Das olympische Reinheitsgebot

Freie Wahl: Mistkübel en masse

Für meine Begriffe war der Mistkübel schon überdurchschnittlich sauber. Grün und glänzend stand er da an der Bushaltestelle in Krasnaja Poljana und erfüllte seinen Zweck wunderbar. Am großen Busbahnhof, den wir Olympia-Geeichten mittlerweile nur noch lässig "The Hub" nennen (mit gekrächztem H, versteht sich, damit es auch russisch klingt). Dem Mann in der blauen Uniform schien der saubere Plastik-Kübel dennoch ein Dorn im Auge zu sein. So akribisch, wie er diesen polierte mit seinem viel zu kleinen Putzfetzen. Gut möglich, dass danach noch die Kontrolle mit dem weißen Handschuh folgte.

In Sotschi wurde während der Olympischen Spiele ein strenges Reinheitsgebot ausgerufen. Man hat es sich offenbar zum Ziel gesetzt, die saubersten Spiele der Geschichte auszutragen, auf der saubersten Baustelle der Welt. Was bei all dem Staub in der Luft durchaus ein ambitionierter Plan ist.

Da wird gekehrt, gekärchert und geräumt, was das Zeug hält. Pausenlos, 24 Stunden am Tag. So spät kann es gar nicht sein, dass einem auf dem Heimweg nicht noch ein mehr oder weniger nüchterner Mitarbeiter der Straßenreinigung begegnet. Das Kehren bei Mondschein wurde in Sotschi nämlich zur olympischen Disziplin erhoben, die bei jeglichen Witterungsbedingungen ausgetragen wird. Auch bei strömendem Regen. So gesehen am Mittwoch, als in den frühen Morgenstunden ein junger Mann im Dunkeln mitten auf der Kopfsteinpflaster-Straße stand und unmotiviert das Wasser hin- und herwischte. Die Sinnlosigkeit schien ihn nicht zu stören. Auftrag ist schließlich Auftrag. Da kennt er nix.

Der Mistkübel ist in Krasnaja Poljana längst zum unerlässlichen Deko-Objekt geworden. Die Veranstalter können von den praktischen Behältnissen offenbar gar nicht genug bekommen. Alle fünf Meter steht auf dem Weg zum Pressezentrum ein Mistkübel. Der Marsch auf dem Gehsteig wird zum Spießrutenlauf. Der Rekord an gesichteten Kübeln liegt derzeit bei 19 Stück – da kann sich jeder seine ganz persönliche Lieblingstonne aussuchen.

Die Reinlichkeit wird auch im Hotel großgeschrieben: Allabendlich zieht da die Kehrmaschine ihre Kreise und sorgt dafür, dass das Marmor-Imitat nicht nur sauber, sondern auch recht rutschig ist. Da ist Vorsicht geboten auf dem Weg zum Lift. Sonst kann es passieren, dass die eilige Journalistin einen gepflegten Bauchfleck in der Eingangshalle hinlegt. Das soll beinahe schon passiert sein.

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