Neustart – denn plötzlich ist alles anders

Neustart – denn plötzlich ist alles anders
Eine Sekunde genügt – und Ziele, Karriere, Unternehmen, alles ist dahin. Drei Menschen erzählen.

Ein flüchtiger Moment, eine unachtsame Bewegung, Zufälle – und das Schicksal steuert in die falsche Richtung, wirft das Leben durcheinander, lässt keinen Stein auf dem anderen. Ein Arbeitsunfall, eine Krankheit, eine private Tragödie kann die Karriere, den Berufswunsch, die Lebensziele, die man angepeilt hat, plötzlich in Luft auflösen. Die Krise ist unausweichlich.

Manche Menschen fallen in ein schwarzes Loch. Andere nicht. Eine Frage der inneren Haltung, sagen Resilienzforscher, die sich mit der psychischen Widerstandsfähigkeit gegen Krisen beschäftigen. Resiliente Menschen, so sagen die Psychologen, entwickeln für scheinbar ausweglose Situationen Lösungswege. Arrangieren sich neu, richten ihre Ziele neu aus, schöpfen wieder Kraft und handeln (siehe auch unsere Beispiele). Dass Menschen ihrer herausfordernden Lage zum Trotz erfolgreich sein können, oder es vielleicht gerade deswegen sind, zeigt kaum ein Event so gut wie die Paralympics. Mittlerweile sind die Olympischen Spiele des Behindertensports vielbeachtet, die Österreicher holten am vergangenen Montag elf Medaillen aus Sotschi heim. Matthias Lanzinger ist einer von ihnen.

Es sind bestimmte Faktoren, die uns krisenfest machen, sagt die deutsche Resilienzexpertin Micheline Rampe in ihrem Buch "Der R-Faktor": Optimismus, Akzeptanz der Situation und Selbstakzeptanz, Lösungsorientiertheit, die Fähigkeit zur Selbstmotivation, die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen, Aufbau und Pflege eines stabilen sozialen Umfeldes, die realistische Gestaltung der eigenen Zukunft und die Fähigkeit, die Opferrolle zu verlassen.

Existenziell

Andererseits darf man nicht übersehen: Nicht nur Körper und Psyche sind nach einem folgenreichen (Arbeits-)Unfall oder einer schweren Krankheit angeschlagen. Es geht für die Betroffenen häufig schier um die nackte Existenz. Kündigungsschutz gibt es für Arbeitnehmer im Krankenstand keinen, das Krankenentgelt muss aber auch bei Kündigung so weitergezahlt werden, als wäre das Dienstverhältnis aufrecht. Generell gibt es Krankengeld für maximal ein Jahr. Besonders in ihrer Existenz gefährdet sind bei längerer Arbeitspause Unternehmer. Sie haben einen Anspruch auf Betriebshilfe, wenn sie länger als zwei Wochen für ihr Unternehmen ausfallen. Allerdings gilt das in der Regel für Unternehmer mit Jahreseinkünften von maximal 19.338,12 Euro brutto. Dann erhält man entweder einen finanziellen Zuschuss von maximal 63,96 Euro pro Tag, oder es wird ein Betriebshelfer für maximal 70 Tage zur Verfügung gestellt.

INFO: Infos, Unterstützung und Beratung:

bei Arbeitspause aufgrund Krise/Unfall:

www.unternehmer-in-not.at

www.arbeiterkammer.at/beratung

www.auva.at

Bei Krisen allgemein:

www.promenteaustria.at

www.kriseninterventionszentrum.at

Sommer 2007. Die Flugtickets sind gebucht, die Arbeitsbewilligung hat er in der Tasche. In einem Monat wird Florian Dungl nach Miami fliegen, um Food&Beverage-Manager zu werden und auf einem Kreuzfahrtschiff anzuheuern.

Doch aus dem Traum wird nichts, ein Urlaubstrip mit Freunden nach Lignano verändert alles: Im knietiefen Meer albert er auf der Schulter eines Freundes herum, kippt nach vorn, "ein Seemannsköpfler in den Sand". Der 21-Jährige spürt von einer Sekunde auf die andere seinen Körper nicht mehr, weiß sofort, "ich bin querschnittsgelähmt".

Nach Operationen in Österreich liegt er im Krankenzimmer, vom fünften Halswirbel abwärts gelähmt. Er macht mentales Training, stellt sich vor, wie seine Nervenbahnen gesunden, versucht, seine Finger zu bewegen. "Ich habe das trainiert, tags und nachts." Irgendwann schafft er es, bald bewegt er Arme, Finger, Oberkörper, "für die Ärzte ist das ein Wunder", sagt Dungl.

Nach neun Monaten Reha setzt er das Morphium ab, um sich selbst wieder zu spüren. 2008, nur ein Jahr nach dem Unfall, beginnt er beim Echomedia Verlag im Marketing zu arbeiten. "Ich konnte nicht mehr daheim sitzen, wollte etwas tun."

2012 rief er die erste "Sledge-Hockey"-Rollstuhl-Mannschaft Wiens ins Leben. Im August 2013 machte er sich selbstständig, gründete sein Magazin "Valid Leben" für behinderte und nichtbehinderte Menschen. "Es ist lifestylig, zeigt, was behinderte Menschen drauf haben, nicht, wie arm sie sind", betont Dungl. Seinem alten Leben nachgetrauert hat er nie. "Was soll ich jammern? Das Leben ist doch schön."

Woher hatten Sie Ihre Motivation?

Die Sozialberaterin riet mir, in Invalidenpension zu gehen. In Österreich ist das so: Bist du behindert, gehst in ein Heim. Das wollte ich auf keinen Fall. Ich wollte arbeiten, etwas schaffen. Mein Wille war stark. Ich war immer ein Mensch, der nicht ruhig sitzen konnte.

Wie hat Sie der Unfall verändert?

Ich bin heute noch ehrgeiziger.

Was raten Sie anderen in Krisensituationen?

Aufgeben tut man einen Brief. Das Leben hat viel zu bieten.

www.validleben.at

Am 3. Juli 2012 verabschiedet sich Personalberaterin Judith Novak von ihrem Team, um zu vielversprechenden Kunden zu fahren. Auf der Westautobahn drängt ein Sattelschlepper von rechts auf ihre Spur, ihr Auto wird quer über die Autobahn geschleudert. Novak scheint unverletzt, erst einige Tage später stellen Ärzte ein Schädelhirntrauma fest. Die Folgen: starke Kopfschmerzen, neurologische Störungen, Reha-Aufenthalte, drei Monate Totalausfall. Für die Unternehmerin fatal: "Ich bin Kopf, Motor, Vertrieb meines Unternehmens." Sie steuert die Firma vom Rehazimmer aus. Als sie dahinterkommt, "dass meine erfahrenste Mitarbeiterin sich einen schönen Sommer macht", trennt sie sich von ihr. Als Novak Mitte September ins Unternehmen zurückkehrt, versucht sie neue Aufträge an Land zu ziehen, doch es ist zu spät, "wir hatten unsere Ertragslage weit verfehlt, die Liquidität war am Boden." Novak beschließt, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen, wird vom Handelsgericht positiv befundet. Seit Februar hat sie ihr Team neu aufgestellt. Wir treffen sie im Rudolfinerhaus, wo sie eine stationäre Schmerztherapie macht:

Haben Sie seit dem Unfall je überlegt, alles hinzuschmeißen?

Ja, ich hatte ein Jobangebot für eine globale HR-Position. Aber Anova ist mein Baby, das kann ich nicht den Bach runtergehen lassen. Ich bin ein Stehaufmädchen, ich mache weiter.

Wie hat Sie der Unfall verändert?

Das ist mein zweiter schwerer Unfall. Ich weiß, man steht wieder auf. Es ist für einen selbst viel fruchtbarer, negative Situationen anzunehmen und weiterzumachen, anstatt den Kopf in den Sand zu stecken. Man muss sich Zeit geben, um das Trauma zu verarbeiten.

Wer hat Ihnen geholfen?

In erster Linie gab mir meine Familie Rückhalt. Mein Hausarzt und das Krankenhaus.

Als Matthias Lanzinger im Krankenhaus aus dem Tiefschlaf erwacht, kann er sich nicht bewegen. Das Super-G-Weltcuprennen in Kvitfjell 2008 verändert das Leben des Profi-Skirennläufers: Im Krankenhaus muss sein Unterschenkel amputiert werden.

"Mein erster Gedanke war, dass ich eine Querschnittslähmung habe", erzählt er. Als er erfährt, dass sein Bein amputiert wurde, ist das eine gute Nachricht. Ihm ist sofort klar, "dass mein Leben anders sein wird – anders, aber nicht vorbei."

Dass seine sportliche Karriere vorbei war, "war natürlich ein herber Schlag", sagt Lanzinger rückblickend. Doch er sah schnell Perspektiven für sich: "Der Vater eines Freundes ist beinamputierter Skifahrer, das hat mir geholfen. " Das Erste, was Matthias Lanzinger tat, war: "Ich habe gelernt, meinen Stumpf zu akzeptieren." Zum Sport ging er auf Abstand, er orientierte sich beruflich neu, begann BWL zu studieren. Als Leistungssportler war ihm lange klar gewesen, dass er nach seiner Karriere beruflich bei null anfangen musste. Er begann, als Projektmanager in seiner Ausrüsterfirma zu arbeiten. Doch der Kindheitstraum von Olympischen Spielen ließ ihn nicht los: 2011 beschloss er, für die Paralympics zu trainieren. Der Unfall hat Positives bewirkt: Heute werde er mehr über sein Menschsein definiert, nicht nur über seine Erfolge, sagt Lanzinger. Am Montag kehrte er mit zwei Silbermedaillen aus Sotschi zurück.

Haben Sie Ihrem früheren Leben je nachgetrauert?

Nein, habe ich nie. Was ich nicht ändern kann, damit beschäftige ich mich nicht. Aber meine Zukunft selbstbestimmt gestalten, das kann ich. Darauf verwende ich meine Energie.

Haben Sie als Profisportler einen mentalen Vorteil?

Der Sport war immer ein harter Kampf. Bei jedem Rennen steht die Uhr auf null.Man setzt sich ständig mit Herausforderungen, Niederlagen auseinander. Das hat mir geholfen, mit der neuen Situation umzugehen, mir neue Ziele zu setzen.

Was raten Sie Betroffenen?

Nicht mit etwas hadern, was man nicht ändern kann, sondern es akzeptieren und abschließen. Veränderung ist nicht immer gleich Verschlechterung. Es tun sich immer neue Perspektiven auf.

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