Maurer: In den Nebenhöhlen einer Karriere

Maurer: In den Nebenhöhlen einer Karriere
Wenn "Best Of"-Programme bloß immer so bestechend wären: Kabarettist Thomas Maurer zeigt "Out of the Dark" im Wiener Stadtsaal.

Es ist allzu oft die billige Tour für Bühnenkünstler, einfach einen "Best Of"-Abend einzuschieben. Man betreibt Risiko-Minimierung: Denn was bekannt ist, hat sich bereits bewährt. Man muss sich auch keine neuen Gedanken abringen. Außer, man heißt vielleicht Gunkl, und macht "Das Beste aus den nächsten sechs Programmen".

Thomas Maurer jedenfalls kündigte nun eine Art Best-Of-Abend an, der am 1. März im neuen Wiener Stadtsaal Premiere hatte: "Out of the Dark - Ein Blick zurück". Das klingt zunächst bedeutungsschwanger und wenn man an Falcos gleichnamiges, letztes Album denkt, auch nach einer Art Lebensbilanz. Wer Maurer kennt, weiß, dass der Kabarettist wohl kaum in derlei Befindlichkeits-Getue abgleiten würde. Aber Maurer unterläuft auch diese Erwartungen noch.

Denn in dem zweistündigen Abend ein "Best Of" zu entdecken, gelingt wohl nur den intensivsten Maurer-Afficionados, die alle seine 11 bis 13 Vorgänger-Programme (so sicher ist sich Maurer da selbst nicht) verfolgt haben. Im Gegensatz zu Alfred Dorfer, der in seinem aktuellen Remix "bisjetzt" seine Nummern nur lose mit einem roten Faden verbunden hat, hat der Wiener hier die Spuren komplett verwischt, alles neu montiert, ein Drittel des Abends habe er überhaupt neu geschrieben. Unaufdringlich Regie führte Petra Dobetsberger.

Maurer: In den Nebenhöhlen einer Karriere

Dabei beginnt alles noch recht unverdächtig, "Best-Of"-mäßig - nämlich mit dem per Video eingespielten ersten Bühnensatz, den Maurer 1988 gesprochen hat: Es sei "strategisch" von Vorteil, wenn "das erste Programm ein voller Erfolg" würde. Es folgt ein Rückblick in eine Zeit, in der Worte wie eMail und Prekariat noch im Dunkel des Zukünftigen lauerten, "Stirb langsam 1" noch nicht "Stirb langsam 1" hieß, weil es "Stirb Langsam 2" noch gar nicht gab und in eine Zeit, in der Strache noch Haider war.

Als er dann von seinem ersten Besuch des Wiener Kasperltheaters erzählt, als er im Gegensatz zu den anderen Kindern, zum Räuber hielt, ist alles noch sehr nah an Thomas Maurer selbst, dem hinterfragenden Querdenker. Man ahnt noch nicht, dass hier zusehends verfremdet wird. Denn der rückschauende Kabarettist wandelt sich plötzlich in einen Promi-Komiker, der nach einer Serie von Fehltritten von der Bussi-Bussi-Gesellschaft ausgespuckt wird.

Vermittelt wird das durch drei Fake-YouTube-Videos, die Maurer im Infight mit Moderatorin Barbara Rett und Star-Autor Daniel Kehlmann zeigen, beim Zusammenbruch im "Was gibt es Neues?"-Studio und beim polizeilichen Abtransport aus einem Bordell. Ein "Schneegestöber" diagnostiziert der eingespielte Armin Wolf im "ZiB-2"-Studio. Das ehemalige Liebkind scheint am Ende. Dabei habe ihm doch nur der Arzt zum Schnupfen dieses "Granulats" geraten, das sei nichts anderes als TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) für die Nebenhöhlen.

Zum Teil verläuft sich Maurer hier auch ein bisschen in den Nebenhöhlen seiner Programme - die Geschichte rund um ein Klassentreffen und den anschließenden Puff-Ausflug könnte noch etwas gerafft werden.

Maurer: In den Nebenhöhlen einer Karriere

Nach der Pause ist aber jede Länge vergessen und Maurer zahlt dem Publikum alles mit barer Münze zurück. Und die Währung lautet "Lachen im Sekundentakt". Zunächst ruft Maurer noch per Video eine Riege an Zeugen auf, um die scheinbare eigene Bedeutungslosigkeit zu veranschaulichen - vom Bundespräsidenten in personam, über Lukas Resetarits, Hader, Dorfer, Gunkl, Scheuba, Palfrader, Ster- und Grissemann bis zu John Cleese.

Groß dann die Szene, in der der Gebeutelte sich in Therapie begibt. Gewillt, sich noch einmal zu neuen Höhenflügen aufzuschwingen, führt Maurer seinen Psychotherapeuten in halsbrecherischen, und im Stakkato Mundart-Wuchteln gewürzten Monologen vor. Indem er über seine Zukunft in einer Zweidrittelgesellschaft sinniert, in der es darum gehe, im richtigen Drittel zu landen, um dann ein "Golden Ager" jenseits der Achtzig zu werden, findet Maurer sowohl als Bühnenfigur wie als Kabarettist mehr und mehr zu dem zurück, was ihn in den vergangenen 22 Jahren so auszeichnete: Zur messerscharfen Gesellschaftsdiagnose, die durch raffinierte Kniffe nie in den Geruch des Oberlehrerhaften gerät.

Bei der Fahrt zum Therapeuten habe er ein älteres Paar beobachtet, das vergeblich zur Straßenbahn eilte, erzählt der "Patient". Der Bimfahrer fuhr einfach davon, wieder zwei Stimmen für Strache. Maurer, der 2003 mit "Die neue Selbständigkeit" das Phänomen FPÖ brillant ausgeleuchtet hat, nimmt sich, gleich einem Drachenkämpfer, erneut seines liebsten Feindes an.
Angesichts des blauen Wahlsiegs in Wien und der aktuellen Umfragewerte, konstatiert Maurer: "Wenn sogar der Strache bei den Leuten einegeht", dann gehe in Zukunft alles. Man könne dann auch ein "rostiges Postkastl" auf die Spitze der FPÖ schrauben, und die Stimmen der "Modernisierungsverlierer" wären ihr dennoch sicher.

Deren Ausgrenzungsmechanismusen legt Maurer in einer bitterbösen Argumentation bloß, in dem er das "Ausländer raus" gegen die "Modernisierungsverlier" selbst wendet. Verkürzt: Nehmt den "Prolos" die Autos weg und gleich auch das Wahlrecht. Sie, die Rechts-Wähler, hätten es nicht besser verdient. Das Klima und die Demokratie würden es uns, der "bildungsaffinen Oberschicht", danken. Indem er das Publikum - bei einer Premiere freilich besonders "bildungsaffin" - wie ein Populist anzustacheln weiß, erntet Maurer wie auf einer Wahlveranstaltung Jubel und Applaus - ein beängstigender Effekt.

Maurer: In den Nebenhöhlen einer Karriere

Aber es wäre nicht Maurer, wenn er nicht auch diesen bitterbösen aber brillanten Kniff noch einmal rhetorisch brechen würde: Die wesentlich sympathischere Methode der endgültigen Zähmung der FPÖ sei es, wenn all die "bildungsaffinen Oberschichtler" rechtzeitig vor der nächsten Wahl blaue Parteimitglieder würden, und sich so das System mediokrer Emporkömmlinge von innen heraus selbst erledigen würde. Maurer: "Wenn diese Bagage noch mal ans Ruder kommt, ist es sicher kein Fehler, wenn man dabei ist." Auf das derzeit agierende Polit-Personal setzt der aus Maurer sprechende Wutbürger keinen Cent: "Niederschmetternd. Wie wenn sich Ulrich Seidl eine Bundesregierung castet."

Am Ende der Show folgt die erste und einzige Musikeinlage: Statt dem Wahlkampf- und Bierzelterprobten "The Final Countdown" singt Maurer, vor einer untergehenden Sonne stehend, die utopische Hymne einer in die Jahre gekommenen oberen Mittelschicht: Lennons "Imagine". Der letzte Satz des Abends lautet daher: "And the World will be as one". Da daran berechtigter Zweifel anzumelden ist, wird man Thomas Maurer auch in den nächsten 22 Jahren benötigen. Im Stadtsaal gab es berechtigten Jubel in selten gehörter Intensität.

(Peter Temel)

INFOS: Thomas Maurer - "Out of the Dark", Stadtsaal, Wien 6, Mariahilferstraße 81. 2. bis 19. März.

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