"Deutschland ist mein Favorit für das Finale"

Herzogs Bilanz: „Die WM war ein absoluter Traum“.
Andreas Herzog zieht eine WM-Bilanz und erklärt, warum er vom brasilianischen Fußball enttäuscht ist.

KURIER: Herr Herzog, am Dienstag ist das US-Team gegen Belgien im Achtelfinale ausgeschieden. Sind Sie stolz oder doch enttäuscht, dass es nichts mit dem Viertelfinale wurde?

Andreas Herzog: Es ist ein Mix aus beidem. Keiner hätte uns zugetraut, dass wir die Todesgruppe mit Deutschland und Portugal überstehen. Das macht uns stolz. Aber trotzdem war die Chance beim Achtelfinale bis zuletzt da, dass wir doch noch den Ausgleich schaffen und wenn die Entscheidung im Elfmeterschießen fällt, wäre alles möglich gewesen.

Nach dem Ausfall von Superstar Neymar: Wer ist nun für Sie Favorit?

Bis zu den Viertelfinalspielen gab es für mich keinen Favoriten. Denn alle Mannschaften zeigten Schwächen. Deswegen waren die Achtelfinalspiele alle sehr eng, die Mannschaften spielten alle auf Augenhöhe. Für den Finaleinzug ist Deutschland mein Favorit. Sie haben gegen eine starke französische Mannschaft gewonnen und mit Manuel Neuer haben die Deutschen eine Wand im Tor stehen. Brasilien ohne Neymar? Sie werden es schwer haben. Er war der Einzige, der noch brasilianischen Fußball gezeigt hat. Beim Viertelfinale haben sie ab der 70. Minute die Bälle nur mehr hoch gespielt. Das war enttäuschend. Früher hatten sie noch einen Ronaldo oder einen Ronaldinho. Aber bei Spielern wie Fred muss man nicht vor Begeisterung mit der Zunge schnalzen.

Der Heimvorteil spielt keine Rolle?

Den Heimvorteil haben sie bis jetzt noch nicht nützen können. Die Heim-WM scheint die Brasilianer sehr unter Druck zu setzen und schwächt sie.

Das US-Team hat eine Fußball-Euphorie in den USA ausgelöst. Sogar Präsident Barack Obama hat zum Aufstieg ins Achtelfinale gratuliert ...

Die Gratulation vom US-Präsidenten haben wir vom Team-Pressesprecher übermittelt bekommen. Auf Twitter konnte man lesen, dass Barack Obama sich auch die Spiele angeschaut hat. Vizepräsident Joe Biden flog mit seiner Enkelin extra nach Brasilien und kam überraschend in die Kabine. Ich war gerade unter Dusche, als ich aus dem Trainerkammerl nur mit einem Handtuch bekleidet in die Kabine kam, stand plötzlich der US-Vizepräsident samt seinen Bodyguards, die ziemlich grimmig schauten, vor mir. Das passiert auch nicht alle Tage. Zum Glück war ich nicht ganz nackt (lacht). Aber Joe Biden war sehr locker zu den Spielern.

Was war das Erfolgsgeheimnis des US-Teams?

Wir haben uns fünf Wochen in Stanford an der Westküste intensiv vorbereitet. Wir wussten, in Brasilien erwarten uns extreme klimatische Verhältnis, deswegen setzten wir alles daran, ein extrem fittes Team zu haben. Das war unsere Chance, denn wir haben keinen Bastian Schweinsteiger oder Thomas Müller auf der Ersatzbank sitzen. Wenn man wie in Manaos bei 35 Grad und 97 Prozent Luftfeuchtigkeit spielt, kann man gar nicht so viel trinken, wie man während eines Matches an Flüssigkeit wieder verliert. Dazu kam, dass nach jedem Match ein drei bis vier Stunden langer Flug ins Quartier am Programm stand. Das waren für alle extreme Strapazen.

Wenn die Spieler schon in Brasilien an die Grenzen ihrer Kräfte gehen, wie wird es 2022 in Katar werden?

Alles, was recht ist, aber eine WM in Katar geht gar nicht. Und ich bin neugierig, ob die FIFA es schafft, die europäischen Klubs zu überzeugen, dass die WM im Winter stattfindet.

Jürgen Klinsmann gilt als akribischer Trainer. Was kann man als Co-Trainer von ihm lernen?

Es ist beeindruckend, auf welchem Niveau und mit welchen Emotionen er die Spieler überzeugt, dass sie gewinnen können, auch wenn sie Außenseiter sind. Diesen Spirit jedes Spiel gewinnen zu können, vermittelt er unheimlich gut. Man spürt einfach, dass er als Fußballer in einer Mannschaft spielte, wo bei jedem Match ein Sieg möglich war. Das ist eine ganz andere Einstellung.

Und bei der Taktik?

Jürgen Klinsmann ist sehr detailverliebt und offen für neue Trainingsmethoden. So haben wir wochenlang Standardsituationen über ein Computerprogramm einstudiert.

Ganz ehrlich: Hätte Österreich bei der WM eine Chance gehabt?

Das ist schwer zu sagen. Alle Teams haben auf einem Top-Niveau gespielt. Selbst Australien, das zwar keinen Punkt bei der WM machte, hatte eine tolle Mannschaft. Bis jetzt ist es eine fantastische WM. Selbst Mannschaften wie Algerien, die Außenseiter sind, haben Fußballnationen wie Deutschland gefordert.

Welcher Spieler ist für Sie die Überraschung der WM?

Er ist zwar seit Freitagabend nicht mehr dabei, aber James Rodríguez war die Entdeckung der WM. Ich erinnere mich, dass ich überrascht war, als er für 45 Millionen Euro vom FC Porto nach Monaco wechselte, weil er ein relativ unbekannter Mittelfeldspieler war. Jetzt weiß man, warum. Rodriguez konnte befreit aufspielen, bei jedem Spiel war das Stadion gelb gefärbt, da hat er sich in einen Rausch gespielt.

Haben Sie die US-Hymne bei den Matches mitgesungen?

Ich kann die Hymne ein wenig, aber mitgesungen habe ich nicht.

In der letzten Woche wurde in Österreich diskutiert, ob in der Bundeshymne die Zeile "Töchter und Söhne" stehen soll. Wie singen Sie die Hymne?

Man kann Österreich nur gratulieren, wenn das Land keine anderen Sorgen hat. Ich kann jedem nur empfehlen nach Brasilien zu fahren, wo millionenteure Stadien gebaut werden und die Menschen mit ihren Kindern unter Autobahnbrücken oder in Holzbaracken wohnen. Das sind wirkliche Probleme und ich habe auch für die Proteste Verständnis. Als wir in Recife gegen Deutschland spielten, fuhren wir am Weg ins Stadion durch ein Armenviertel. Der Anblick hat uns so traurig gemacht, dass unsere Gedanken zwei Stunden vor dem Match gar nicht bei Deutschland waren.

Werden Sie das US-Olympia-Team als Cheftrainer coachen?

Ich muss jetzt erst einmal eine Woche abschalten. Im Schlaf glaube ich immer noch, das sich bei WM bin, und denke an das Training. Bei einer WM erlebt man viel positiven Stress. Aber jede Sekunde war ein absoluter Traum für mich.

"Deutschland ist mein Favorit für das Finale"
epa04283885 USA's German heads coach Juergen Klinsmann gestures next to assistant coach Andreas Herzog during the FIFA World Cup 2014 group G preliminary round match between the USA and Germany at the Arena Pernambuco in Recife, Brazil, 26 June 2014. (RESTRICTIONS APPLY: Editorial Use Only, not used in association with any commercial entity - Images must not be used in any form of alert service or push service of any kind including via mobile alert services, downloads to mobile devices or MMS messaging - Images must appear as still images and must not emulate match action video footage - No alteration is made to, and no text or image is superimposed over, any published image which: (a) intentionally obscures or removes a sponsor identification image; or (b) adds or overlays the commercial identification of any third party which is not officially associated with the FIFA World Cup) EPA/MARCUS BRANDT EDITORIAL USE ONLY
Es ist schon sehr lange her (WM 1982 in Spanien), dass ein Österreicher im Achtelfinale bei einer Fußball-WM stand. Andreas Herzog bereitete als Co-Trainer von Jürgen Klinsmann über zwei Jahre lang das US-Team auf die WM in Brasilien vor. Es war ein kleines Fußballwunder, dass die USA den Aufstieg in der "Todesgruppe" mit Portugal und Deutschland schafften. "Nun ist in den USA Fußball im Aufwind", so Herzog.

Der zweifache Vater nahm mit Österreich zwei Mal (1990 Italien & 1998 Frankreich) an einer WM teil. Insgesamt spielte er 103-mal im Team und schoss 26 Tore. Seine Glanzzeit hatte er Anfang der 90er-Jahre. 1992 wechselte er in die deutsche Bundesliga und wurde in der ersten Saison bei Werder Bremen Meister und 1994 Pokalsieger.

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