Bilanz mit olympischen Augenringen

Ringe unter den Augen, Ringe im Rücken: Christoph Geiler, Christina Pertl und Stefan Sigwarth mitten in Sotschi.
Nach 22 Tagen freut sich das Berichterstatter-Trio des KURIER auf den Heimflug.

Jetzt ist dann wirklich gut mit diesen Winterspielen im Frühling. Das meinen auch die Bienen, die ihre Heimat neben dem Österreich-Haus haben: Schon seit zehn Tagen ziehen sie ihre Kreise.

Nach 22 Tagen in und um Sotschi sind die Augenringe in den Gesichtern der drei KURIERe längst auf dem Level "Super Gigant" angelangt. Immerhin, in dem Bewerb, der im Ski-Deutsch Super-G heißt, hat Anna Fenninger ja Gold gewonnen. Nicht selten ging es vor sieben Uhr früh aus dem Hotel, nicht selten wurde erst nach Mitternacht der letzte Punkt ins Redaktionssystem gehämmert.

Es ist Zeit für letzte Blicke zurück – auf Kurioses und Tristes, auf Spezielles und Erfreuliches, das in den letzten drei Wochen zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus entdeckt wurde.

Man lernt so einiges bei Olympischen Spielen. Sotschi 2014 hat gezeigt ...

... dass man sich nie aus Vorurteilen – und mögen sie noch so plausibel klingen – ein Urteil bilden sollte.

... dass Winterspiele in den Subtropen durchaus funktionieren können, was Hoffnung für die Fußball-WM 2022 in Katar macht.

... dass das Chaos bei Weitem nicht so groß war wie befürchtet und wie es in den ersten Tagen via Facebook und Twitter weltweit verbreitet wurde.

... dass viele Klischees über Russland und die Russen schlicht nicht stimmen.

... dass im Kaukasusgebiet die Gefahr, auf einem Zebrastreifen von einem Auto überfahren zu werden, weit größer ist als die Gefahr eines Terroranschlags.

... dass man auch bei Winterspielen Heuschnupfenanfälle bekommen kann.

... dass ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel auf seine alten Tage immer schrulliger wird.

... dass man auch mit kaltem Wasser duschen kann.

... dass man auch den sympathischsten Ausdauerathleten nicht blindlings vertrauen sollte.

... dass Gregor Schlierenzauer und Alexander Pointner keine großen Freunde mehr werden.

... dass man auch mit durchschnittlich vier Stunden Schlaf pro Nacht auskommen kann.

... dass man auch den kommenden Olympischen Winterspielen 2018 im exotischen Südkorea eine Chance geben sollte.

Noch ein letztes Mal überlegen in der Früh, welcher Tag es eigentlich ist.

Noch einmal mit der Gondel zur Arbeit fahren.

Noch einmal auf der Fahrt mit dem bummeligen Schnellzug Kühe, Pferde und Sicherheitsbeamte zählen.

Noch einmal von oben bis unten abgetatscht werden bei der Sicherheitskontrolle.

Noch einmal nach dem Weg fragen und ein Schulterzucken ernten.

Noch einmal das olympische Feuer fotografieren – auf dem hundertsten Bild könnte es ja anders aussehen.

Noch einmal staunen über den Olympia-Park mit seinen imposanten Palästen.

Noch einmal die Sonne am Schwarzen Meer genießen und auf die grandiosen Berge des Kaukasus blicken.

Noch einmal schmunzeln über die Beschallung im Olympia-Park – wieder einmal "Smells like Teen Spirit".

Noch einmal den Kopf schütteln über den Absperrgitter-Wahn, der keine Grenzen kennt. Und wenig Logik.

Noch einmal verlaufen und bei 16 Grad über die Daunenjacke schimpfen.

Noch einmal mit den netten Kollegen lachen und die ungeliebten mit Ignoranz strafen.

Noch einmal Gänsehaut bekommen beim Einlaufen der Eishockey-Stars.

Dann waren meine ersten Olympischen Spiele zu Ende. Schön war’s. Spassiba.

Wie viele Kilometer wir mit Seilbahnen und Bussen und zu Fuß zurückgelegt haben, wir wissen es nicht. An sich war ja der Plan, das alles aufzuschreiben, um eine vernünftige Bilanz vorlegen zu können, aber in all dem Trubel ist die Idee dann einfach verloren gegangen.

Was wir hingegen wissen, ist, dass vieles von dem, was befürchtet worden war, nicht eingetreten ist:

Die Luftabwehrbatterie am alpinen Zielstadion von Rosa Chutor musste keine Angriffe abwehren;

Wir sind nicht in Neuschneemassen versunken;

Die dicken Hauben sind in den Reisetaschen geblieben;

Kein einziges Haus ist eingestürzt;

Und es gab auch kaum Verschiebungen.

Kaum, denn es gab natürlich schon etwa die Seilbahnpanne, die gleich einmal den Start der Herren-Abfahrt um eine Viertelstunde verzögert hat. Und wäre nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Kleinigkeit von 19 Tonnen grobem Salz aus der Schweiz eingeflogen worden, die Alpinen und Snowboarder hätten noch mehr geflucht.

Natürlich war das Essen in den Pressezentren nicht auf Haubenniveau, aber es war (meistens) warm, das reicht, und es war auch sonst nicht schwierig, die Bedürfnisse des menschlichen Daseins zu erfüllen. Bewundernswert war das Team des Hotels des KURIER, das erst einen Tag vor unserer Anreise aufgesperrt hat und wo binnen kürzester Zeit so gut wie alles tadellos funktionierte.

Es war schön, wir haben viele nette Menschen getroffen und eine sagenhafte Gegend kennengelernt. Eines Tages werden wir uns wiedersehen.

Kommentare