Morgensterns Rundflug im Reich der Gefühle

Thomas Morgenstern gibt nicht auf.
Kaum ein Skispringer erlebt so viele Höhen und Tiefen wie Thomas Morgenstern.

Thomas Morgenstern steckt gerade in einem ziemlichen Dilemma. Er muss sich jetzt möglichst schnell einen neuen Leitsatz einfallen lassen, nachdem sein altes Motto nach mehr als einem Vierteljahrhundert in die Brüche gegangen ist. „Ein Morgenstern bricht sich nichts“, pflegte der mittlerweile 27-Jährige bisher zu sagen, „aber das geht ja jetzt nicht mehr“, lächelt der Kärntner. Seine linke Hand ist seit dem schweren Sturz vor zwei Wochen in Titisee-Neustadt dick einbandagiert, Morgenstern braucht eine Spezialschiene, um mit dem gebrochenen Finger bei der Tournee skispringen zu können, außerdem einen Butler, der dem „Langfinger“ durch den Alltag hilft. Zwar hat Morgenstern eine Technik entwickelt, um bei seinen geliebten Computerspielen am Drücker bleiben zu können, „Schuhebinden ist aber schwierig mit der Hand, ich komm’ auch nicht alleine in die Bindung.“

Morgensterns Rundflug im Reich der Gefühle
Third placed Thomas Morgenstern of Austria competes during the men's Ski Jumping HS 142 Large Hill Individual competition at the FIS World Cup Ruka Nordic Opening in Kuusamo, November 29, 2013. REUTERS/Vesa Moilanen/Lehtikuva (FINLAND - Tags: SPORT SKIING) ATTENTION EDITORS - THIS IMAGE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY. THIS PICTURE IS DISTRIBUTED EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS. NO THIRD PARTY SALES. NOT FOR USE BY REUTERS THIRD PARTY DISTRIBUTORS. FINLAND OUT. NO COMMERCIAL OR EDITORIAL SALES IN FINLAND

Auf & Ab

Das jüngste Missgeschick scheint Thomas Morgenstern genauso wenig gebrochen zu haben wie all die anderen Rückschläge in den turbulenten letzten Jahren, weshalb der neue Leitsatz eigentlich fast schon auf der verletzten Hand liegt: Einen Morgenstern wirft nichts aus der Bahn.

Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass sich der 27-Jährige emporkämpft. Emporkämpfen muss. Kaum ein anderer Skispringer pendelt so häufig zwischen Wolke sieben und dem Boden der Realität hin und her wie Morgenstern. Manchmal sogar binnen weniger Stunden. Den kapitalen Stern hatte er in Titisee-Neustadt nur einen Tag nach seinem umjubelten 23. Weltcupsieg gerissen. Nicht von ungefähr meint ÖSV-Direktor Ernst Vettori: „Der Thomas kann jetzt schon ein ganzes Buch füllen, mit dem was er alles erlebt und durchgemacht hat.“ Und wenn Alexander Pointner vor dem Tourneestart in Oberstdorf (16.30 Uhr, ORFeins) erklärt, er habe „höchsten Respekt vor dem, was Thomas geleistet hat“, dann spricht der österreichische Cheftrainer in erster Linie die vielen Höhen und Tiefen in der elf Jahre dauernden Weltcupkarriere des Kärntners an.

Star & Stern

Da gibt es einerseits den Winnertypen Thomas Morgenstern: jenen Überflieger, der vom Olympiasieg bis zur WM-Goldmedaille in den letzten Jahren jeden großen Erfolg gelandet hat, den es in der Schanzen-Szene gibt.

Morgensterns Rundflug im Reich der Gefühle
epa03992153 Austria's Thomas Morgenstern is seen after crashing during the FIS Ski Jumping World Cup at the Hochfirst ski jump in Titisee-Neustadt, Germany, 15 December 2013. EPA/DANIEL MAURER
Da gibt es aber auch dasSorgenkind Thomas Morgenstern: jenenPechvogel, der in regelmäßigen Abständen in gehörige Turbulenzen gerät. Mal war es ein kapitaler Stern wie 2003 in Kuusamo, der ihm heute noch manchmal zu schaffen macht („der Sturz ist immer noch in meinem Schädel drin“). Mal war es ein Senkrechtstarter aus der eigenen Mannschaft (Gregor Schlierenzauer), der ihm die Show und das Rampenlicht stahl. „Ich war die zentrale Figur, war Olympiasieger, und auf einmal hast du das Gefühl, dass du nicht mehr so viel wert bist. Für mich war das eine schwierige Situation, wie der Gregor gekommen ist“, erinnert sich Morgenstern.

Frust & Lust

Im letzten Winter kam dann schließlich auch noch der heftige private Gegenwind dazu. Nach der Geburt seiner Tochter und der späteren Trennung von Langzeitfreundin Kristina tauchte der Name Morgenstern öfter in den Klatschkolumnen auf als auf den ersten Seiten der Ergebnislisten. Und erstmals schien das Stehaufmännchen die Energie und Motivation zu verlieren. „Da kamen Rücktrittsgedanken auf“, sagt Morgenstern („ich bin froh, wenn der Dreier nicht mehr in der Jahreszahl steht“), der nun zum Auftakt der Tournee in Oberstdorf aber nicht wie ein Springer wirkt, der sich mit der Adler-Pension beschäftigt. Im Gegenteil: Der Österreicher startet mit großen Ambitionen in den Schanzen-Klassiker, den er – natürlich – auch schon einmal gewonnen hat (2011). „Der Thomas weiß, wie man die Tournee gewinnt, daher ist er für mich ein Favorit“, meint Cheftrainer Pointner. Wie zum Beweis segelte Morgenstern im ersten Sprung nach seinem Sturz gleich auf 135 Meter. „Ich bin erleichtert, dass es gut geklappt hat. Aber es ist nicht so, dass ich jetzt das Skispringen neu erfinden hätte müssen.“

Die Höhen und Tiefen von Thomas Morgenstern:

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