"Das gibt’s nicht: Jetzt hab’ ich’s echt verlernt"

Bittere Momente: Der 23-Jährige sucht die Form und Leichtigkeit früherer Tage.
Vor zwei Jahren gewann der Niederösterreicher die Tournee, nun ist der 23-Jährige am Boden der Tatsachen gelandet.

Er war der Senkrechtstarter. Der hochgelobte Flachland-Adler, der "Didl der Nation", auf den über Nacht ganz Österreich flog. "Ohne Anlauf auf Wolke sieben", lautete die KURIER-Schlagzeile nachdem Thomas Diethart vor zwei Jahren aus heiterem Himmel zum Tourneesieg gesprungen war. Beim ruhmreichen Neujahrsspringen in Garmisch hatte der Niederösterreicher damals seinen ersten Weltcupsieg gefeiert, zwei Jahre später ist der Überflieger auf dem harten Boden der Realität gelandet.

Nach dem Höhenrausch steckt Diethart im Formtief und muss nun sogar bei den Heimspringen in Innsbruck und Bischofshofen zusehen.

KURIER: Herr Diethart: Was löst die Tournee bei Ihnen aus?
Thomas Diethart:
Mit der Tournee verbinde ich trotzdem nur Positives. Das war immer schon etwas Besonderes. Die Gefühle und Erinnerungen, die ich mit meinem Tourneesieg verbinde, sind sofort präsent.

Wie oft denken Sie denn an den Tourneesieg zurück?
Das kann sein, dass es jeden Tag passiert. Allein wenn ich daheim in die Wohnung reingehe, sehe ich sofort den großen Adler. Hin und wieder kriege ich dabei sogar die Gänsehaut.

Wann zum Beispiel?
Gerade jetzt, wo’s bei mir nicht so rennt, schaue ich mir immer wieder einmal die Sprünge von damals an. Und dann läuft’s mir manchmal noch kalt runter. Eigentlich sehe ich mir diese Bilder ja nur an, weil es damals einfach richtig gute Sprünge waren. Die Emotionen sind dann ein positiver Nebeneffekt.

Wie schwierig ist für Sie die aktuelle Situation? Fühlen Sie Sich an die harte Zeit vor Ihrem Tourneesieg erinnert?
Ehrlich gesagt, fühle ich mich heute fast hilfloser. Okay, ein bisschen kann man es vergleichen: Ich hatte damals die ersten Weltcuppunkte geholt, dann bin ich aus den Kadern rausgeflogen und hatte keine Ahnung, wie’s weitergeht. Das Problem jetzt ist: Bei mir kommt auch gerade alles zusammen.

Inwiefern?
Ich war verletzt, das dauert dann wieder, bis man richtig trainieren kann. Dann war’s endlich soweit, die ersten Einheiten sind auch super gelaufen, die Sprünge waren echt gut. Ich hatte wirklich das Gefühl, es geht was weiter. Und was passiert? Erstes Kontinentalcup-Springen – und ich kriege eine komplette Watsch’n. Plötzlich hat nichts mehr funktioniert. Das nervt dann richtig.

Hilft es Ihnen, dass Sie früher schon mal in einem echten Formtief waren?
Das hilft mir definitiv. Ich weiß aus der Erfahrung, was man in dieser Situation nicht machen darf.

Nämlich?
Man darf sich nicht noch tiefer in das Loch hineinfallen lassen. Das Problem ist ja: Du läufst herum, bist die ganze Zeit deprimiert, anstatt dass zu sagst: ,Hey, ich hake das alles einfach einmal ab.‘

Das ist leichter gesagt als getan.
Wenn’s nicht läuft, dann achtet man auf so viele Kleinigkeiten. Das ist aber völliger Schwachsinn, da verrennt man sich nur. Ich habe mir jetzt vorgenommen, dass ich auf die Details pfeife. Sicher war es auch ein Fehler, dass ich zuletzt bei den Bewerben versucht habe, alles mit der Brechstange zu erzwingen. Aber das funktioniert grad im Skispringen nicht. Ich kann im Moment nur eines tun: Positiv bleiben und schauen, dass ich nicht ins Loch falle.

Ist es für Sie eine Motivation, es jenen Menschen zu beweisen, die jetzt behaupten, Ihr Tourneesieg wäre nur eine Eintagsfliege gewesen? Ein klassischer Fall eines One-Hit-Wonders?
Das ist sicher ein Antrieb. Ich habe jetzt aber nicht das Gefühl, dass ich nach dieser Saison aufhören müsste, wenn es gar nicht mehr läuft. Der Sport ist hart, gerade das Skispringen. Ich darf mich nicht kleinkriegen lassen, muss weiter arbeiten. Und Skispringen ist so ziemlich das Einzige, was ich gut kann. Ich lass mich nicht runterdrücken.

Wie gehen Sie’s denn an: Verfolgen Sie den Weg der kleinen Schritte oder hoffen Sie auf ein Aha-Erlebnis?
Es kann im Skispringen sehr schnell gehen. Ich hab’s ja damals bewiesen. Und es ist genau der Aha-Effekt, den man als Skispringer auch braucht. Dass man einfach einmal wieder ein positives Erlebnis hat. Das pusht einen, nur durch solche Erfolgserlebnisse bekommt man Sicherheit und Vertrauen. Natürlich war es immer ein Ziel, bei der Tournee dabei zu sein, aber in erster Linie geht es bei mir darum, dass ich endlich wieder richtig Spaß haben kann auf der Schanze. Dass ich mich nicht dauernd ärgern muss nach jedem Sprung. Ich weiß aber, dass ich es nicht erzwingen kann, es muss einfach passieren.

So wie seinerzeit Ihr überraschender Tournee-Gesamtsieg?
Genau so, der Tourneesieg ist mir passiert. Ich war damals zwei Mal Sechster im Kontinentalcup, plötzlich war ich im Weltcupaufgebot in Engelberg – und dann ist es dahin gegangen. Zu diesem Zeitpunkt bin ich aber auch sehr befreit gesprungen. Kurz vorher hatte ich meine Lehre beendet, ich bin auch ins Heeressportzentrum reingerutscht, da sind dann viel Druck und Last von mir abgefallen. So springt sich’s auch leichter.

Machen Sie denn heute etwas anders als während der Tournee 2014/’15?
Wenn sich ein Laie die Sprünge von damals und heute ansieht, dann wird er keine Unterschiede erkennen. Rein technisch gesehen geht es da nur um Kleinigkeiten. Der entscheidende und größte Unterschied ist der Kopf. Was mir fehlt, das sind die Lockerheit und das Selbstvertrauen. Das kann man ja bei den besten Springern immer wieder gut beobachten: Die sind sich so sicher, dass sie dann auch mit einem schlechten Sprung weit springen. Umgekehrt läuft’s genauso.

Bei Ihnen zum Beispiel.
Genau. Man kann es aber im Moment auch bei Gregor Schlierenzauer sehen: Der ist definitiv der weltbeste Skispringer, aber bei ihm rennt’s grad auch nicht, weil er zu sehr auf die Kleinigkeiten fixiert ist. Dann verkrampfst du, und dann fehlt einfach das kleine Etwas, um vorne dabei zu sein.

Haben Sie zuletzt manchmal bereits gedacht, Sie hätten das Springen verlernt.
Manchmal schon. Ich habe jetzt keine Selbstzweifel, aber wenn man bei den Wettkämpfen nur mehr irgendwo landet, denkt man sich schon: ,So weit kann ich doch eigentlich gar nicht zurückfallen.‘ Wissen Sie was das Schlimmste ist?

Verraten Sie’s.
Wenn dann der Trainer kommt und sagt: ,Das schaut bei dir gar nicht so schlecht aus.‘ Das ist noch viel schlimmer, als wenn er sagen würde, dass es echt ganz schlecht war. In dem Moment denkst du dir dann schon: ,Das gibt’s ja nicht, jetzt habe ich es echt verlernt.‘

Ist es gut zu wissen, dass Sie bereits Erfolge vorweisen können? Oder sorgt es eher für Frust, weil Sie sehen, wie weit Sie von der Spitze weg sind?
Es ist auf jeden Fall positiv. Das denke ich mir auch jedes Mal, wenn ich mit meinen Kollegen im Kontinentalcup rede. Die haben ein anderes Problem, die sagen: ,Wir wissen nicht, ob wir es jemals schaffen.‘ Die haben keine Ahnung, wo sie stehen, wenn sie einmal ihren besten Sprung zeigen. Das ist dann schon ein Vorteil. Ich weiß: Wenn ich gute Sprünge mache, dann kann ich gewinnen. Das habe ich ja auch schon bewiesen. Und das zu wissen, das tut definitiv gut.

Was für Ziele haben Sie Sich für diesen Winter denn noch gesteckt?
Ich will mich jetzt nicht auf Ergebnisse versteifen, das würde auch nichts bringen. Es muss passieren. Wichtig ist, dass ich mich aus dem Loch rauskämpfe und wieder Freude am Skispringen habe. Denn ganz ehrlich: Die Wettkämpfe haben mir in der letzten Zeit nicht sehr viel Spaß gemacht.

Der Niederösterreich wurde am 25. Feber 1992 in Tulln geboren und wuchs im nahen Michelhausen auf. Seine Eltern fuhren mit ihm nach Hinzenbach (OÖ) zum Training. 2011 bestritt er in Innsbruck seinen ersten Weltcup.

Sein Durchbruch gelang ihm 2013 in Engelberg als Vierter und Sechster. Er durfte mit zur Vierschanzentournee, die er gewinnen konnte. Er wurde in Oberstdorf Dritter, gewann Garmisch, wurde in Innsbruck Fünfter und gewann in Bischofshofen.

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