Matthias Mayer Abfahrts-Olympiasieger
Da lagen sich Bruder Lucas und Mutter Margret Mayer in den Armen, da umarmte Bernhard Russi ÖSV-Sportdirektor Hans Pum, da zogen die Konkurrenten Hüte – doch Matthias Mayer konnte gar nicht so recht glauben, was da alles um ihn herum geschah an diesem Sonntagmittag in Rosa Chutor.
Aber es stimmt: Der 23-Jährige ist der dritte Kärntner Olympiasieger in der Abfahrt nach Franz Klammer 1976 und Fritz Strobl 2002, Matthias Mayer hat den österreichischen Herren nach 15 goldlosen Speedrennen bei Großereignissen endlich wieder den so ersehnten ersten Platz beschert.
Es war eine Goldmedaille mit Ansage: Im Februar 2012, als Mayer bei den Weltcup-Testrennen für Olympia diese vom Schweizer Ex-Weltmeister Bernhard Russi konzipierte Piste erstmals sah, da ahnte er, dass sie seine Bühne werden könnte. Doch im folgenden Sommer schien es lange, als sei seine Karriere schon zu Ende, ehe sie so richtig begonnen hatte: Entzündete Gelenke, Fieber und Erschöpfungszustände machten Mayer zu schaffen, er musste ins Spital. Schließlich wurde eine reaktive Arthritis als Folge einer Lebensmittelvergiftung erkannt und medikamentös behandelt.
Doch was einerseits half, zwang Mayer zeitweise sogar in den Rollstuhl – der Kärntner verlor 13 Kilo an Gewicht, eine Folge der Medikamente. „Es war eine sehr, sehr große Lernphase in meinem Leben“, sagte der 23-Jährige, „die Gesundheit steht über allem. Und ich habe gelernt, die Ruhe zu bewahren und geduldig zu bleiben. Das kommt mir sehr entgegen.“
Die österreichischen Abfahrts-Olympiasieger
Der Aufstieg
Die Verantwortlichen ahnten, was für einen Rohdiamanten sie da in ihrem Europacupkader haben und nahmen Mayer in die Topgruppe auf. Ende November 2012 wurde diese Maßnahme erstmals belohnt: In Lake Louise wurde der Kärntner im Super-G Sechster, im Jänner 2013 stand er als Zweiter im Super-G von Wengen erstmals auf dem Podest.
Und im vergangenen Sommer hörte er – mit Recht – auf seine Trainer um Andreas Puelacher und Headcoach Mathias Berthold, die ihm rieten, viel Riesenslalom zu üben, „da muss ich wirklich danke sagen.“ Denn der obere Teil der Olympiapiste im Kaukasus ist einer, der genau diese Fähigkeiten erfordert: eng, steil, stark drehend. „Ich habe mir die Strecke 2012 sehr gut eingeprägt“, sagte Mayer nun, „und im vergangenen Sommer habe ich mir wieder und wieder vorgestellt, wie ich am Start stehe und dann eine Superfahrt habe. Ob beim Laufen, im Kraftraum oder sonst wo.“
Und er hatte die Strecke immer im Griff bei diesen Olympischen Spielen. Ob bei den Trainings oder an diesem Sonntag, Mayer war von Aksel Lund Svindal, Christof Innerhofer und Bode Miller wieder und wieder als Favorit genannt worden. „Warum grinst du denn die ganze Zeit“, hatte etwa Svindal bei der Streckenbesichtigung vor dem Training am Freitag wissen wollen. Mayers Antwort: „Ich hab’ ja jeden Grund dazu, gut drauf zu sein.“ Was der Kärntner erst als Psycho-Spielchen der Etablierten abgetan hatte, das große Lob, das ihm die Konkurrenz angedeihen ließ, sollte einen goldenen Hintergrund bekommen. Mit Lob, das ihm übertrieben vorkommt, geht Matthias Mayer vorsichtig um. Denn: „In Österreich werden gerade junge Sportler schnell hochgeschrieben.“
Er selbst verlässt sich da lieber auf sein Gefühl. Und das war am Morgen vor dem Rennen ausgezeichnet: „Ich hab gewusst, dass alles passt, Materialabstimmung, Gelände, Kurven, ich hatte ein sehr gutes Selbstvertrauen.“ Zudem hatte Wohngemeinschaftskollege Romed Baumann frisches Gebäck und Marmelade für Mayer und Mitbewohner Max Franz aufgetischt.
Das Quäntchen
„Natürlich war auch ein bissl Glück dabei, die Startnummern bis zehn, fünfzehn waren im Vorteil, weil nachher die Sonne rausgekommen ist und die Strecke dann im unteren Teil weicher und langsamer geworden ist.“ Mayer hatte die Nummer elf, und Co-Favorit um Co-Favorit biss sich an seinen 2:06,23 Minuten die Zähne aus. Bode Miller (USA/15) wurde nach starkem Start Achter, Aksel Lund Svindal (Nor/18) baute zwei kleine Fehler ein und wurde Vierter, am nächsten kam Mayer noch Christof Innerhofer (It/20) mit sechs Hundertstelsekunden Abstand, doch wo sich manch einer geärgert hätte bis zum Anfall, da jubelte der Südtiroler, als hätte er Gold, Silber und Bronze zugleich gewonnen.
„Mein Ziel war eine Medaille“, sagte Innerhofer, „und die mit der besten Fahrt des ganzen Winters am Tag X zu erreichen, da hab’ ich meinen Emotionen freien Lauf gelassen.“
Matthias Mayer hingegen hatte das Pech der frühen Startnummer und bangte, ob seine Fahrt nun wirklich genügen würde. „Ich hatte ja einen Fehler, und erst als Bode Miller hinter mir war, da hab’ ich mir das erste Mal gedacht, dass das eine Medaille werden könnte. Und Innerhofer war ja teilweise sechs Zehntel vor mir.“ Das Bangen ging weiter, als Titelverteidiger Didier Défago mit Nummer 28 an der ersten Zwischenzeit 24 Hundertstel vor Mayer lag und an der zweiten noch 13. Doch auch der Schweizer war chancenlos.
„Danach bin ich von Reporter zu Reporter herumgereicht worden, da hab’ ich zum ersten Mal den Eindruck gehabt, dass ich wohl gewonnen hab’.“ Ein neuer Eindruck, denn bislang war ein fünfter Platz Mayers beste Platzierung in einer Abfahrt gewesen. Viele weitere sollten folgen: Siegerehrung im Olympiapark von Sotschi, Umarmungen, Händeschütteln, Interviewmarathons.
Der Tourist
Matthias Mayer gehört zu jenen Sportlern, die bei diesen Olympischen Spielen so richtig aufleben und immer wieder an anderen Stellen auftauchen: Er war beim Ski-Slopestyle Zuschauer, als seine Kärntnerin Anna Gasser die Qualifikation gewann, war bei der Eröffnungsfeier, er saugt die Eindrücke so richtig auf. „Mir taugt das Drumherum hier, es ist eine schöne Abwechslung zum Weltcup.“
Apropos Abwechslung: Die fand Mayer früher auf dem Skateboard oder heute auf dem Mountainbike, und hin und wieder auch im Funpark. Doch vorläufig ist noch Olympia rot im Kalender angestrichen. Denn am Freitag steht die Superkombination auf dem Fahrplan – und am Sonntag folgt Mayers Spezialdisziplin Super-G.
Den Sieger erreichten vor allem über die sozialen Medien zahlreiche Glückwünsche. Selbst Franz Klammer gratulierte. Der Goldjunge bedankte sich via Twitter.
Herren-Olympia-Abfahrt | |||
1. | Matthias Mayer (AUT) | 2:06,23 | Min. |
2. | Christof Innerhofer (ITA) | 2:06,29 | +0,06 |
3. | Kjetil Jansrud (NOR) | 2:06,33 | +0,10 |
4. | Aksel Lund Svindal (NOR) | 2:06,52 | +0,29 |
5. | Travis Ganong (USA) | 2:06,64 | +0,41 |
6. | Carlo Janka (SUI) | 2:06,71 | +0,48 |
7. | Peter Fill (ITA) | 2:06,72 | +0,49 |
8. | Bode Miller (USA) | 2:06,75 | +0,52 |
9. | Max Franz (AUT) | 2:07,03 | +0,80 |
10. | Erik Guay (CAN) | 2:07,04 | +0,81 |
11. | Dominik Paris (ITA) | 2:07,13 | +0,90 |
12. | Werner Heel (ITA) | 2:07,16 | +0,93 |
13. | Beat Feuz (SUI) | 2:07,49 | +1,26 |
14. | Didier Defago (SUI) | 2:07,79 | +1,56 |
15. | Patrick Küng (SUI) | 2:07,82 | +1,59 |
16. | David Poisson (FRA) | 2:07,83 | +1,60 |
17. | Georg Streitberger (AUT) | 2:07,86 | +1,63 |
18. | Adrien Theaux (FRA) | 2:07,89 | +1,66 |
19. | Benjamin Thomsen (CAN) | 2:08,00 | +1,77 |
20. | Ondrej Bank (CZE) | 2:08,24 | +2,01 |
21. | Jan Hudec (CAN) | 2:08,49 | +2,26 |
22. | Klaus Kröll (AUT) | 2:08,50 | +2,27 |
23. | Alexander Glebow (RUS) | 2:08,96 | +2,73 |
24. | Klemen Kosi (SLO) | 2:08,98 | +2,75 |
25. | Manuel Osborne-Paradis (CAN) | 2:09,00 | +2,77 |
26. | Guillermo Fayed (FRA) | 2:09,03 | +2,80 |
27. | Steven Nyman (USA) | 2:09,15 | +2,92 |
28. | Paul De La Cuesta (ESP) | 2:09,46 | +3,23 |
29. | Natko Zrncic-Dim (CRO) | 2:09,80 | +3,57 |
30. | Marco Sullivan (USA) | 2:10,10 | +3,87 |
Matthias MAYER (23 Jahre)
Geboren: 9. Juni 1990 in St. Veit/Kärnten Wohnort: Afritz am See/Kärnten Größe/Gewicht: 1,79 m/87 kg Familienstand: ledig Verein: SC Gerlitzen Hobbys: Mountainbiken, Freunde Homepage: www.matthiasmayer.atGrößte Erfolge:
Olympia: Gold Abfahrt 2014 Sotschi
WM: 5. Super-G 2013 Schladming
Weltcup: Zweimal 2. Super-G (Kitzbühel 2013, Lake Louise 2013)
Junioren-WM: Silber Super-G 2008 Formigal
Matthias Mayer (AUT/Olympiasieger): "Wahnsinn. Das ist das Größte, was man als Sportler in meiner Sportart erreichen kann. Ich habe bei den letzten Rennen schon am Podest gekratzt. Ich habe gewusst, da herunter habe ich es drauf. Dass es jetzt wirklich geklappt hat, ist unglaublich. Da fehlerfrei herunterzufahren ist fast unmöglich. Die Nummern von 8 bis 15 waren vielleicht ein bisschen bevorteilt. Danach ist die Sonne herausgekommen, aber so ist der Skisport. Ich bin ins Rennen gegangen und wollte den Einser sehen. Ich bin mit dem Bode (Miller) in der Früh Lift gefahren, der war sehr nervös. Als er hinter mir, habe ich gewusst, dass es gut war."Christof Innerhofer (ITA/Silber): "Ich versuche, die Großereignisse als Chance zu nützen - no risk, no fun. Ich komme lieber ins Ziel und habe Fehler gemacht, als dass ich nicht alles versucht hätte. Im Ziel habe ich mir gedacht: 'Wow, das war eine coole Fahrt.' Es war mein großes Ziel, noch eine Medaille zu holen. Es ist unglaublich." Zu Matthias Mayer: "Er war für mich einer von den Topfavoriten. Er ist einer der besten Skifahrer. Er kann so gut Skifahren, er kann so gut Kurven fahren. Man sieht, dass er vom Riesentorlauf kommt - ähnlich wie der Hannes Reichelt. Der wird uns noch viel ärgern.Kjetil Jansrud (NOR/Bronze): "Es war eine schwierige Abfahrt. Ich habe heute riskiert und bin so gefahren, wie es möglich ist. Ich bin superzufrieden. Wenn bessere Skifahrer vor mir sind, dann ist das kein Problem. Gratulation auch an Österreich."Aksel Lund Svindal (NOR/Vierter): "Ich bin nicht gut genug gefahren. Ich habe viele Fehler gemacht, dadurch war ich zu langsam. Viele haben gesagt, es geht zwischen Bode (Miller) und mir. Aber ich habe gewusst, dass da noch andere sind. Matthias (Mayer) ist hier am besten gefahren. Bode hat hier immer gute Teilzeiten gehabt, aber Matthias war der Konstanteste. Er hat verdient gewonnen."Bode Miller (USA/Achter): "Ich bin nicht schlecht gefahren. Ich habe ein paar kleine Fehler gemacht, aber nichts, was mich wirklich viel Zeit gekostet hat. Die Bedingungen haben sich etwas geändert. Die schlechte Sicht hat mir nicht wirklich geholfen. Es ist hart, wenn du im Training so gut fährst und dann ändern sich die Bedingungen. Bei schlechterer Sicht muss man automatisch schlechter fahren. Ich habe Fehler gemacht und war trotzdem schnell. Ich weiß nicht wirklich, wo ich die Zeit verloren habe."Max Franz (AUT/Neunter): "Oben herunter war es nicht so schlecht. Die Einfahrt ins Flache habe ich nicht so gut erwischt. Der Rückstand ist schnell einmal beisammen. Es war alles zusammen ein bisschen zu viel." Zu Matthias Mayer: "Es ist voll geil. Es taugt mir voll für ihn. Österreich hat wieder Gold in der Abfahrt, wieder für einen Kärntner."Hans Pum (ÖSV-Sportdirektor): "Mir gefällt das irrsinnig. Mir gefällt es für den Matthias, aber auch für die ganze Mannschaft. Österreich hat wieder einen Olympiasieger in der Abfahrt. Er hat noch keinen Stockerlplatz (in der Abfahrt/Anm.) gehabt, aber er hat hier im Training schon gezeigt, dass er stark ist. Ich habe gehofft, dass er die Trainingsleistungen umsetzt. Man hat in letzter Zeit schon gesehen, dass er selbstsicherer fährt. Er fährt mit einer gewissen Lockerheit, das macht schon etwas aus."Heinz Fischer (Bundespräsident): "Matthias Mayer hat mit einer mutigen und engagierten Fahrt gewonnen und damit den Beginn der Olympischen Spiele in Sotschi für das österreichische Olympia-Team vergoldet. Ganz Österreich freut sich mit Matthias Mayer und über den hervorragenden Auftakt bei den Spielen in Sotschi, wozu auch der Gewinn der Silbermedaille durch Dominik Landertinger gestern, Samstag, im Biathlon beigetragen hat."Werner Faymann (Bundeskanzler): "Den ersten Sieg gleich mit einer olympischen Gold-Medaille zu feiern, ist natürlich etwas ganz Besonderes. Ich gratuliere Matthias Mayer ganz herzlich und wünsche der gesamten Olympia-Mannschaft alles Gute für die kommenden Bewerbe. Leider bleibe ich nur bis morgen in der Früh, aber ich werde auch von zu Hause die Daumen drücken. Wir sind wahnsinnig stolz auf unsere Helden. Es fängt doch alles ganz toll an für Österreich."Gerald Klug (Sportminister): "Wir haben eine Sternstunde des österreichischen Sports erlebt. Matthias Mayer hat mit einer grandiosen Fahrt alle Mitfavoriten hinter sich gelassen und auf einer der selektivsten Olympiaabfahrten aller Zeiten in beeindruckender Manier Gold geholt. Dieser Triumph im ersten Rennen wird unsere Alpinen weiter beflügeln. Die ganze Republik ist stolz auf ihre Athleten, die sind international geachtet."Peter Schröcksnadel (ÖSV-Präsident): "Wir haben seit langer Zeit wieder einen Abfahrtsolympiasieger, das freut uns besonders."Franz Klammer (Abfahrts-Oympiasieger 1976): "Vorher wurde viel schwarz gemalt, dass wir keine Chance haben. Jetzt haben wir die Goldene. Ich hatte den Matthias vor dem Rennen auf der Liste, für mich war er ein echter Medaillenkandidat. Er war in diesem Rennen der Konstanteste, der Coolste. Bode Miller hatte ein bisschen Pech mit der Sicht, Aksel Lund Svindal hat einfach zu viele Fehler gemacht. Matthias ist nach den Trainings in den Favoritenkreis aufgestiegen, ist aber mit dieser Rolle perfekt umgegangen. Er ist keiner, der herumschreit, er zeigt sein Können lieber auf der Piste."Fritz Strobl (Abfahrts-Olympiasieger 2002): "Ich bin nicht überrascht gewesen, weil Matthias zuletzt gezeigt hat, dass er in Topform ist. Er nimmt Risiko, wird aber auch immer konstanter. Der kleine Fehler oben war im Steilen und hat ihn angestachelt. Es war eine absolut würdige Leistung, auf dieser schwierigen Abfahrt und bei diesen Bedingungen die Leistung auf den Punkt zu bringen. Sind es die Kasnudeln oder die Kärntner Luft? (lacht) Es erinnert mich auf jeden Fall an früher, da haben sich mit Werner Franz, Christian Mayer und mir auch drei Kärntner gegenseitig gepusht. Jetzt ist auch im Super-G alles möglich. Auch Gold, wenn er das Hoch ausnutzt."
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