Abgang ohne Einsicht: Gottschalks vertane Chance

Gottschalk mit den Musikerinnen Helene Fischer und Shirin David
Thomas Gottschalk wehrte sich bis zum Schluss gegen eine zeitgemäße Ausdrucksweise in seiner Show. Im letzten "Wetten, dass..?" empfand er sich sogar als Opfer des Zeitgeists.

Ein letztes Mal moderierte Thomas Gottschalk am Samstagabend den Show-Klassiker "Wetten, dass..?" "Wir hatten eine gute Zeit zusammen", rief er den rund 2.000 Menschen in der Baden-Arena in Offenburg zu. 

Gottschalk dürfte zufrieden sein: Er habe es im Laufe seiner Karriere stets geschafft, Generationen vor dem "TV-Lagerfeuer" zu versammeln, hieß es immer wieder. Aber auch die Kritik blieb nicht aus. 

"Nichts darf man mehr sagen"

Der 73-Jährige wehrte sich bis zuletzt gegen einen zeitgemäßen Sprachgebrauch. In der letzten "Wetten, dass..?"-Show wähnte er sich am Ende in einer Opferrolle. 

Der Showmaster erklärte, was ihn bewogen habe, nun endgültig Schluss zu machen mit "Wetten, dass..?": Zum einen wolle er nicht, dass "man mir meine Gäste erklären muss". Zum anderen habe er im Fernsehen immer das gesagt, was er auch zu Hause gesagt habe. Inzwischen rede er im Fernsehen anders als zu Hause - weil er fürchte, dass er einen "Shitstorm" erzeugen könnte. 

Daran hagelte es online Kritik: Gottschalk hätte vor einem Millionenpublikum anerkennen können, dass nicht er, sondern viele andere im Laufe seiner Karriere die Leidtragenden waren und damit ein Zeichen setzen, so der Tenor. In den sozialen Medien wurde während und nach der Show diskutiert. Gottschalks Rede barg Potenzial, das er nicht nutzte, hieß es etwa auf X (vormals Twitter):

"Nicht mal TV-Held Gottschalk kann heute noch frei seine Meinung äußern? Wetten, dass das nicht stimmt? Mit seinen Worten machte er am Ende genau das. Zudem kündigte er im Abspann einen neuen Podcast an. Auch dort wird Meinung nicht fehlen. Gottschalk hatte zunächst wie so oft viele Menschen zusammengebracht. Doch mit seinen Abschiedsworten brachte er sie wieder auseinander", kommentierte der Mannheimer Morgen Gottschalks letzten Auftritt.

Thomas Gottschalk war in der Show am Samstag etwa mit der erfolgreichen Rapperin Shirin David in eine Diskussion auf der Promi-Couch über Feminismus und Influencerinnen geraten. So meinte er, dass man ihr nicht "ansähe", dass sie sich für Opern interessiere und Feministin sei. Die Sängerin konterte mit: "Weil ich gut aussehe?" und punktete mit der Gegenfrage: "Bist du Ferminist?" Dafür kassierten sie und Helene Fischer von Gottschalk einen typischen Schwamm-Drüber-Satz: "Lasst mich doch labern hier." 

Die frühere Tennisspielerin Ana Ivanović fragte er etwa, ob Ehemann Bastian Schweinsteiger "im Haushalt" helfe - die Männer auf Gottschalks Couch duften traditionell ungleich häufiger über ihre Karrieren sprechen. Außerdem müsste man heute "Angst haben, ein Mädchen zu berühren".

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Thomas Gottschalk findet er dürfte "nichts mehr sagen" und vergisst dabei, dass er jahrzehntelang ohne Konsequenzen alles sagte, was er will

Thomas Gottschalk findet er dürfte "nichts mehr sagen" und vergisst dabei, dass er jahrzehntelang ohne Konsequenzen alles sagte, was er will

Kritik wurde in den Sozialen Medien auch an Gottschalks Resistenz gegen inklusive Sprache laut. "Als Moderator*in sollte man verinnerlicht haben. dass Ableismus, Sexismus, Rassismus und alle andere Abwertungen ein No-Go sind", schreibt eine Nutzerin auf X.

Österreichischer Behindertenrat reagiert

Es sei ein Lichtblick, dass ein Millionenpublikum künftig von Gottschalks sprachlichen Ergüssen verschont bleibt, schreibt der Österreichische Behindertenrat auf seiner Website.

Der Moderator hatte den 14-jährigen Rollstuhlnutzer Felix Mayr aus Großweikersdorf in Niederösterreich in der Sendung als "an den Rollstuhl gefesselt" bezeichnet. Daneben sei das Studio nicht barrierefrei gewesen. Mayr habe so nicht zu den prominenten Gästen auf das Podest gelangen können. "Ableismus in Reinform" sei deutlich geworden, kommentiert eine Userin auf X:

Mayr wettete, dass er im Handstand auf einem Skateboard fahrend auf Spielkarten aufliegende Kaubonbons in Flaschen versenken kann, indem er die Karten mit seinem Helm wegzieht.

Felix Mayr

Felix Mayr

Felix Mayr

Felix Mayr und Thomas Gottschalk

Felix Mayr und Thomas Gottschalk

Felix Mayr und Thomas Gottschalk

Abgang ohne Einsicht: Gottschalks vertane Chance

Felix Mayr und Thomas Gottschalk

Felix Mayr und Thomas Gottschalk

Die Berliner Autorin und Beraterin für Inklusion, Gerechtigkeit und Diversität Laura Gehlhaar analysiert die Auswirkungen von Diskriminierung auf das gesellschaftliche Denken. "Mich interessiert T. Gottschalk nicht. Er kann tun und lassen, was er möchte. Sagen und denken, wie ihm beliebt (...). Kritisch und fatal wird es erst, wenn mehrere Millionen Menschen im Live-Fernsehen dabei zuschauen, dass Übergriffigkeit und Diskriminierung von behinderten Menschen einfach passieren darf", schreibt sie auf Instagram.

"Dass Leben von behinderten Menschen abgewertet werden darf, weil man behindert ist. Dass es normal sein darf, die Privatsphäre zu missachten, indem man als Frage die nach der Diagnose stellt. Bei dieser Kinderwette hätten wir auch einfach einen coolen Jungen kennenlernen können, der sich eine kreative Wette hat einfallen lassen", so Gehlhaar. 

Der Verein ZARA - Zivilcourage und Antirassismusarbeit beschreibt Ableismus (auch: Behindertenfeindlichkeit) als "Herabwürdigung eines Menschen aufgrund einer Beeinträchtigung und Reduzierung einer Person auf seine*ihre Beeinträchtigung. Ableismus ist für Personen mit Behinderung das, was Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ethnischen und/oder religiösen Zugehörigkeit sowie Sprache durch den Rassismus widerfährt oder Frauen durch Sexismus erleben. Ableismus kann von Beschämung, Beschuldigung oder Beleidigung von Personen mit Behinderung bis hin zu Verharmlosung von Gewalt oder Gewalt gegen Personen mit Behinderung reichen". Anmerkung: "Menschen mit Beeinträchtigung" wird als Selbstbezeichnung oft abgelehnt. "Es heißt 'behinderte Menschen' oder 'Menschen mit Behinderung'", sagt die deutsche Autorin und Aktivistin Luisa L'Audace. Diese neutrale Selbstbezeichnung werde immer noch als Schimpfwort missbraucht, dagegen müsse man vorgehen.

Er blicke nun in die Zukunft, sagte Gottschalk zum Abschied: "Ich bin nicht verzweifelt, mein Leben geht weiter und ich freue mich auf alles, was kommt."

Frank Elstner, der die Show einst erfand und selbst moderierte, umarmte Gottschalk zum Abschied und würdigte seine Arbeit. "Ich bin dankbar dafür, dass du so lange durchgehalten hast", sagte er. Gottschalk fuhr schließlich auf einem Bagger aus der Halle. 

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