Thomas Diethart: Auf dem Zitterbalken

Der Kampf um die Medaillen ist zweitrangig - erst muss der Sieg über die Angst her.
Der ehemalige Tourneesieger hat nach seinem dritten schweren Sturz einen übermächtigen Gegner: die Angst.

"Das ist das Schlimmste, das einem Skispringer passieren kann."

Thomas Diethart muss es ein müdes Lächeln kosten, wenn er von den Sorgen und Problemen hört, die seine Springer-Kollegen so plagen. Er würde auch gerne mit dem Rückenwind hadern oder sich über zu niedrige Haltungsnoten beschweren. Das, was er durchgemacht hat, das, was ihm nun wieder bevorsteht, sollte er nach seinem schweren Trainingssturz in dieser Woche in Ramsau tatsächlich noch einmal über eine Schanze springen wollen, hört sich wie der blanke Horror an. "Es war bei mir reines Überleben. Du stehst oben auf der Schanze und du traust dich nicht runter."

Diddl der Nation

Es ist in den vergangenen Jahren immer ruhiger geworden um den jungen Mann, der einmal das ganze Land verzückt und in Staunen versetzt hatte. Thomas Dietharts Triumph bei der Vierschanzentournee 2014 ist immer noch eine der ungewöhnlichsten Erfolgsgeschichten, die der Sport geschrieben hat. Über Nacht wurde der Nobody aus Niederösterreich zum "Diddl der Nation". Der Flachlandadler, wie man Diethart schnell nannte, wurde mit Applaus und Preisen überhäuft, in seiner Heimatgemeinde Michelhausen ist seit dieser Zeit ein Turnsaal nach ihm benannt.

So schnell wie er im Rampenlicht aufgetaucht war, so rasch war er auch wieder aus dem Blickfeld verschwunden. In letzter Zeit war von Diethart meist nur dann zu hören, wenn er einen kapitalen Sturz fabrizierte. 2016 in Brotterode und in Stams, am Mittwoch nun in Ramsau.

Privatspringer

Treffen mit Thomas Diethart auf der Bergiselschanze in Innsbruck, nur wenige Tage vor seinem jüngsten Sturz. In seiner knallroten Jacke mit dem Logo des Skiverbandes sieht der 25-Jährige immer noch aus wie ein Mitglied der ehemaligen Super-Adler. Doch am winzigen Aufnäher am Ärmel kann man erkennen, dass Dietharts Tage beim Skiverband gezählt sind. 2017 steht da, es ist das offizielle Outfit aus der Vorsaison.

Nach dem vergangenen Winter wurde der ehemalige Tourneesieger aus allen ÖSV-Kadern gestrichen. Zuvor hatte er bereits seinen Platz im Heeressportzentrum verloren. Thomas Diethart ist jetzt offiziell ein Privatspringer. Er darf zwar noch mit der Trainingsgruppe 3 des ÖSV trainieren, muss sich aber alles selbst bezahlen. Jedes Paar Sprungski, jeden Anzug, jede Reise. "Ich habe mir ausgerechnet, wie lange ich es machen kann, wenn kein Preisgeld reinkommt. Im Moment lebe ich vom Ersparten. Es ist nicht einfach."

Trotzdem wirkt Thomas Diethart im Gespräch auf dem Bergisel erstmals seit langer Zeit wieder optimistisch. Bei den österreichischen Meisterschaften auf der Normalschanze war er zuletzt schon wieder auf Platz zehn gelandet und hatte dabei einige weltcuperprobte Skispringer hinter sich gelassen. Der 25-Jährige wähnt sich im Aufwind, Thomas Diethart hat das Gefühl, dass er seine Ängste überwunden hat, dass seine Leidenszeit nun endlich vorbei ist.

Angstzustände

Der Trainingssturz im Sommer 2016 in Stams hatte den Niederösterreicher arg mitgenommen. "Ich habe ewig gebraucht, bis ich überhaupt wieder rauf auf die Schanze gegangen bin", erzählt Diethart. "Und wie ich dann oben war, ist es oft vorgekommen, dass ich schon am Balken gesessen bin, das Freizeichen hatte und ich gesagt habe: ,Das geht nicht, ich muss da wieder raus.‘"

Genau diese Momente meint Diethart, wenn er vom Schlimmsten spricht, das einem Skispringer passieren kann. Wenn er das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten verliert, wenn die Angst die Oberhand gewinnt. "Ein Abfahrer kann, wenn er das erste Mal nach einem schweren Sturz wieder runter fährt, zumindest bremsen. Aber auf der Sprungschanze geht das nicht. Sobald du wegfährst, ist es vorbei."

Selbstzweifel

Nicht nur einmal war Thomas Diethart an dem Punkt angelangt, an dem er alles hinschmeißen wollte. Weil ihn die Zweifel und die Unsicherheit irgendwann bis ins Privatleben verfolgten. "Man kann nicht mehr schlafen vor dem Springen. Und du denkst dir: ,Wie lange kann ich das noch machen, wie lange geht das noch, wie lange halte ich das noch durch?‘"

In seiner Verzweiflung ließ sich Diethart sogar hypnotisieren, um die Ängste loszuwerden. Erst der intensive Gedankenaustausch mit einem Psychologen half dem Niederösterreicher auf die Sprünge. In den letzten Wochen war er nun endlich wieder zum Materialtesten gekommen. Nach langer Zeit fühlte er sich wieder in der Lage, an seiner Sprungtechnik zu feilen. "Es hat wieder angefangen, Spaß zu machen. Vorher ist es rein darum gegangen, ob ich überhaupt springe. Das war eine Qual. Wenn das so weitergegangen wäre, hätte ich es vermutlich eh längst gelassen."

Aber ein Leben ohne Skispringen, das konnte sich Diethart bisher nicht vorstellen. "Ich hab’ nicht gewusst, was ich sonst tun soll, daher bin ich weitergesprungen", sagt er, "so auf die Art: was anderes kann ich nicht". Zumal Diethart immer noch das Gefühl hatte, dass der Tourneesieg nicht alles gewesen sein könne. "Wenn ich den anderen beim Springen zuschaue, dann ärgere ich mich ein bisschen, weil ich weiß, dass ich das eigentlich auch kann." Das hat Diethart vor seinem Sturz in Ramsau gesagt. Von der schweren Gehirnerschütterung, den Prellungen und der Lungenquetschung wird er in einigen Wochen nichts mehr spüren. Aber ob er nun auch den dritten schweren Crash verkraften wird können, das erscheint angesichts der Erzählungen mehr als ungewiss.

Man möchte Thomas Diethart eigentlich fast davon abraten, seinen großen Traum zu verwirklichen. Was für Ziele er noch habe, wurde er am Bergisel auch gefragt. "Ich muss noch einmal Skifliegen. Ich bin noch nie über 200 Meter geflogen."

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