Schminke für alle: Die Revolution der "Beauty-Boys"

Schminke für alle: Die Revolution der "Beauty-Boys"
Männliche Beauty-Blogger erobern die sozialen Medien. Ihre Botschaft: Make-up kennt kein Geschlecht.

„Heute zeige ich euch, wie ich mein Glam-Make-up schminke!“ Sorgfältig massiert Theo den Primer und die Foundation in sein Gesicht, pinselt Concealer und Puder auf und hält eine Lidschatten-Palette in die Kamera. „Diese erdigen Töne sind ja mein Fall. Und das ist ein megageiler Innenwinkel-Highlighter!“ Knapp zehn Minuten dauert die Schmink-Session. Danach ist der 18-Jährige kaum wiederzuerkennen.

Theo Vanity, wie sich der Münchner in sozialen Medien nennt, ist einer der neuen „Beauty-Boys“: Männliche Blogger, die auf Instagram und YouTube ihrer Leidenschaft frönen und mit Make-up experimentieren. Sie sind keine Dragqueens, die sich durch Make-up und Verkleidung als Frauen darstellen. Sondern einfach Männer, die sich gerne schminken. Manche sind hetero, manche schwul – die sexuelle Orientierung tut hier nichts zur Sache.

Werbestars

Lange Zeit wurde die Kosmetikindustrie von Frauen dominiert, es mangelte an männlichen Gesichtern. Dann, zu Beginn der Nullerjahre, wurde Fußball-Feschak David Beckham zum Schutzpatron der Metrosexuellen erklärt: Männer taten es ihm gleich, gingen zur Maniküre und benutzten teure Pflegeprodukte. Folgt nun, 15 Jahre später, also das Make-up für den Mann?

Die Branche jedenfalls entdeckt langsam das Potenzial der reichweitenstarken Beauty-Boys: Der Kosmetikriese MAC hievte 2016 unter großem Mediengetöse US-Blogger Manny Gutierrez als ersten Mann auf seine Werbeplakate. Fast fünf Millionen Menschen lassen sich auf Instagram von seinen Make-up-Looks inspirieren. Andere Marken wie Essence oder Covergirl brachten eigene Linien für Männer auf den Markt. Theo bekommt solche Produkte zugeschickt und testet sie in seinen Videos. Schon als Kind experimentierte er mit Lippenstift und Mascara der Mutter, in der Schule hörte es auf: „Da gaben die anderen Jungs die Richtung vor.“

In den sozialen Medien fand der Münchner Gleichgesinnte, Vorbilder. So wie James Charles, einer der ersten Beauty-Boys und mit fünf Millionen YouTube-Abonnenten Star der Szene. „Ich habe mir James Charles angeschaut und mich gefragt, wann ich mich auch endlich trauen werde, zu meiner Leidenschaft zu stehen. Durch Social Media ist das Ganze normaler geworden. Natürlich gab es Menschen, die damit nicht klarkommen – denen muss man einfach Zeit geben.“

Gleichberechtigung

Die männlichen Beauty-Blogger wollen mehr vermitteln als Schminktipps und Tubentests. Der Visagist und Blogger Jake-Jamie, bekannt als The Beauty Boy, verbreitete in den sozialen Medien den Hashtag #makeupisgenderfree – Make-up ist geschlechtsneutral. Die Botschaft: Schminke ist für alle da, Männer-Make-up ein weiterer Schritt in Richtung Gleichberechtigung. „Es geht nicht darum, dass Männer feminin sein wollen“, schreibt er auf seinem Blog, „es geht darum, dass wir die bestmögliche Version unserer selbst kreieren.“

Theo, der eine Friseurlehre absolviert, bekommt großteils positive Reaktionen auf seine Videos, auch seine Familie unterstützt ihn. „Manche sagen mir, dass ich ein Vorbild bin und sie ermutige. Das freut mich sehr.“ Letztlich gehe es ihm um mehr als ein bisschen Schminke: um Offenheit, Toleranz – und darum, aus einem Tabu Normalität zu machen. „Wenn Männer wie Frauen ihre Makel im Gesicht retuschieren möchten, warum sollten sie das nicht dürfen?“

Welches Produkt er männlichen Make-up-Einsteigern empfiehlt? „Ich würde sagen, einen Concealer. So Augenringe hat ja nun wirklich jeder.“

„Kein Rouge, lieber nur Sonnenpuder“

Der deutsche Star-Visagist Dieter Bonnstädter hat eine Make-up-Serie speziell für Männer entwickelt (www.maenner-make-up.de).

KURIER: Wie unterscheidet sich Männerhaut von Frauenhaut?

Dieter Bonnstädter: Mehr als die Hälfte aller Männer haben hormonell bedingt eine öligere Haut, dadurch müssen ein mattes Puder und ölfreies Make-up sein. Männerhaut ist fast immer großporig, daher haben wir ein Produkt entwickelt, das die Poren verfeinert und mattiert. Der Bartbereich wird ausgespart bzw. besonders gepflegt – Barthaare und Haut brauchen viel Feuchtigkeit.

Wie schminkt man sich als Mann, ohne feminin zu wirken?

Dunkles Augen-Make-up und Rouge sind No-gos, wenn man nicht weiblich aussehen möchte – lieber viel Sonnenpuder, um leicht gebräunt auszusehen. Erlaubt ist: Rötungen entfernen, Augenschatten wegschminken, Augenbrauen korrigieren. Ich empfehle einen Kajal in Hautfarbe und braune Mascara, um  zu helle Wimpern unauffällig zu färben.

Wird man Make-up irgendwann komplett losgelöst vom Geschlecht betrachten?

Der Kosmetikmarkt hat sich stark verändert und bietet viel für Männer an. Make-up wird selbstverständlicher werden, Männer kaufen selbstbewusst ihre Produkte und nutzen diese. Aber: Der größte Anteil bleibt Frauen vorbehalten. Lidschatten, Wimpern, Lippenstift und Rouge sind einfach feminine Artikel. Wenn Männer diese nutzen möchten, dann gerne – aber das wird wohl eine Nische bleiben:

Als Männer-Make-up selbstverständlich war

Das dekorative Bemalen des Gesichts  ist so alt wie die Menschheit selbst und war lange Zeit nicht nur Frauen vorbehalten. Schon die alten Ägypter balsamierten ihre Haut ein, um sich vor der Sonne zu schützen, und betonten Lippen, Augen und Wangen mit Farbe. 

In der höfischen Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts war Schminken auch bei Männern üblich, berichtet Susanne Breuss, Kuratorin der  Ausstellung „Mit Haut und Haar“ im Wien Museum. Eine überladene Optik inklusive Perücke passte zum Zeitgeist des Barock: „Künstlichkeit war für das Aussehen beider Geschlechter Trumpf und die äußeren Unterschiede zwischen den Geschlechtern wurden weniger stark betont.“

Schminke für alle: Die Revolution der "Beauty-Boys"

Barockes Schönheitsideal: Blasser Teint dank giftiger Farbe

Um die damals schwer angesagte noble Blässe zu erreichen, behalf man sich mit toxischem Bleiweiß und anderen gefährlichen Chemikalien. „Eine weiße Haut galt als schön, sie stand für einen privilegierten Lebensstil, bei dem man sich nicht im Zuge körperlicher Arbeit der Sonne aussetzen musste“, erklärt die studierte Volkskundlerin und Kunsthistorikerin. „Die weiße Schminke war teilweise gesundheitsschädlich, weil das darin enthaltene Blei die Haut ruinierte.“ 

Abszesse

Die Folge waren schwer heilende Abszesse. „Die weiße Schminke, oft sehr dick aufgetragen, war auch deshalb so beliebt, weil grassierende Krankheiten wie die Syphilis die Haut schädigten und man das mit weißer Schminke und Puder überdeckt hat.“ Ein Trugschluss: „Durch den Bleigehalt vieler weißer Schminken wurde die Haut noch mehr geschädigt.“
Im Gegensatz dazu setzte die bürgerliche Kultur, die sich nach der Französischen Revolution etablierte, auf Natürlichkeit – Schminken war bei beiden Geschlechtern verpönt, berichtet Breuss: „Die bürgerliche Geschlechterordnung setzte auf klar voneinander abgegrenzte Geschlechterrollen, die auch äußerlich sichtbar sein sollten. Wenn sich Frauen schminkten, musste das so dezent erfolgen, dass es nicht offensichtlich war.“  Geschminkte Männer waren nun nicht mehr en vogue.

Info: Die Ausstellung „Mit Haut und Haar – Frisieren, Rasieren, Verschönern“ ist bis 6. Jänner 2019 im Wien Museum zu sehen.

Kommentare