Streif: Erster Krach und erstes Opfer

epa03549901 Norway's Aksel Lund Svindal in action during the first men's downhill training of the Alpine Skiing World Cup in Kitzbuehel, Austria, 22 January 2013. EPA/ROBERT JAEGER
Das erste Training war vernebelt – zwischen Athleten und Funktionären ging’s stürmisch zu.

Wütend schwang Klaus Kröll im Nebel auf dem Hausberg ab, riss dem dort postierten ÖSV-Trainer Florian Raich das Funkgerät aus der Hand und brüllte seinen Zorn hinein. Der galt Weltcup-Direktor Günter Hujara. Der Deutsche war der Bitte der Favoriten, die um eine Trainingsabsage ersuchten hatten, nicht nachgekommen.

Auch im Zielraum war Kröll kaum zu beruhigen. Der Abfahrtsweltcup-Titelverteidiger drosch konträr zu seinem Ruf des gutmütigen Hünen mit den Fäusten gegen den Zaun. "Ich hab’ überhaupt nichts mehr gesehen. Wäre ich weitergefahren, hättet ihr mich irgendwo im Netz gefunden."

Vorwürfe

Streif: Erster Krach und erstes Opfer
Klaus Kröll brach seinen Trainingslauf ab und war wütend.
Doch nicht so sehr der Nebel, sondern die Tatsache, dass das Training für diesamstägige Abfahrtüberhaupt gestartet worden war, löste bei Kröll den Temperamentsausbruch aus. Der Steirer stand mit seiner Wut nicht allein da.

Warum, fragten auch Hannes Reichelt und so manche ausländische Piloten, habe man ihnen nach den anstrengenden Tagen beim Abfahrtsmarathon auf dem Lauberhorn nicht einen Tag mehr zum Regenerieren gegönnt?

Warum musste die von den Kitzbühelern (mit Heereshilfe) gut präparierte, aber durch nächtlichen Schneefall weich gewordene Piste mutwillig malträtiert werden?

Warum geht der ja sonst so sehr auf mehr Sicherheit (siehe Materialreform) bedachte Internationale Skiverband in Anbetracht des angesagten Temperatursturzes das Risiko ein, dass die Streif nach dem voreiligen Trainingslauf zur lebensgefährlichen Rumpelpiste wird?

Warum hat FIS-Weltcup-Direktor Hujara auf die von Athletensprecher Erik Guay vorgebrachten Argumente bloß lakonisch gemeint, jedem Fahrer sei es ohnehin freigestellt, nicht zu starten?

Dann fuhren sie doch.

Geheimfavorit

Keiner der Athleten wollte durch einen Startverzicht ein Erfahrungsdefizit in Kauf nehmen. Und Hujara wiederum wollte den Kitzbüheler Veranstaltern zuliebe zumindest ein Training durchbringen, um ja nicht das Samstag-Rennen zu gefährden, nachdem im Vorjahr nur eine Sprintabfahrt ohne Mausefalle und Steilhang möglich gewesen war. Gestern wurden an diesen Schlüsselstellen nicht für den norwegischen Trainingsschnellsten Aksel Lund Svindal oder für den Trainingszweiten Reichelt, sondern bei jenem Mann die besten Teilzeiten gemessen, der seit vergangenem Samstag der inoffizielle Weltrekordhalter ist: Johan Clarey, 29.

Auf dem Lauberhorn hatte der Franzose im Hanegg-schuss über 161 km/h erreicht. Auf der Streif "verschleierte" Clarey gestern mit einem verhaltenen Finish seine Favoritenrolle.
Zwischenfall

Wie Clareys Zwischenzeit-Kunststück ging auch ein Zwischenfall von Andrej Jerman, 34, in der öffentlichen Wahrnehmung im musikbeschallten Hahnenkamm-Zielraum zunächst völlig unter. Der Slowene war gestürzt, setzte seine Fahrt aber fort – und brach wenig später zusammen.

Per Hubschrauber wurde der Sieger zweier Weltcup-Abfahrten (Bormio 2010, Garmisch 2007 ) ins Krankenhaus geflogen, wo eine Gehirnerschütterung diagnostiziert wurde.

Gefahren sind sie am Ende fast alle, weil sie sich nicht selbst benachteiligen wollten. Allerdings wäre es den Topathleten am Dienstag in Kitzbühel lieber gewesen, die Rennski im Eck stehen zu lassen, um die aufgeweichte Piste zu schonen, anstatt den ersten Zeitlauf für das Streif-Spektakel zu absolvieren. "Ein komplett unnötiges Training. Wir vernichten die Piste", klagte der Steirer Klaus Kröll und ärgerte sich, dass dem Wunsch der führenden Abfahrer nicht entsprochen wurde.

Die an und für sich toppräparierte Streif, auf der am Samstag mit der Weltcup-Abfahrt ein Saison-Highlight ausgetragen wird, war von den über Nacht gefallenen paar Zentimetern Neuschnee auf der Oberfläche aufgeweicht worden. Schon bei der Besichtigung registrierten Kröll und Co, dass die Gefahr besteht, dass die Piste bricht. Da die Temperatur fallen wird, ist die Befürchtung groß, dass die Löcher vereisen, und unruhig ein Hilfsausdruck beim Beschreiben der Oberfläche sein wird.

Bedenken

Also traten die Topläufer zusammen und der Kanadier Erik Guay, der das Amt den Athletensprechers für Kitzbühel vom pausierenden Bode Miller übernommen hatte, wandte sich an FIS-Renndirektor Günter Hujara. "Es ist nicht mein Job, mit ihm zu streiten. Aber was ich zu tun habe, ist, ihm die Meinung der Rennläufer zu schildern. Ich habe ihm gesagt, dass wir Bedenken haben, dass es für die späteren Nummern und die späteren Tage sehr schwierig werden wird", erklärte Guay.

Streif: Erster Krach und erstes Opfer
APA11104430 - 22012013 - KITZBÜHEL - ÖSTERREICH: Der Österreicher Joachim Puchner am Dienstag, 22. Jänner 2013, in Aktion während des ersten Abfahrtstrainings der Herren in Kitzbühel. APA-FOTO: ROBERT JAEGER
Er habe zur Antwort bekommen, dass die Jury an der Austragung festhalte, weil die Organisatoren versicherten, dass sie die Piste wieder herrichten können. "Ich traue den Kitzbühelern auch viel zu, aber er braucht ja nicht in der Nacht am Berg stehen und die Löcher auf der Piste ausfüllen", ärgerte sich auch Hannes Reichelt darüber, dass Hujara und Co. die Bitte unerhört verhallen ließen. Die Sorge, dass ein zweites "Sotschi" passieren wird, ist groß. Viele Rennläufer erinnern sich mit Schrecken an die knieschädigende Rumpelpiste vom vergangenen Februar und klagen noch immer über Schmerzen.

"Die Topläufer waren alle der Meinung, dass das Training nicht gefahren werden soll, weil die Bedingungen sehr schlecht sind. Schon bei mir war es total unruhig und bei sechzig Läufern weiß man dann eh, wie das ausschaut", erläuterte Kröll, was in der Früh in Kitzbühel passiert war. Die Antwort von Hujara, dass es jedem frei stehe zu fahren oder nicht, ändere nichts am Problem. "Es war ja kein Sicherheitsproblem. Wir haben ja gewusst, dass es okay zum Fahren ist. Aber alles was wir damit tun, ist die Piste zusammenzuhauen. Wenn es jetzt anzieht, wird das mit den Schlägen eine ziemlich zähe Partie."

Keine Notwendigkeit

Zudem habe keine unbedingte Notwendigkeit für das Training bestanden, weil das Wetter schöner und die Temperaturen kälter werden sollen. Und nach fünf anstrengenden Tagen in Wengen blieb gerade einmal ein freier Tag, und nun gehe es mit drei Trainings und zwei Speed-Rennen in Kitzbühel weiter. "Da ist jeder irgendwann am Limit, speziell die Letzten, die hinten nach fahren. Die betrifft es noch mehr."

Warum er trotzdem gefahren sei? "Es hilft ja nichts, ob ich fahre oder nicht. Und wenn ich morgen erst einsteige, sind die anderen schon einmal gefahren", sagte Kröll. Lösung wäre ein Startverzicht des geschlossenen Feldes gewesen, doch das werde man nie zusammenbringen. "Ich habe mit ein paar geredet, denen war das gar nicht bewusst. Die spüren erst nach dem Training, was los ist."

Sein Fazit: "Ich habe mir gedacht, ist eh alles für die Fisch. Der Athletensprecher ist eine Augenauswischerei. Der wurde nur gemacht, dass eine Ruhe gegeben wird." Meistens werde eh eine gute Arbeit gemacht, sagte Kröll. Aber wenn die Läufer einmal was anzumerken haben, dann wollen sie auch gehört werden.

FIS-Renndirektor Günter Hujara als Vorsitzender der Jury hat sich am Dienstagabend in der Mannschaftsführersitzung für den nicht gestoppten "Blindflug" von Klaus Kröll im ersten Training für die Kitzbühel-Abfahrt entschuldigt. Der Steirer war trotz dichten Nebels nicht abgewunken worden und brach den Lauf nach der Hausbergkante ab. ÖSV-Herren-Cheftrainer Matthias Berthold kritisierte die Jury für ihr Fehlverhalten, das nicht ungefährlich für die betreffenden Athleten war.

"Man verliert das Vertrauen, das ist nicht so angenehm. Zudem ist das erste Training in Kitzbühel immer extrem, zur schwierigen Abfahrtsstrecke kamen auch die Wetterverhältnisse", sagte Berthold, für den die Sache nach der Entschuldigung erledigt war. Zuvor hatte er deutlich seine Meinung kund getan, schließlich verlasse man sich auf die Jury, wenn man sich auf die Strecke begibt. Die Unterbrechung kam erst nach Kröll und damit seiner Meinung nach zu spät.

Streif: Erster Krach und erstes Opfer
"Die Jury hat im unteren Teil, um es freundlich zu sagen, keinen guten Job gemacht. Kröll ist ein erfahrener Athlet. Ich weiß nicht, wie ein Junger reagiert hätte. Meiner Meinung nach war es gefährlich. Ich bin auf meiner Position auf und ab gesprungen, habe gefürchtet, dass ich einen meiner Athleten im ersten Training mit Verletzung verliere", meinte Berthold.

Rückendeckung vor den versammelten Teamchefs bekam Berthold vom deutschen Herren-Cheftrainer Karlheinz Waibel. "Es war an der Hausbergkante kritisch. Bei Romed Baumann und Klaus Kröll war es über dem Limit und absolut gefährlich. Bei einem jungen Athleten wäre das anders ausgegangen", meinte er.

"Das war komplett unverantwortlich"

"Ich habe nichts mehr gesehen, habe nicht einmal mehr gewusst, wo ich lande. Ich hätte abgewunken gehört. Das war komplett unverantwortlich. Ich habe das Richtige getan und bin stehen geblieben, sonst hätte ich mich im Netz gefunden. Vollwahnsinn", hatte der wütende Kröll im Zielraum gemeint.

Auch Rennleiter Peter Obernauer gestand ein, dass man Kröll die Flagge zeigen hätte müssen, der Nebel jedoch sehr schnell und dicht aufgezogen sei. "Ich entschuldige mich dafür. Glücklicherweise sind wir nicht in größere Schwierigkeiten gekommen. Wir versuchen das Beste", versprach Hujara, der an der Strecke an anderer Position stand und abhängig von dem ist, was ihm per Funk mitgeteilt wird. Zu Kröll sagte er: "Er ist professionell damit umgegangen und hat gestoppt. Ihm gebührt hoher Respekt."

Die Befürchtung einiger Athleten, dass die weiche Piste beim ersten Training größeren Schaden genommen haben könnte, teilte Berthold übrigens nicht. "Ich habe es mir angesehen, es sieht gut aus. Und jetzt wird es kalt. Ich glaube, die Piste wird in den nächsten Tagen in einem sehr guten Zustand sein."

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