Frühstück mit Udo Wachtveitl

Frühstück mit Udo Wachtveitl
Tiefgründig. Der "Tatort"-Kommissar (53) über das Problem von Sorites, seines mit Schimanski und warum er als Kind dem Kaiser zuwinkte.

"Homestory moch ma koane", schickt er telefonisch voraus. Treffpunkt in München ist dennoch seine Wohnadresse. Im Hof stehen alte Mopeds, auf die er später zu sprechen kommen wird.

Dann steht er da, begrüßt und fragt: "Sogn S, wia san Sie jetzt eigentlich auf mi kumman? Gibt es keine Interessanteren?" Interessanter Humor, dem ein Lachen, eine Antwort folgt: "Nicht nur des Tatorts wegen. Es ist mehr noch Ihre Stimme." Diese weist, einem Navigationssystem gleich, den Weg durchs Glockenbachviertel zu einem seiner Lieblingscafés. "Das mit dem Telefonschild ist es."

Frühstück mit Udo Wachtveitl

Der gebürtige Münchner, der heute zum 60. Mal als "Tatort"-Kommissar Franz Leitmayr zu sehen ist (ARD/ORF2 je 20h15) , nimmt Platz und bestellt einen Americano. Das ist wie ein großer Brauner. Auf "Polipo e cozze, einen kleinen Meeresfrüchtesalat", den er gerne frühstückt, wird heute verzichtet - jedoch nicht ohne zusätzliche Erklärung. "Ich hab` noch nie verstanden, warum man morgens das essen muss und abends das."
Es ist früher Nachmittag, und der "Spätschläfer" spricht im Zuge der "Sonntagsfragen" immer wieder von früher. Früher "da gab es eine Phase, da hat man sich ungeheuer darin gefallen, das noch zu machen, da noch zu sein, da einen Dialogtext zu schreiben. Da hat man eine Freude an der eigenen Leistungsfähigkeit gehabt. Inzwischen habe ich freie Zeit und Muße durchaus zu schätzen gelernt". Wann hat "früher" aufgehört?

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"Das ist ein schleichender Vorgang. Ab wann ist ein Sandhaufen ein Sandhaufen? Ab wie vielen Körnern? Ich weiß es nicht. Das ist das berühmte Sorites-Problem in der Philosophie, dass eigentlich all unsere Begriffe vage sind. Aber das ist ein anderes Thema." Das Thema bleibt für das Gegenüber gedanklich bestehen, führt zu einer Vermutung. Einer Frage. Er ist nicht bloß an Philosophie interessiert?

"Kurz nachdem der Tatort 1991 anfing, hab` ich gedacht: studieren wäre schön. Das ist eine das Jahr strukturierende Sache. Außerdem würde es nix schaden, wenn man ein bisschen gebildeter wär`." Gedacht. Getan. Und Jahre später die Magisterarbeit - "Stellen Karikaturen einen Einwand gegen die Ähnlichkeitsreferenztheorie des Bildes dar?" - geschrieben.

Welche Note er, der sich in der Schule immer leicht tat, bekam, erfährt man nur auf Nachfrage. "1,3".

Gebildet, doch niemals eingebildet wirkt Wachtveitl. Egal, worum es sich handelt. Egal, worüber er spricht.

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Groß (1,87 m) geworden als "ganz normales Münchner Stadtrandkind eines Friseurmeisters, wächst er als Einzelkind großteils mit seinem Cousin, der für seinen Bruder gehalten wird, bei seiner Großmutter auf. "Es muss 1965, `66 gewesen sein. Meine Tante war in der Kostümabteilung beim Film und für die Fernsehfassung vom ,Weißen Rössl` mit Johanna Matz und Peter Weck wurden Kinder gesucht, die dem Kaiser zuwinken."

Wachtveitl, sein "soziologischer Bruder" und Nachbarskinder werden engagiert, verdienen 120 Mark für drei Tage. "Das war ein Fahrradl! Das weiß ich noch, und meine Oma war dann mit Karteikarten als unlizensierte Kinder-Agentin unterwegs."

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Eine Anekdote, die jetzt für Lachen sorgt - damals für Geld sorgte. Viel Geld für ein Schulkind, das fortan im Bayerischen Rund- funk - dank Mentoren wie Gustl Weishappel und Rolf Euba zum professionellen Sprecher wird. "Fünf Mark durfte ich mir behalten, den Rest haben die Eltern auf ein Sparbuch gelegt. Mei, mit 16 hab` ich a Moped kauft. Selber. Und zwar das tollste und schnellste und beste. Zündapp Watercooled. In Lila."

Die Leidenschaft für Mopeds ist ihm geblieben. "Das hat vielleicht auch mit einer Sachla-Machla-Mentalität zu tun, wie wir in Bayern sagen. Kennen Sie den Ausdruck? Sich so ein bisserl auskennen, auch reparieren, herumschrauben. Irgendwann kommt der Punkt, da macht man sich einen Sport mit sich selbst. Etwas anfangen und zu Ende bringen, egal, wann." Als Teenager will er cool sein, wie er sagt. Er interessiert sich "für abgefahrene Filme, Fassbinder, New Hollywood, Antonioni. Es gab aber nie den Punkt, wo ich von zu Hause ausgerissen bin und gesagt habe: ,Vater! Mutter! Ich muss zur Bühne! Lasst mich!` - `Nein, Sohn! Ich enterbe dich!`- `Ich geh` trotzdem! Ha!`" Wild gestikulierend und stark intonierend zeigt der Schauspieler jetzt einen Teil seines Könnens, seines Humors und seiner Fantasie. In Wirklichkeit spielen sich sein Leben und seine Karriere anders ab.

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Sein Vater, der mit 16 von zu Hause ausreißt, im Krieg und in Kriegsgefangenschaft in Kasachstan ist, rät dem Sohn in puncto Wehrdienst: "Wennst drumrumkommst, dann mach`s." Und der angesehene Friseurmeister macht ihm keine Vorschriften. "Die Frage, ob ich das Geschäft übernehme, hat sich nie gestellt. Mein Vater hat immer alles autark entschieden und gesagt: ,Man selber muss zurechtkommen.`"

Das tut er, der mehr über den Vater als die Mutter erzählt, "ganz einfach, weil er nicht mehr am Leben ist".

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Als Sprecher beim Bayerischen Rundfunk, als Kommentar- und Synchronstimme für Film und Fernsehen, verdient er früh sein eigenes Geld, inskribiert aus Interesse Jura, geht nicht auf die Schauspielschule, sondern "den Mittelweg zwischen halbwegs einer Ausbildung und Autodidaktentum". Mit 21 kauft sich der "immer schon an Architektur Interessierte" eine "runtergekommene Altbauwohnung im Westend. Aus der schlichten Not heraus, weil ich am Mietmarkt keine gekriegt habe." Aus der "Sachla-Machla-Mentalität" heraus renoviert er selbst.

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"Wenn man das macht, lernt man viel über Proportionen, den goldenen Schnitt, aber auch über Elektrik und Bodenaufbauten." Wenn man das hört, gewinnt man den Eindruck, dass Udo Wachtveitl allem auf den Grund gehen will, verstehen will, machen will. Und es einfach tut.

Auch, wenn er im Studio steht, um Dokus zu sprechen, Hörbücher einzulesen. "Wenn ich beim Vorbereiten eines Textes einen Fehler mach`, weil meine Intuition mich nicht richtig geleitet hat, dann mache ich mir ein Betonungsgeländer." Dass ihm trotz seiner unverkennbaren Stimme und unnachahmlichen Gesten die Gäste des Cafés keine Beachtung schenken, kann er erklären: "München ist eine Stadt, wo jeder in seiner eigenen Inszenierung schwebt und lebt. Da gibt es selten einen Hauptdarsteller in einer anderen Inszenierung." Insofern muss er, der gerne fremde Städte erkundet, ein untypischer Münchner sein. Nichts Gekünsteltes haftet ihm an.

Ungewöhnlich auch, dass er als freier Schauspieler keine Existenzangst kennt. "Eher eine Angst, dass das Leben nicht glücken könnte. Ich kenne ja kein anderes in der Intimität wie meins. Ich bin zufrieden."

Da ist er wieder: Sein Humor, der trocken, subtil, sympathisch ist. Ähnlich seiner "Tatort"-Figur des Franz Leitmayr, für die er seit 20 Jahren mit Miroslav Nemec alias Ivo Batic vor der Kamera steht. "Unsere Herzen schlagen oft nicht im Gleichklang, aber was den Humor betrifft schon. Ich finde Humor auch privat wahnsinnig wichtig. Wenn ich zurückschaue, dann gibt es keine Frau, die in meinem Leben eine Rolle gespielt hat, die nicht humorvoll gewesen wäre." Ob es gegenwärtig eine Frau in seinem Leben gibt? Ein klares "Ja" muss als Antwort reichen. Wortreicher wird er in punkto Krimi.

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"Schimanski" oder einem "Pappbecher-zerknüllenden, Lederjacken-tragende Kommissar, der alles scheiße findet" kann er ebenso wenig abgewinnen wie dem "pinkfarben gewandeten Gegenteil davon - der Happy-go-lucky-Christine-Neubauer-Pilcherei. Wenn es von vornherein auf die niedrigsten, ich möchte fast sagen, folklore-pornografischen Instinkte abzielt, dann möchte ich nicht dabei sein."

Dabei ist er bei drei Tatorten, für die er etwa vier Monate pro Jahr vor der Kamera steht, um "eine spannende Krimi-Geschichte und nicht irgendeinen mit missionarischem Eifer vorgetragenen Sozial-Tralala" zu erzählen und um Quote zu erzielen. Fünf bis sechs Millionen Zuschauer sind ihm zu wenig. "Zwischen acht und zehn ist gut." Die Konkurrenz bei 17 Tatort-Teams indes ist immens.

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"Ich würde mir wünschen, dass ein Senderchef auch mal sagt: ,Das ist zu schlecht. Das senden wir nicht.` Der Tatort ist das Flaggschiff der ARD, das Rennpferd im Stall. Und das muss man pflegen und nicht als Ackergaul betrachten, der den Karren aus dem Dreck zieht." Der zweifache Grimme-Preisträger, der sich selbst nicht gerne ansieht und sagt "In ein paar Folgen war ich auch richtig schlecht", hat eine klare Meinung. Die tut er unumwunden kund, ohne dabei je besserwisserisch zu wirken.

Der Mann weiß einfach, was er will. Worauf es ankommt. "Gute Drehbücher zeichnen sich durch Lebenshaltigkeit aus. A good story well told. So einfach das Rezept, so schwierig, es umzusetzen. Und Humor. Und zwar immer, auch bei traurigen Szenen und etwas, das jetzt fast banal klingt: Erzählkunst." Er beherrscht sie.

Als Drehbuchautor von "Silberdisteln", die er 2000 auch inszenierte. Als Sprecher der Musik- und Krimilesung "Mörderisches Bayern", mit der er seit 1998 auf Tour geht und als Erzähler seines eigenen Lebens jetzt am Tisch. Ist er nun Sprecher, Schauspieler, Autor? "Von allem etwas. Das käme mir sehr zu pass: ein Generalistenleben."

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