"Der Everest hat meine Lebenseinstellung geändert“
Es dauert eine Stunde. Dann kommt die Antwort per e-mail: "Einem Interview bin ich keineswegs abgeneigt. Nächste Woche würde gut passen. Um Ihre Arbeit zu erleichtern, sende ich etwas Background-Material. Mit herzlichen Grüßen, Ihr Norman G. Dyhrenfurth, Univ.-Professor i.R." 2012 ist das "Europäische Jahr für aktives Altern" – was auch immer damit gemeint sein mag, Norman Dyhrenfurth könnte seine Leitfigur sein. Mit fast 94 Jahren begrüßt er uns in seinem Büro, antwortet konzentriert auf alle Fragen, weiß Jahreszahlen und Berghöhen besser als manches Lexikon. Und wenn ihm ein Name nicht einfällt, assistiert seine Lebensgefährtin Maria, die er liebevoll "Moidi" nennt. Sie wird demnächst 93. Warum die beiden, die seit 1965 ein Paar sind, nie geheiratet haben, erklärt er so: "If it works, don’t fix it – wenn’s funktioniert, versuche nicht, es zu reparieren." Moidi schmunzelt.
KURIER: Herr Dyhrenfurth, vor 20 Jahren wurde über Sie geschrieben: "Er schaut um 20 Jahre jünger aus, als er ist." Das gilt bis heute. Sie werden 94. Was ist Ihr Geheimnis?
Norman Dyhrenfurth: Ich weiß es nicht. Ich hab’ auch Probleme wie jeder alte Mensch. Ich habe zum Beispiel ein künstliches Knie, aber das ist tadellos. Und mit Namen hab’ ich Schwierigkeiten. Da muss ich oft nachdenken.Das darf doch sein?
Es darf sein. Aber es ärgert mich trotzdem (seufzt) .
Machen Sie noch Sport?
Golf, ja! Wenn der Schnee weg ist, spielen wir wieder. Aber Moidi und ich fahren nicht mehr Ski. Seit die Snowboarder unterwegs sind, ist es zu gefährlich. Und Bergsteigen wäre in unserem Alter auch ein Blödsinn.
Dyhrenfurths Lebensgefährtin Moidi wirft ein: "Im Moment sind wir sehr faul. Aber wir schauen gern Sport im Fernsehen an, Tennis, Golf und Skifahren."
Sie setzt sich auf das Zimmerfahrrad, das gegenüber vom Schreibtisch neben einer Ruderbank steht, und radelt los.
Norman springt auf, ruft: Moidi, das ist zu hoch für dich! Das müssen wir verstellen!
Benutzen Sie diese Geräte?
Ja, damit trainieren wir, dass wir fit bleiben.Und die Hanteln?
Sind von Clint Eastwood.Für Eastwoods Thriller "The Eiger Sanction" waren Sie technischer Berater ...
Ich habe die Filmcrew am Flugplatz in Zürich erwartet. Clint ist in meinen Porsche gestiegen und hat gesagt: "Ich fahre mit dir, aber ich brauche Hanteln." Da sind wir ins Sportgeschäft gegangen, haben sie gekauft und in seine Tasche gepackt. Als wir im Hotel auf der Kleinen Scheidegg ankamen, wollte der Portier die Tasche tragen und konnte sie nicht heben. Clint hat die Tasche geschultert und ist gegangen (lacht) .Wie war die Arbeit mit ihm?
Am Ende des Drehtages nehmen die meisten Regisseure ihr Manuskript und gehen einen trinken. Aber er hat immer irgendein möglichst schweres Teil genommen und ist damit marschiert. Das muss man anerkennen. Er ist auch das meiste selbst geklettert.Sie kamen schon jung zum Film. Was hat Sie gereizt?
Ich hab’ "Die Weiße Hölle vom Piz Palü" gesehen mit Leni Riefenstahl und Gustav Diessel in den Hauptrollen, da war ich 14 und hab’ gesagt: "Filmen, das wär’ ein Beruf für mich." Die Riefenstahl war später meine Chefin.Wie kam es dazu? Ich wurde Assistent bei Hans Ertl (Filmemacher, Fotograf und Alpinist aus München, Hauptkameramann in Riefenstahls "Olympia"-Film 1936, Anm.) . Der Ertl war mit meinen Eltern 1934 im Karakorum und hatte – ich kann es jetzt ruhig sagen, es wurde ja schon im Fernsehen gesagt – ein G’spusi mit meiner Mutter. Ich hab’ ihm tanzen beigebracht und Tennis, er hat mich dafür als Kameraassistent beschäftigt. Und wie war Riefenstahl ? Ich hab sie kaum gesehen, ich war zu jung für sie. Sie hat die Männer gern gesehen, aber ich war erst 17. Sie hatte ein großes Talent als Cutterin, als Regisseurin war sie mäßig.Ende 1937 folgten Sie Ihrer Mutter in die USA, kämpften im Zweiten Weltkrieg in der US-Army in den Aleuten gegen die Japaner und wurden später Leiter der Filmschule an der University of California in Los Angeles, ein angesehener Job, den Sie nach Ihrer ersten Himalaya-Expedition aufgegeben haben ...
Die Schweizer haben mich 1952 eingeladen, den Film über ihre Everest-Expedition zu machen. Der hat dann bei einigen Filmfestivals den ersten Preis gewonnen. (Die Schweizer scheiterten damals unterhalb des Gipfels, mit dabei war Tenzing Norgay, der im Jahr darauf mit Edmund Hillary die Erstbesteigung schaffte, Anm.)
Aber warum haben Sie an der Universität gekündigt?
Der Everest hat meine ganze Lebenseinstellung geändert, vollkommen. Ich konnte nicht mehr im Elfenbeinturm sitzen. Drei Tage nach meiner Rückkehr habe ich die Professur aufgegeben ... . .. und selbst Expeditionen organisiert und geleitet. Was war Ihr größter Erfolg? Die 1963er-Expedition, die erste Überschreitung des Everest. Vier unserer Leute gingen vom Südsattel auf den Gipfel, zwei erstmals vom Westgrat.Es war die bis dahin größte Himalaya-Expedition aller Zeiten. Sie brachen mit 900 Trägern in Kathmandu auf und mussten vorher zwei Jahre um das Budget für diese erste offizielle US-Everest-Expedition kämpfen.
Ja, ja, vorher war der Kennedy zu busy, er hatte diese Kubakrise. Sein wissenschaftlicher Berater hat mir geschrieben: "Augenblicklich kann der Präsident nicht." Als wir dann so erfolgreich waren, konnte er doch (lacht) .Kennedy hat Ihnen und der Mannschaft die "Hubbard-Medaille der National Geographic Society" verliehen. Wie war die Begegnung?
Wir waren im Oval Office, das ja seit Clintons Affäre "Oral Office" heißt (er lacht, hinter ihm im Bücherregal steht "Monica Lewinsky" von Andrew Morton) . Wir haben eine halbe Stunde geredet, dann hab ich ihm im Rosengarten die ganze Mannschaft vorgestellt.Sie haben auch Präsident Johnson kennengelernt.
Der war ein anderer Typ, ein wirklicher "Politiker".
Und Kennedy?
Der eigentlich nicht. Der war ein fescher Mann. Man wusste, dass da etwas mit Marilyn Monroe war. Die kannte ich übrigens von früher. Einer meiner Studenten hat mich irgendwann gefragt: "Kann ich eine Freundin mitbringen?" Ich sagte Ja. Da kam sie, hatte so einen sloppy Pullover an, kein Make-up, einige Studenten sagten: "Sieht ein bisschen aus wie Monroe." Es war Monroe, ein ganzes Semester saß sie als Zuhörerin im Kurs über American Documentary Film.Sie haben zwei Everest-Expeditionen geleitet, kamen 1963 bis auf 8700 Meter, haben aber selbst nie den Gipfel erreicht. Bedauern Sie das?
Nein. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich ein Expeditionsleiter nicht in die erste Gipfelmannschaft drängen soll.
Was hat Sie immer wieder zum Everest getrieben?
Die Leidenschaft. Jene, die heute raufgehen, nur weil sie Geld haben, die haben kein Verständnis für die Berge, zahlen 85.000 Dollar dafür, dass Sherpas sie an Fixseilen raufziehen. Wenn sie am Gipfel waren, sind sie "Helden" und lassen sich daheim von der High Society feiern. Bei diesen kommerziellen Expeditionen gab’s schon viele Tote. Das ist nicht Bergsteigen.
Wann waren Sie das letzte Mal beim Everest?
1992, im Standlager auf der nepalesischen Südseite. Es war grauenhaft, überall Leute, die keine Bergsteiger waren, und so eine Sauerei. Aber das Schlimmste: Da war gerade eine japanische Expedition auf der tibetischen Nordseite, die haben in 8500 Metern einen Mann gesehen, der im Sterben war. Doch sie sind weitergegangen, und als sie vom Gipfel runterkamen, war er tot.
Es hat sich viel geändert?
Absolut. Extrembergsteiger gehen oft unangeseilt, jeder sein Tempo. Ich habe darauf bestanden: Immer angeseilt und nur so schnell, wie der Langsamste am Seil geht. Oder die Speedclimber! Einer – er ist bereits tot – hat den K2 in 12 Stunden gemacht, da kann von Leidenschaft keine Rede sein, die wollen nur berühmt werden. Dann kam er zu mir und fragte: "Wie kann ich das vermarkten?" Ich hab’ gesagt: "Da kann ich dir nicht helfen." (lacht)Auch wenn man nicht fahrlässig agiert, ist Bergsteigen gefährlich. Bei Ihrer 63er-Expedition wurde ein Mann von einem Eisturm erschlagen. Nimmt man den Tod in Kauf?
Bei solchen Expeditionen muss man auf alles gefasst sein. Man nimmt den Tod in Kauf. Wenn auch sehr selten.
Warum?
Warum? Warum machen Leute Bungee-Jumping oder Base-Jumping? Einer hat damit angefangen ...Was für Pläne haben Sie?
Noch einmal in die USA reisen und die Mannschaft von 1963 treffen. Sieben von ursprünglich 20 leben noch. Wir werden sehen, ob Moidi und ich dazu in der Lage sind.Vor einigen Jahren haben Sie geschrieben "Als Kind war ich von der geistigen Reife alter Menschen überzeugt, jetzt wird mir die Wahrheit des Dichters offenbar: ,Da steh’ ich nun ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.‘" Ist Altersweisheit eine Chimäre?
Ja (lacht) . Vor Kurzem hab’ ich im Fernsehen Folgendes erzählt: Schiller hat gesagt, er habe immer vor dem Fenster einen schönen Berg gesehen und wollte unbedingt rauf. Als er dann oben war, sah er in der Ferne noch schönere, höhere Berge. Das ist das Leben.
Lebenslauf: Berg und Tal, Ost und West, Yeti und Kennedy
Die Liebe zu den Bergen habe er vom Vater, erzählt Norman Günter Dyhrenfurth, der 1918 in Breslau als 3. Kind von Hettie und Günter Oskar Dyhrenfurth geboren wurde. Sein Vater war ein Pionier der Himalaya-Forschung, stritt schon wie später der Sohn mit der Duden-Redaktion um das y in Himalaja und leitete internationale Expeditionen, Ehefrau Hettie begleitete ihn. Sie, die erfolgreiche Tennisspielerin, hielt 20 Jahre den Höhenrekord für Frauen, nachdem sie 1934 mit ihrem Mann den 7315 m hohen Westgipfel des Sia Kangri im Karakorum bestiegen hatte. Von 1923 bis 1926 lebte die Familie in der Salzburg und übersiedelte dann in die Schweiz. Mutter Hettie ging 1935 auf Vortragsreisen in die USA und wanderte dann ganz aus, die Kinder folgten ihr.
Vater Günter blieb in der Schweiz, ließ sich 1948 scheiden und heiratete seine Lebensgefährtin, mit der er seit 1929 einen Sohn hatte.
Norman arbeitete in den USA als Skilehrer, Bergführer und Filmemacher, trat in die Army ein, wurde Professor für Film in Los Angeles und kam 1952 als Kameramann erstmals zum Everest. Er nahm an Expeditionen teil, führte 1958 eine US-Gruppe an, die den Yeti finden sollte.Er initiierte, organisierte und leitete die historische US-Everest-Expedition von 1963, bei der sechs Männer den Gipfel erreichten, zwei davon über eine neue Route.
1971 stellte er eine internationale Mannschaft zusammen mit dem Ziel, die Südwestwand des Everest zu durchsteigen. Doch die Expedition stand durch Wetter, Krankheiten und Profilierungszwang einzelner Teilnehmer unter keinem guten Stern. Zur Organisation dieser Expedition war Dyhrenfurth 1970 nach Salzburg gezogen. Davor hatte er mit seiner Lebensgefährtin Maria "Moidi" Sernetz in den USA gelebt, die aus dem Pongau stammt und die er 1965 beim Skifahren kennengelernt hat. Das Paar ist in Salzburg geblieben. Moidi ist 15-fache österreichische Golfmeisterin. Dyhrenfurth ist amerikanisch-schweizer Doppelstaatsbürger.
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