoretisch wäre das möglich. Doch dafür fehlt es auch in Europa an Zusammenhalt.
Noch gibt es eine FIFA-WM. Doch die Vergabepraxis steht seit einiger Zeit in der Kritik. Wie würden Sie über zukünftige Weltmeisterschaften entscheiden lassen?
Ich bin dafür, dass die WM verlost wird. Natürlich müsste es klar definierte Kriterien für die Bewerberländer geben. Aber wenn dann am Ende 3-4 taugliche Kandidaten übrigbleiben, dann sollte das Los entscheiden. Das wäre fair und nicht so anfällig für Korruption.
In Zukunft wird der FIFA-Kongress über die WM-Vergabe entscheiden. Ist das eine Verbesserung?
Nein. Es bedeutet nur, dass das Geschacher der Sportfunktionäre noch größer sein wird als vorher. Und es bedeutet auch, dass nicht unbedingt der beste Kandidat den Zuschlag erhalten wird. Wir müssen festhalten: Die WM ist vor allem ein Fernseh-Ereignis und könnte auch auf dem Mond ausgetragen werden, so lange das Fernsehen dabei wäre.
Leidet der Fußball unter dieser Kommerzialisierung?
Insgesamt finde ich diese Entwicklung unproblematisch. Wir beweinen zwar oft diese Situation, aber daran beteilige ich mich nicht. Durch das viele Geld hat sich der Fußball enorm weiterentwickelt. Das Fernsehen und die Sponsoren sind ein Segen für diesen Sport. Geld schadet nicht dem Fußball, es schadet höchstens dem Ruf des Fußballs.
Dem Ruf des Fußballs schadet auch die Diskussion über die WM-Vergabe an Katar. Glauben Sie, dass Bestechungsgelder geflossen sind?
Bei der FIFA sind alle Spekulationen erlaubt. Katar hat an sich nichts anderes gemacht, als alle anderen Bewerber vorher auch. Sie haben das bestehende System ausgenutzt, es aber wohl gleichzeitig auf die Spitze getrieben. Warten wir mal ab, was die Untersuchung der FIFA ergibt.
Aber mal ehrlich: welcher Funktionär kommt freiwillig auf die Idee, im Sommer in der Wüste Katars Fußball spielen zu lassen?
Die Vertreter der obersten Behörde des Fußballs haben sich jedenfalls nicht für den Fußball entschieden, wie es ihre Pflicht wäre. Es gab bessere Kandidaten.
Wird der Fußball immer mehr zu einem Instrument der politischen Interessenpolitik?
Ja, absolut. Viele Politiker kämpfen um einen Platz auf der Ehrentribüne. Das war früher undenkbar. Jetzt gehen sie in die Kabine und lassen sich ablichten. Und auch bei der WM-Vergabe und Organisation ist die Politik intensiv beteiligt. Es ist ja auch einfach: im Fußball geben alle Leute gerne fremdes Geld aus, um dann die Begeisterung und Euphorie zu genießen. Dass oft unnötig Geld ausgegeben wird, ist denen egal. Südafrika ist das beste Beispiel: Trotz Fußball- WM ist das Land weiter eine Rugby- und Cricket-Nation. Aber eine mit modernen Stadien, die Millionen gekostet haben und jetzt niemand mehr braucht.
Worin besteht für Sie die größte Gefahr für den Fußball?
Das ist mit Sicherheit das Problem der Spielmanipulation. Die Dunkelziffer ist hier erschreckend. Ich habe mich mit Leuten unterhalten, die sagen: Ich kann jedes Spiel manipulieren. Und wenn ich höre, was die so wissen und was die erzählen, dann glaube ich ihnen. Solange keiner merkt, dass betrogen wird, leidet der Fußball nur im Verborgenen. Aber diese Machenschaften sind ein gefährliches Gift.
Glauben Sie, dass Wettbetrüger auch bei WM-Partien ihre Finger im Spiel haben?
Ich fürchte es, aber ich hoffe es nicht. Wenn man aber bedenkt, wie leicht es ist, ein Fußballspiel zu manipulieren, dann finde ich es unrealistisch zu sagen: WM-Spiele werden nicht verschoben. Warum denn gerade dort nicht, wo es um am meisten Geld und Prestige geht? Es gab in der Vergangenheit schon einige WM-Spiele, die zum Nachdenken anregten. Natürlich kann ich nichts beweisen. Aber ich will damit verdeutlichen, dass ich der Wettmafia alles zutraue.
Wann werden wir Guido Tognoni wieder in einem offiziellen Fußballamt sehen?
Damit habe ich abgeschlossen. Wer einmal unter den Dampfreiniger der FIFA geraten ist, für den gibt es im Fußball nur noch wenige Nischen. Und ich wurde ja sogar zweimal getroffen.
Interview: Jan Thies
TV-Hinweis: auf Servus TV, Talk im Hangar 7, Donnerstag 22.15 Uhr: "Geld, Gier, Größenwahn: Schadet die FIFA dem Fußball?". Moderation: KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter.
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