Dean Martin: Die Geheimnisse seines Lebens

Dean Martin: Die Geheimnisse seines Lebens
Geraucht, gesoffen und gelumpt wurde ja zu allen Zeiten im Showbiz, aber kein Weltstar spielte damit so grandios und gnadenlos wie Dean Martin (1917–1995). Der "King of Cool" wäre am 7. Juni 100 geworden.

Bis zu seinem fünften Lebensjahr, so erforschten Biografen, beherrschte er kein Wort Englisch. Nur Italienisch – oder besser gesagt: diesen Abruzzen-Dialekt jener Gegend, aus der sein Vater Gaetano in die USA eingewandert war und auf dem zweiten Bildungsweg des "American Dream" als Friseur in Steubenville im „rostigen Gürtel“ Ohios Fuß gefasst hatte.

Dean Martin: Die Geheimnisse seines Lebens
1965: Dean Martin on the set during filming of "The Dean Martin show" in 1965. (Photo by Martin Mills/Getty Images)

Dean Martin, fleischgewordener Inbegriff des italienischen Menefreghista, was man im Deutschen am treffendsten mit dem wienerischen Nixscheißerei übersetzt

Dino Crocetti purzelte als zweiter Sohn einer ersten Generation an Migranten in die Neue Welt, deren alte Ordnung er von klein auf über den Haufen werfen wollte. Wenn man ganz unten ist, gibt es nur eine Richtung: Ganz nach oben. Dort, ganz oben, dort prangte es – im Regal von "Papa Guys Little Barber Shop": "Auerbach’s Million Dollar Hair Tonic". "Es belebte wohlfeil die Kopfhaut und verlieh den Möchtegern-Valentinos der Nachbarschaft den sinnlichen, irisierenden Schimmer vornehmer Eleganz", wie Nick Tosches, ein ehemaliger Redakteur des Rolling Stone, in seinem Standardwerk „Dino: Rat Pack, die Mafia und der große Traum vom Glück“ (Heyne, 2006) retrospektiv erschnupperte.

Spindeldürr und spitznasig

Und weiter: "Wenn man noch eine Zigarette mit einstudierter Lässigkeit im Mundwinkel baumeln ließ und eine Augenbraue wie zufällig anhob, war der Effekt vollkommen." Wenn es einen Begriff gab, den der spindeldürre, spitznasige "Spaghetti" ganz früh verinnerlichte, wohl ohne ihn auch nur buchstabieren zu können, dann war es Menefreghista. Ein so unübersetzbares wie unübertreffliches Synonym für jene Befindlichkeit, die etwa der Wiener unter "Nixscheißerei" subsumiert – kurzum: Es war ihm alles wurscht.

Mit 16 ließ er die Schule des Lernens für die des Lebens hinter sich: "Ich fand mich viel klüger als die Lehrer!" Er schmuggelte Alkohol, erwarb eine mittlere Reife in Kartentricks und in Selbstverteidigung, was ihn als "Kid Crochet" für ein paar Dollars zum Preisboxer machte. "Von meinen zwölf Kämpfen", kokettierte er später, "habe ich alle gewonnen, bis auf elf." Tatsächlich hält er einen respektablen Rekord von 24 Siegen in 30 Fights. Die lange Nase ging dabei (mindestens) dreimal zu Bruch und (ästhetisch unerheblich) in die Breite.

Dean Martin: Die Geheimnisse seines Lebens
THE MARTIN & LEWIS SHOW (RADIO) -- Pictured: (l-r) Jerry Lewis, Dean Martin (Photo by Elmer Holloway/NBC/NBCU Photo Bank via Getty Images)

Für Spaßmacher Jerry Lewis ließ Dino Lou Costello fallen

Den richtigen Riecher hatten andere, denn: Die schmeichelweiche Stimme, die er bald als Bing-Crosby-Fan unter "Dino Martini" erhob, ging Auskennern, die ein Auge auf ihn warfen, unauslöschlich ins Ohr. So wie dem gefeierten Comedian Lou Costello, der ihm als Bühnenpartner spontan einen "Nosejob" finanzierte, also eine kosmetische Korrektur des gepeinigten Gesichtserkers. Martin nahm es dankend an und ... ließ Costello postwendend für den unbekannten Spaßmacher Jerry Lewis (heute 91) sausen. Aber damit begann ein Jahrzehnt der Unterhaltungsindustrie, das zum Jahrhundertereignis wurde. Der Itaker aus Ohio und der Jude aus New Jersey, weniger charmant (O-Ton Lewis) "der Schönling und der Affe", machten Millionen verrückt und verrückt viele Millionen – nach heutiger Kaufkraft jeweils rund 80 Millionen Dollar.

Irrationale Inkasso-Ikonen

In 16 gemeinsamen Filmen, die durch die Decke und rund um die Welt gingen, und in ungezählten Shows, von Las Vegas abwärts on stage oder landesweit on air, wurden Martin & Lewis zu internationalen und irrationalen Inkasso-Ikonen. Warum das Duo auf den "D-Day" genau eine Dekade danach (am 24. Juli 1956, drei Uhr Nacht im "Copacabana", East 16. Straße, Manhattan) detonierte, das deuten Doktoren der Psychoanalyse noch heute unschlüssig. Martin sah sich als bloßen Stichwortgeber für den Spaßvogel degradiert, Lewis ortete toxische Taktik von Einflüsterern und Ehefrauen. Wie auch immer: 20 Jahre lang herrschte klirrende Eiszeit. Martin trat bei Auftritten gelegentlich Zigaretten auf der Bühne aus und sagte: „Sorry, Jerry.“

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Sieben gegen Chicago (1964) SAMMY DAVIS JR. (Will), FRANK SINATRA (Robbo), DEAN MARTIN (Little John) B345007 UnitedArchives99569 Seven against Chicago 1964 Sammy Davis Jr will Frank Sinatra Robbo Dean Martin Little John B345007 UnitedArchives99569

Rat Pack: Sammy Davis, Frank Sinatra, Dean Martin

Erst Frank Sinatra ( 1998) gelang es, die beiden 1976 wieder, ohne ihr Wissen, zueinander zu zwingen. Köstlich, dass Lewis dabei live im TV Martin fragte: "You workin’?" ("Bist du noch im Geschäft?"). Mit genau diesen Worten hatte er ihn dereinst in New York auf offener Straße angesprochen – vom ersten Blick an unheilbar verliebt in den flamboyanten Frauenhelden, den niemand, ob Mann oder Frau, ob Showpartner oder Schauspielkollege, jemals – auch nur annähernd – ergründete.

Er trank, um zu vertuschen

Er trank nicht, um zu vergessen, er trank, um zu vertuschen. Nach eigenen Angaben hatte er auf der Bühne stets nur Apfelsaft im Glas – die Kunstform „Drunk Act“, die er entwickelte, also jene schwankende Performance, bei der das Publikum davon ausging, er hätte "einen sitzen", sollte bloß von seiner Text- und Sprachunsicherheit ablenken. Zu glanzvollen "Rat Pack"-Zeiten wurden die großen drei der Sixties gern so eingegeigt: "Frank Sinatra, coming directly from New York, Sammy Davis jun., coming directly from Las Vegas, Dean Martin, coming directly from the Bar."
Aber: Wie hätte der Mann, der 40 Jahre zur ersten Garnitur der Traumfabrik zählte, gut 80 Filme und knapp 200 Songs auswerfen und bravourös bewältigen können, wäre er tatsächlich der "Little Ole Winedrinker me" gewesen, als der er sich selbst so gern darstellte?

Sein erster Volltreffer in den Charts, „That’s Amore“ (1953), war ihm offenbar in den italienischen Knochen zutiefst peinlich. Die Zeile "When the moon hits your eye like a big pizza pie" brachte er stets nur gequält über die Lippen. Eine seelenverwandte Parallele zu Frank Sinatra, dem sein "Strangers in the Night" als "Date zweier Schwuler auf einem Bahnhof" vom Herzen zuwiderlief.

1000 Flaschen Scotch Jahresbedarf

Nun: Selbst (oder gerade) nüchterne Freunde und Weggefährten Martins schätzen seinen Jahresbedarf an Scotch (Lieblingsmarke: J&B) auf 1000 Flaschen. Insider haben zudem 1500 Sexualpartnerinnen errechnet. "Die Frauen", soll er konstatiert haben, "lieben mich, weil ich jede streichle, als ob sie meine letzte wäre."
Dagegen steht die explizite Expertise der ungekrönten Klatschkönigin der seinerzeitigen Hollywood-Tage, Elsa Maxwell: "Dean Martin ist ein ausgemachtes Ekel. Ich glaube, seine 18 Oldtimer-Autos in der Garage liebt er mehr als jede seiner Frauen. Ich frage mich, in welche Kurven diese Flasche auf zwei Beinen mehr vernarrt ist."
Gesichert ist, dass er selten vor 12 Uhr mittags aufstand, stets nur feinste Seide trug und seine Havannas am liebsten zu Wodka aus randvollen (Wasser-)Gläsern trank. "Einmal", sagte er, "habe ich Pat Boone (ein ebenso großer Entertainer wie Antialkoholiker seiner und unserer Tage, denn er ist mittlerweile 82 und bester Dinge, Anm.) die Hand gegeben – meine ganze rechte Seite wurde schlagartig nüchtern."

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BEVERLY HILLS - MAY 6: Actress Pier Angeli shows off her engagement ring to a wide-eyed Dean Martin in 1955. (Photo by Frank Worth, Courtesy of Capital Art/Getty Images)

Frauen als beliebig verfügbare Beute: Pier Angeli betrog Dean Martin mit James Dean

Das "Rat Pack" (eine drastische Wortschöpfung von Humphrey Bogarts Witwe Lauren Bacall) mit Sinatra, Davis jun., Kennedy-Clan-Schauspieler Peter Lawford und Comedy-Star Joey Bishop war dermaßen mystifiziert und diabolisiert, dass ausnahmslos alle Mitglieder ausdrücklich unerwünscht waren, als etwa Marilyn Monroe (1962) zu Grabe getragen wurde. Die Aura, die das "Rat Pack" umwehte, steht für die männliche Sehnsucht nach der vermeintlich noch viel männlicheren, wenn auch hoffnungslos überkommenen Idealvorstellung von cool und unantastbar, nämlich nächtelang trinkfest durchzumachen, Frauen als beliebig verfügbare Beute, allenfalls als schmückendes Beiwerk zu betrachten und der ganzen Welt eine lange Nase zu drehen – frei nach dem Motto: Wir sind reich, erfolgreich, begabt, beliebt, berühmt und unverwundbar, wir können uns das alles locker leisten und ihr habt gefälligst demütig in Ehrfurcht zu erstarren und höchstens angemessen hingebungsvoll zu staunen und zu applaudieren.

Geliebter Sohn

Dean Martins Rückzug von dieser Welt begann 1987, als er seinen geliebten Sohn Dino, der bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen war, beerdigen musste. Der Verlust löste eine anhaltende Depression aus, die sich in einer verstärkten Gleichgültigkeit sich und der Umwelt gegenüber ausdrückte.

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HOLLYWOOD - MARCH 19: Actor/Singer Dean Martin and son Dean Paul Martin attend the "Airport" Hollywood Premiere Party on March 19, 1970 at a Hollywood Sound Stage in Hollywood, California. (Photo by Ron Galella/WireImage)

Rückzug nach dem Tod des geliebten Sohnes Dino

Sein Freund Sinatra wollte ihn ins Leben zurückholen, plante eine tröstliche Tournee zusammen mit ihm und Sammy Davis jr. "Wir können uns einen Zug mieten, der uns quer durch die USA bringt, mit einem eigenen Speise- und einem eigenen Barwaggon", versuchte Sinatra seinen Freund, der in Agonie verfiel, zu motivieren.
Die Sache mit dem Zug wurde abgeblasen, die Tournee durch die USA fand aber statt. Doch Dean Martin war nur am Anfang, gedankenverloren, mit dabei, bald musste er durch die nicht minder alkoholgefährdete, aber immerhin noch transportable und herzeigbare Liza Minnelli ersetzt werden. Der viele Gin, auf den Martin umgestiegen war – und den er noch konsequenter als jeden Whiskey zuvor – in sich hineingoss, forderte seinen Tribut.

Der Körper versagte

Das Denkmal des "Menefreghista" begann zu wanken. Die nonchalante Nixscheißerei wurde vom millionenschweren Markenzeichen zum rein rechnerischen Risikofaktor. Schon 1991 war er mitAlzheimer diagnostiziert worden, im September 1993 zudem mit Lungenkrebs. Sein Körper hielt das erstaunlich lange aus, doch die letzten Bilder, die vor seinem Tod in diversen Bars aufgenommen wurden und die um die Welt gingen, zeigten einen ausgemergelten Mann, der nur noch wenig Ähnlichkeiten mit jenem strahlenden balzenden "Crooner" hatte, als den man ihn seit den 1940er-Jahren – scheinbar für alle Zeiten – vor Augen hatte. Trotz seines fragwürdigen Lebenswandels wurde Dean Martin 78 Jahre alt.

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Dean Martin, American singer, film actor and comedian, photographed at home in California in October 1974. (Photo by Lichfield/Getty Images).

1974 in seinem Haus in Beverly Hills

Zuletzt entfloh er dem Krankenhaus in Los Angeles, um daheim in Würde zu sterben.
Nur geladene Gäste – wie Jerry Lewis oder Shirley MacLaine – hatten Zutritt, als er auf dem "Westwood Village Memorial Park" beerdigt wurde. Der "King of Cool" war am ersten Weihnachtsfeiertag 1995 in seiner Villa in Beverly Hills erbärmlich erstickt.
"Wenn es soweit ist", sagte Dino lange Jahre vor dem letzten Glas, "dann begrabt mich neben meiner Theke."

Ocean’s Eleven (1960)
Just das Remake mit Clooney, Pitt, Julia Roberts und Damon (2001) verdeutlichte eines: Das Original mit Martin, Sinatra, Davis & Lawford bleibt schlicht und einfach unübertrefflich.

Küss mich, Dummkopf (1964)

Billy Wilders perfekt-perfide Mischung aus Slapstick und Starkult-Parodie hätte an sich Jack Lemmon an der Seite von Sex-Sirene Kim Novak (heute 84) spielen sollen.

Sieben gegen Chicago (1964)

Das „Rat Pack“ plus Bing Crosby und Peter Falk im Mafia-Milieu von Chicago zu Beginn der 1930er. Martin überzeugt als – nicht einmal singender – witziger Gangster.

Die vier Söhne der Katie Elder (1964)

Deans zweiter Film (nach „Rio Bravo“, 1959) neben dem krebskranken John Wayne litt unter den klimatischen Bedingungen in Mexiko. Eine Qual für alle Beteiligten.

Todfeinde (1968)

Poker-Duell auf höchster Ebene mit Robert Mitchum, der Martin als diabolischer Priester fordert. Die früh verstorbene Western-Blondine Inger Stevens ist zwar mit dabei, stört aber kaum.

Airport (1970)

Ein Alterswerk im Katastrophen-Genre, in glatter Hollywood-Konfektion zur Routine erstarrt. Neben Burt Lancaster & Jacqueline Bisset (r.) ist Martin flugs der Ruhepol kurz vor der Rente.

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