Lionel Messis Reifeprüfung
Argentinien wartet seit 1986 auf den WM-Titel. Vor 28 Jahren führte Diego Maradona in Mexiko die Albiceleste (Spitzname der Nationalmannschaft) zum Triumph, der damals beste Fußballer der Welt war mit nicht ganz 26 Jahren auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft.
26 Jahre, so alt ist auch Lionel Messi, wenn am 12. Juni die WM in Brasilien beginnt. Nun soll jener Spieler auch im Team das zeigen, was er beim FC Barcelona auf den Rasen zaubert. Im Dress der Katalanen ist Messi der Mann der Rekorde:
Erster Spieler, dem vier Hattricks in der Champions League gelingen (2013).
Erster Spieler, der drei Mal den Goldenen Schuh als bester europäischer Torschütze gewinnt.
Erster Spieler, der es schafft, in elf Ligaspielen in Folge zu treffen.
Rekordtorschütze in einem Kalenderjahr (91 Tore im Jahr 2012).
Rekordtorschütze in der Geschichte des FC Barcelona (381 Treffer).
Und bald ist er der Rekordtorschütze der spanischen Liga: Messi hält bei 245 Toren, Telmo Zarra hat es in den 1940er- und 50er-Jahren auf 251 gebracht.
Vier Mal wurde Messi zum Weltfußballer gewählt. Sechs Mal hat er die spanische Meisterschaft gewonnen, zwei Mal die Champions League.
Unterfordert
Argentiniens Teamchef ist überzeugt, dass sein Schützling diese Bezeichnung schon jetzt verdient. Alejandro Sabella sieht aber auch die Realität: "Er spielt für Barcelona so großartig, dass eine gute Leistung bei uns im Team aussieht, als ob er unterfordert sei."
Seit Messi von Frank Rijkaard im Jahr 2004 in Barcelona zum Stammspieler gemacht wurde, hat er im Schnitt 0,88 Tore pro Spiel erzielt. Im Nationalteam sind es nur 0,5.
In seiner Heimat hängt ihm nach, dass er Argentinien schon mit 13 Jahren verlassen hat. Die Fans munkeln, dass er sich mehr als Spanier fühle denn als Argentinier.
Aber die Erklärungen für die zwei Gesichter des Lionel Messi gehen weit tiefer. So hat er in seiner Karriere bei Barcelona nur unter drei Trainern gespielt: Rijkaard, Guardiola und Martino. Er spielt bei Barcelona seit fast 14 Jahren im selben System. Und er hat Spieler wie Xavi und Iniesta um sich, die wie er auch in diesem System groß geworden sind.
Den Dress des argentinischen Teams hat er erstmals 2004 übergezogen. Das war unter José Pekerman. Dem folgten Alfio Basile, Diego Maradona, Sergio Batista und Alejandro Sabella nach. Jeder dieser Teamchefs bevorzugte aber einen eigenen Stil. Und just unter Diego Maradona, in dessen Fußstapfen als kickender Volksheld er treten sollte, hatte er die schlechteste Bilanz – er traf in 16 Spielen unter dessen Leitung nur drei Mal.
Beim Südamerika-Cup 2011 gab es für die Argentinier den großen Schrecken. Man schied im Viertelfinale im Elferschießen gegen Uruguay aus. Alejandro Sabella wurde Teamchef. Der machte Messi zum Kapitän und sortierte Carlos Tévez aus. Der Juventus-Stürmer hatte den entscheidenden Elfer vergeben und hindert – in den Augen des Teamchefs – Messi daran, sich entfalten zu können.
Vorbild statt Führer
Sabella selbst gibt aber zu, dass Messi weit weg davon ist, ein caudillo zu sein, ein charismatischer Führer, wie es Maradona war. Sabella erwartet von Messi, dass er mit seinen fußballerischen Taten zum Anführer des Teams wird. "Er ist mein Schlüsselspieler", erklärt der Coach.
Und das Ergebnis gibt ihm recht: Nicht nur, dass Argentinien die WM-Qualifikation auf Platz eins beendet hat. Seit Sabella seine Mannschaft um Messi herum gebaut hat, blüht dieser auch im Team auf, er erzielte in den 14 WM-Qualifikationsspielen zehn Tore.
WM 2006
Beim 2:1 gegen die Elfenbeinküste kam Messi nicht zum Einsatz. Beim 6:0 gegen Serbien kam er in der 75. Minute und erzielte das sechste Tor. Beim 0:0 gegen die Niederlande spielte er bis zur 70. Minute. Im Achtelfinale gegen Mexiko (2:1 nach Verlängerung) kam er in der 84. Minute. Argentinien schied im Viertelfinale mit 2:4 im Elferschießen (1:1 nach 120 Minuten) gegen Deutschland aus, Messi kam nicht zum Einsatz.
WM 2010
Lionel Messi spielte in Südafrika alle fünf Partien, die Argentinien bestritt, durch. In der Vorrunde wurde Nigeria 1:0 geschlagen, Südkorea 4:1 und Griechenland 2:0. Weil Mascherano gegen die Griechen nicht dabei war, trug Messi die Kapitänsschleife. Im Achtelfinale gab es ein 3:1 gegen Mexiko, im Viertelfinale eine bitter 0:4-Schlappe gegen Deutschland. Messi erzielte keines der zehn argentinische Tore dieser WM.
Die wohl interessante Geschichte rund um Alejandro Sabella trug sich 1978 zu. Argentinien war gerade Weltmeister geworden. Ein gewisser Diego Maradona schmollte, weil er – obwohl erst 17 Jahre – von Teamchef Cesar Luis Menotti nicht für die WM nominiert worden war.
Und Sheffield United wollte die Gunst der Stunden nutzen und den Youngster aus Argentinien auf die Insel zu holen. Doch der winkte ab, fühlte sich schon damals zu Höherem berufen als zur zweiten englischen Liga. Sheffield holte daher Alejandro Sabella. Der damals 23-Jährige war wie Maradona ebenfalls offensiver Mittelfeldspieler, war beim Traditionsverein River Plate groß geworden.
Englischer Patient
Immerhin 160.000 Pfund ließ sich Sheffield den Argentinier kosten, verkaufte ihn zwei Jahre später gar um 400.000 Pfund an den Erstliga-Verein Leeds. Dort blieb er aber nur eineinhalb Jahre, kehrte 1982 wieder in seine Heimat zurück.
Mit 35 Jahren beendete er 1989 seine Karriere als Aktiver und widmete sich sogleich dem Trainerjob. Er war Co-Trainer von Daniel Passarella, einem der argentinischen WM-Helden. Sabella kannte Passarella aus gemeinsamen Zeiten bei River Plate. Dort werkten die beiden als Trainerteam bis 1994, Sabella folgte Passarella als Assistent zu den Nationalteams von Argentinien und Uruguay, nach Parma, São Paulo und Monterrey.
Erst 2009 nahm Sabella einen Job als Cheftrainer an, gewann mit Estudiantes auf Anhieb den höchsten Klubtitel Südamerikas (Copa Libertadores). Bei der FIFA-Klub-Weltmeisterschaft erreichte Estudiantes das Finale, das man gegen den FC Barcelona erst in der Verlängerung 1:2 verlor. Sein Ziel für die WM in Brasilien ist endlich nach 1990 wieder unter den letzten vier Teams zu stehen – sprich: das Semifinale zu erreichen.
Argentinien spielt in einer Gruppe mit Nigeria, Bosnien und Iran. "Das ist sicherlich keine Todesgruppe, was auch ein Begriff ist, den ich normal nicht verwende", sagt Sabella. Er ist recht zuversichtlich. "Unser größter Gegner sind wir selbst. Wir dürfen nicht nachlassen und müssen in jedem Spiel so viel geben, als wäre es das Endspiel."
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