Sich am Leben reiben
Der Begriff peinlich ist verschwunden. Und niemand vermisst ihn“, sagt Singer-Songwriter Peter Cornelius. Raunzt, motschkert, knurrt, poltert nicht. Legt’s als Faktum auf den Kaffeehaustisch. Reibt sich an Österreich. Angewidert – von den ungenierten Salzburger Spekulationen, der ÖBB-Inseratenaffäre, dem Eurofighter-Deal, dem Kärntner Hypo-Alpe-Adria-Desaster, den U-Ausschüssen, die zu nix führen als zum schalen Gefühl, „dass die Bevölkerung permanent gedemütigt wird“. Empört sich, „dass offen darüber abgestimmt werden kann, dass nix untersucht wird. Dass sich der Glaubenssatz Is eh nix zu machen wie ein Brandzeichen eingekerbt hat“. Welche Partei könnte er noch wählen? „Bei der Nationalratswahl nur weiß.“
Rückzug. Ins Innere, auf den eigenen Planeten. Im Roten Salon der Purkersdorfer Jahrhundertwendevilla Gitarre spielen. Auf einer von gut siebzig, die Peter Cornelius gesammelt hat. Improvisieren, Songs probieren, neue Riffs greifen, frische Tonfolge-Kombinationen suchen, musikalische Zwiesprache mit seinen „Göttern“ halten. Mit John Lennon immer, kann aber sein, dass er auch mit Keith Richards fremdgeht. Die letzten Tage, sagt Cornelius, habe er mit Ray Davies im Ohr und in den Fingern verbracht, mit dem Gitarristen der 1963 gegründeten britischen Rockband „The Kinks“. Ein später Flirt, denn damals war Peter erst zwölf, da spielte der Rock’n’Roll an ihm vorbei, da war ihm selbst Elvis Presley wurscht. Fußball, Eishockey, Schnorcheln in der Lobau, Skifahren auf der Hohe-Wand-Wiese waren angesagt.
Bedauert’s, dass er die Macherqualitäten der Menschen am Big Apple erst 2007 entdeckt hat, skeptisch blieb, „weil L.A., wo ich mit Produzent Michael Cretu gearbeitet hab, nicht mein Boden war“. Nur Bilder von der Brooklyn Bridge, dem Hafen, dem Dakota Building, in dem John Lennon gewohnt hat, vor dem er erschossen wurde, in Purkersdorf gehegt hat. Jetzt bleibt er ein Mal im Jahr für länger dort. Hat den Song „72ste Straße“ auf dem Album „Handschrift“ natürlich Lennon gewidmet. Ja, Berlin, das neue Großberlin, beginne vielleicht langsam ähnlich zu atmen wie NY, und dort habe er auch noch einen Koffer stehen, sprich: ein neues Projekt. Gackert aber nicht über ungelegte Eier. Hat außerdem Konzerte zu spielen, um „12 neue 12“ live vorzustellen, selbst wenn er seinen alten Ohrwürmern nicht auskommt: „Du entschuldige, i kenn di ...“ oder „Reif für die Insel“ oder „Segel im Wind“.
Immer dabei
Ulrike, seine Liebe seit 26 Jahren, 11 davon ehelich, ist immer dabei. Auch bei Interviews im Kaffeehaus: „Wir sind 24 Stunden zusammen.“ Okay, sie ist seine Managerin, aber wie hält man so viel Nähe aus? Die beiden wundern sich: „Gibt nicht so viel auszuhalten. Wir kommen einander entgegen. Wenn sich irgendwo was Komisches abspielt, sehen wir es zu gleicher Zeit und interpretieren es ähnlich.“ Lassen einander auch Raum. Sie hat im Büro zu tun, er im Studio. Und es gibt Dispute: „Aber nie, um den anderen zu verletzen. Geht nur um Außendinge. Wenn ich in meinen kreativen Prozessen versinke. Unzufrieden mit einem Ergebnis bin.“ Ulrike (Sternbild Stier) sei aber „sehr geerdet. Sieht den Kern, die Wertigkeit der Dinge klar“. Er war 35, Ulrike aus dem deutschen Odenwald 23, als sie plötzlich in der „Insel“ vor ihm stand, in dem Lokal, das Cornelius damals am Karlsplatz betrieb. In seiner „Phase mit Champagner und der Wodkaflasche“. Zumindest „um alles, was Opium enthält, um LSD, habe er immer einen weiten Bogen gemacht“. Gut, ein paar Selbstversuche mit Kokain in seiner Münchner Zeit, aber nur, wenn ihm was angeboten wurde: „Einen Dealer hatte ich nie.“
Er war 35, Ulrike aus dem deutschen Odenwald 23, als sie plötzlich in der „Insel“ vor ihm stand, in dem Lokal, das Cornelius damals am Karlsplatz betrieb. In seiner „Phase mit Champagner und der Wodkaflasche“.
Pause
Deshalb ist er heute auch der „erfolgreichste österreichische Singer-Songwriter“. Der Mann, der die Charts-Listen führt, habe das errechnet. Er selber hätte nicht gefragt. Fühlte und fühlt sich einfach wohl mit „den Deutschen. Sie hatten Handschlagqualität, standen immer zu ihrem Wort. War eine fantastische Zeit“, kann er sie jetzt schon loben. Lang litt er nach dem Heimkommen unter dem Gefühl, das Leben habe ihm seine „Zuneigung“ entzogen. Gab zwischen 1992 und 2000, acht Jahre lang, kein Album heraus. Ulrike hat er darüber nicht verloren: „Wenn man spürt, seinen Lebensmenschen getroffen zu haben, stellt sich alles anders dar. Wenn man nicht mehr damit gerechnet hatte, die Illusionen verloren beim Umschauhalten in der Welt.“ Ach, und was für eine Frau. Wird 49, kriegt aber keine Krise deshalb. Zum Kleiderkaufen muss er sie fast zwingen. Lacht: „Dann ist sie genervt: Muss das sein? Und: Muss ich das anprobieren auch?“ Kinder haben sie keine. Sind ganz aufeinander konzentriert. Beide bei den Großeltern aufgewachsen. Taugt aber nicht völlig als Erklärung für diese Symbiose. Uli sagt, sie habe sich als Kind geliebt gefühlt. Er nicht so sehr.
Er war zehn, bis sich alles geglättet hatte, lebte bis dahin bei der Oma. In einem Jägerhaus aus Maria Theresias Zeiten, aber längst zum Mehrparteienhaus umfunktioniert und zwischen zwei Bahngleisen in Hetzendorf gelegen. Der raue Lärm der Züge alle paar Minuten gegen warme Cellotöne, die süße Macht klassischer Musik am Konservatorium. „Mein Lieblingsstück war Die Moldau.“ Die Großmutter ließ den Fünfjährigen Cello lernen. Die Übungen wurden vom Hausarzt mit der Behauptung gestoppt, das könne in diesem Alter dauerhafte Gelenksverformungen zufolge haben.
Der Zwang
Die Gleise gibt’s immer noch, das Haus nicht mehr. Wie das Holzhäuschen in Hawei – Hadersdorf-Weidlingau, in dem sich Vater, Mutter, Kind endlich zusammengelebt hatten, abgerissen wurde: „Die Orte meiner Kindheit existieren nur noch in meinem Kopf“, erklärt Cornelius trübe. Die Purkersdorfer Villa tröstet ihn: „Eine Persönlichkeit, dieses Haus. 1896 für eine Hofopernsängerin gebaut, ließ sie sich ein Kristallluster-Modell der Oper bissl verkleinert gleich mitliefern.“ Ach ja, und „Wir sind Helden“, die jungen deutschen Singer-Songwriter-Kollegen, haben ihn gelehrt: „Die Zeit heilt alle Wunder – was wir natürlich im Zusammenhang mit schön geschriebenen Texten erörtern.“ Er lese kaum, sagt er, dazu fehle ihm die Geduld, aber Lesen und Schreiben hänge in seiner Gefühlsebene nicht zusammen. Ihm täte es Leid um die Zeit, in der er wieder einen Song komponieren könnte. Das sei der Zwang, der ihn innerlich treibt.
Die Gitarre kam auf einem Schulskikurs zu ihm. Er lag krank im Bett, ein Instrument darunter, er griff sich das Ding und entschied über sein Leben. Die Beatles im Kopf, seine Götter bis heute: „Es war die brillanteste Zeit für diese Musik. London, die Carnaby Street, damals der Nabel der Welt.“ Wunder, zeitlos für Cornelius. Und so arm hat ihn Erfahrung nicht gemacht, um sich nicht immer wieder an Wundern zu versuchen. Um einen Ohrwurm wie „Zuneigung“ zu schreiben, in einer Zeit, in der ihm Zuneigung verloren gegangen zu sein scheint: „Wir werden aus Vernunftgründen zu möglichst energischen Egomanen erzogen, zu Ellbogentechnikern, denen von Geburt an Ansprüche übergestülpt werden. In der das Gefühl zu kurz kommt.“ Cornelius reibt sich an der Welt, an der verrotteten Politik, packt Geschichtswissen aus, gesteht, dass er solche Bücher doch liest, und switcht von den Habsburgern zu Österreich heute, zu Europa, zu den neuen Weltmächten Indien und China ... Eine Partei Cornelius zu wählen, könnte man sich fast vorstellen.
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