Gottfried Helnwein: Der Donaldist mit Gerechtigkeitswahn
Was hat es da in den 60er-Jahren Proteste gehagelt, als der junge Künstler fotorealistische Bilder von verstümmelten, gequälten Kindern malte. Nur wenige verstanden den Aufschrei des Gerechtigkeitsfanatikers. Als Gottfried Helnwein 16 war, dachte er nur an eines: „Revolution“. Niemand sprach mit ihm über den Holocaust. „Diese Generation hat einfach nach dem Krieg diesen Teil der Geschichte vergessen – die komplette Amnesie“, sagt der Künstler im „Narrenturm“ (das pathologische, anatomische Museum in Wien). „Ich war früher oft hier und habe Inspiration für meine Bilder gefunden.“
Protest
Nicht aus ästhetischen, sondern aus humanistischen Motiven sei er Künstler geworden. „Talentiert war ich immer, aber ich wollte nicht Maler werden. Das Künstlerbild meiner Kindheit waren Männer mit Bart und Pullmannkapperl, die abstrakte Bilder malen.“ Als Ministrant kannte er damals nur die Bilder der Kirchen. Stundenlang legte er sich zwischen die Bänke und starrte sie an. „Da konnte man die ganzen Märtyrer sehen, das war sehr gruselig, die blutüberströmten Leichen und die Marterwerkzeuge.“ Aus Protest gegen die Elterngeneration startete er 1965 mit Aktionen, bei denen er sich mit dem Messer Schnittwunden zufügte und dann einbandagierte.
„Ich wollte etwas machen, was viel schneidiger ist.“ Mitglied der Rolling Stones zu sein wäre für ihn vielmehr eine ideale Form der Künstlerexistenz gewesen. „Das war die ultimative Kunst.“ Später lernte er all seine Idole persönlich kennen, sie gingen in seinem Schloss in Irland und in seinem Haus in Los Angeles aus und ein, er fotografierte und malte sie. Vom Donald-Duck-Vater Carl Barks, über Muhammad Ali bis zu den Rolling Stones.
Donald Duck
Aus der Kirche ist er längst ausgetreten. „Nein, mit Scientology habe ich nichts zu tun. Ich bin Donaldist.“ Warum wird er dann immer wieder mit Scientology in Verbindung gebracht? „Weil irgendwelche Leute früher eine Aktion gegen mich gemacht haben. Und da im Internet alles gespeichert wird, bleibt das Gerücht bis in alle Ewigkeit.“
Woran glaubt er? „An die Menschheit und das Prinzip der Vernunft. Ich respektiere jede Art von Religion.“ Im Oktober wird er 65. „Lieber wäre ich 35.“ Aber mit dem Sterben hat er kein Problem. „An den Tod denke ich immer, er gehört zum Leben. Der Tod zieht sich durch die ganze Kunstgeschichte“, sagt Helnwein und zeigt seine Totenkopfringe an den Händen. Dort sind auch die alten Narben der Selbstverletzungen zu sehen.
Helnwein, Vater von drei Söhnen und einer Tochter zwischen 25 und 35 Jahren, hat als Kind „immer wieder eine drüber gebraten gekriegt. Wie es damals üblich war. Sie haben gesagt: Du hast ja noch keinen Krieg erlebt, was weißt denn du?“
In seiner Hippie-Phase probierte er LSD. „Bei meinem zweiten Trip öffneten sich für mich die Pforten der Hölle. Ich war in den Jahren danach zeitweise blind, verlor mein Gleichgewicht. Ich habe seit damals nie wieder Drogen angerührt.“ Natürlich habe er all diese Erlebnisse auch seinen Kindern erzählt. „Es war mir immer klar, dass sie nie Drogen probieren würden.“
Seine Kinder hatten nicht revolutioniert. „Kinder erziehen ist das Leichteste auf der Welt. Was die meisten nicht verstehen, ist nur eines: Respekt.“ Er sei nicht Autoritätsperson sondern der beste Verbündete. Verbote seien nicht notwendig, wenn man mit den Kindern redet und ihnen alles erklärt. Deshalb haben seine Frau Renate und er noch nie mit den Kindern oder Enkelkindern (das vierte ist unterwegs) gestritten.
Brut
Er besitzt die irische und die österreichische Staatsbürgerschaft, in Amerika hat er ein Künstlervisum. Helnwein genießt das Leben mit seiner Brut. Alle wohnen unter einem Dach. In Irland und L.A.: „Bei uns ist, wie ich es immer wollte, das Chaos einer süditalienischen Großfamilie. Im Diningroom sitzen dann 20 Leute um den Tisch.“ Stolz ist er, dass alle Kinder und Schwiegerkinder auch Künstler sind. Vom Fotografen, Musiker bis zur Videokünstlerin, Malerin und Schriftstellerin. „Sie sind mit Kunst aufgewachsen.“ Nur seine Ehefrau ist nicht Künstlerin. „Sie ist in diesem Zirkus der Zirkusdirektor.“
30 bis 40 Bilder malt er pro Jahr. 500.000 Euro war sein teuerstes Werk. Sämtliche Hörbücher von Klassikern zieht er sich rein, wenn er endlos Farb-Schichten mit Pinselstrichen übereinander legt. „Bis zu 15 Stunden am Tag, wenn die Deadline so nahe ist, dass ich im Schockzustand bin. Das sind magische Momente“, sagt er und wünscht sich als einer, der „immer getrieben von einer Unzufriedenheit“ ist, noch lange weiter arbeiten zu können und umzingelt von vielen Kindern zu sein.
Info
Gottfried Helnwein, Retrospektive, ab 25. 5. in der Albertina zu sehen.
Das Video mit Gottfried Helnwein sehen Sie auf kurier.at.
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