Kraft gewinnt die Vierschanzentournee

Tournee-Sieger Stefan Kraft (li.), Tagessieger Michael Hayböck.
Michael Hayböck macht's in Bischofshofen noch einmal spannend, bleibt trotz seines Tagessieges aber Zweiter.

Mit Stolz und Leidenschaft springen“. Dieses Motto hatte Stefan Kraft vor dem Tourneestart in Oberstdorf ausgegeben. Und: „Ich will den Killer rauslassen.“

Was sich martialisch anhört, ist tatsächlich ein Kraft-Ausdruck für Siegermentalität und Konsequenz. Der 21-jährige Salzburger hatte es sich zum Ziel gesetzt, bei dieser Tournee endlich einmal sein ganzes Potenzial abzurufen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. „Dann ist für mich bestimmt einiges möglich“, hatte er in Oberstdorf gemeint.

Und was so alles möglich war für den Senkrechtstarter. Stefan Kraft wurde zum Gesicht und Star dieser Tournee. Der aufstrebende Springer startete in Oberstdorf mit dem ersten Weltcupsieg einen Höhenflug, den er nun passenderweise in Bischofshofen auf seiner Hausschanze vollendete. Vor 20.000 fanatischen Zuschauern, die für den neuen Überflieger grelle Freudenfeuer entzündeten und rot-weiß-rote Fahnen schwenkten. „Für mich ist ein großer Traum in Erfüllung gegangen“, sagte Kraft. FlugshowIn den Tagen des größten Karrieresprunges trat der 21-Jährige im Stile eines abgeklärten Routiniers auf. Da war überhaupt keine Spur von Nervosität, da war auch kein Anflug von Unsicherheit, Kraft stand über den Dingen. Mit einem Lächeln auf den Lippen flog er dem Gesamtsieg entgegen. „Es macht einen Megaspaß, hier zu springen. Ich wollte zum Abschluss nur eine geile Flugshow machen.“

Stefan Kraft bekam auch keine weichen Knie, als er in Bischofshofen im ersten Durchgang von seinem Zimmerkollegen Michael Hayböck (137,5 Meter) um vier Meter überflügelt wurde. 9,5 Punkte nahm der Oberösterreicher seinem Freund ab und pirschte sich vor dem Finale immerhin bis auf 13,6 Zähler heran. „Ich werde deshalb jetzt aber sicher nicht nervös“, versicherte Kraft vor dem finalen Sprung.

Am Ende wurde es dann aber doch noch einmal knapp – deutlich knapper als erwartet. Weil Stefan Kraft im Finale einen Sicherheitssprung hinlegte, nachdem vor ihm der Schweizer Simon Ammann schwer gestürzt war und auch andere Athleten Probleme bei der Landung hatten. 132 Meter sollten aber reichen, um seinen Freund Michael Hayböck in Schach zu halten. Allerdings war der so komfortable Vorsprung in Bischofshofen auf sechs Punkte zusammengeschmolzen. „Ich bin doch ein bisschen nervös geworden. Das ist unglaublich, dass sich das ausgegangen ist. Ich werde das extrem genießen.“

Nummer eins

Mit dem Tourneesieg von Stefan Kraft wurde eine beeindruckende österreichische Erfolgsserie prolongiert. Seit 2009 haben die österreichischen Skispringer noch jedes Mal den Gesamtsieger gestellt. Dabei gab es sechs verschiedene österreichische Sieger zu bejubeln. Und mit dem Triumph des 21-jährigen Salzburgers hat Österreich nun mit 16 Gesamtsiegen gemeinsam mit Finnland auch die Lufthoheit in der Geschichte der Vierschanzentournee.

Endstand
1. Michael Hayböck (AUT) 288,4 (137,5/136,5)
2. Noriaki Kasai (JPN) 277,1 (132,5/137,0)
3. Stefan Kraft (AUT) 271,3 (133,5/132,0)
4. Peter Prevc (SLO) 271,2 (133,0/134,5)
5. Anders Jacobsen (NOR) 270,6 (130,5/136,0)
6. Richard Freitag (GER) 265,1 (129,5/133,5)
7. Gregor Schlierenzauer (AUT) 264,6 (132,0/130,0)
8. Severin Freund (GER) 257,9 (131,0/128,5)
9. Anders Fannemel (NOR) 248,4 (130,0/127,0)
10. Simon Ammann (SUI) 246,7 (130,5/136,0)
11. Nejc Dezman (SLO) 245,7 (125,0/132,0)
12. Michael Neumayer (GER) 243,1 (127,5/126,5)
13. Roman Koudelka (CZE) 242,4 (125,5/128,5)
14. Daniel-Andre Tande (NOR) 238,2 (124,0/127,5)
15. Kamil Stoch (POL) 237,9 (126,5/124,5)
16. Taku Takeuchi (JPN) 235,8 (125,0/128,0)
17. Matjaz Pungertar (SLO) 234,4 (129,5/120,5)
18. Rune Velta (NOR) 232,9 (121,0/128,5)
19. Gregor Deschwanden (SUI) 231,1 (124,0/126,5)
20. Marinus Kraus (GER) 231,0 (125,5/123,5)
21. Dmitrij Wassilijew (RUS) 226,8 (124,5/126,0)
22. Anders Bardal (NOR) 226,3 (127,0/123,0)
23. Thomas Diethart (AUT) 224,6 (122,5/123,0)
24. Manuel Fettner (AUT) 222,0 (122,0/122,5)
25. Ilmir Hasetdinow (RUS) 221,8 (120,5/122,0)
26. Stephan Leyhe (GER) 220,5 (120,5/121,0)
27. Jan Matura (CZE) 218,3 (121,0/120,0)
28. Jernej Damjan (SLO) 214,9 (119,5/122,5)
29. Robert Kranjec (SLO) 211,9 (121,5/117,5)
30. Manuel Poppinger (AUT) 193,4 (120,0/112,0)
Vierschanzentournee - Gesamtwertung
1. Stefan Kraft (AUT) 1.106,7 Punkte
2. Michael Hayböck (AUT) 1.100,7 (6,0 Punkte zurück)
3. Peter Prevc (SLO) 1.077,2 (29,5)
4. Noriaki Kasai (JPN) 1.074,8 (31,9)
5. Anders Jacobsen (NOR) 1.060,1 (46,6)
6. Richard Freitag (GER) 1.056,8 (49,9)
7. Gregor Schlierenzauer (AUT) 1.050,2 (56,5)
8. Severin Freund (GER) 1.022,5 (84,2)
9. Roman Koudelka (CZE) 1.013,4 (93,3)
10. Kamil Stoch (POL) 1.009,4 (97,3)
Weiter:
16. Thomas Diethart (AUT) 899,8 (206,9)
23. Andreas Kofler (AUT) 720,9 (385,8)
39. Manuel Fettner (AUT) 446,0
45. Manuel Poppinger (AUT) 304,3.

Stefan Kraft hatte schon so eine Vorahnung. „Der Michi springt im Moment wie ein Engele“, sagte der Tournee-Gesamtsieger vor dem Finale in Bischofshofen. Und: „Wenn das alles so aufgeht, wie wir uns das ausgemacht haben, dann freue ich mich wie ein nackerter Bär.“

Es kam dann alles so, wie es sich die beiden Zimmerkollegen in ihren kühnsten Träumen ausgemalt hatten. Stefan Kraft gewann auf seiner Hausschanze die Tournee, und sein Freund Michael Hayböck ebendort sein erstes Weltcupspringen. Ganz nach dem Motto: Geteilte Freude ist doppelte Freude.

Der Triumph von Hayböck hatte sich schon angekündigt, und ist der verdiente Lohn für eine beeindruckende Entwicklung. Vor einem Jahr hatte sich der Oberösterreicher erst im Weltcup richtig etabliert, in dieser Saison ist Hayböck die Konstanz in Person (immer in den Top Ten) und trägt zu Recht das Trikot des Weltcupleaders.

„Die Konstanz ist die Basis und mir sehr viel wert. Über kurz oder lang passiert dann ein Sieg zwangsläufig“, sagte Hayböck schon seit Wochen. „Aber am liebsten wäre mir der erste Weltcupsieg dann bei der Tournee.“

In Bischofshofen schlug dem 23-Jährigen nun die große Stunde. „Es ist unbeschreiblich, hier in Bischofshofen zu springen.“

Das Springen wurde aber von einem schweren Sturz von Simon Ammann überschattet. Der 33-jährige Schweizer plumpste im Finale vor den Augen von Frau und Kind nach der Landung kopfüber in den Schnee, verlor das Bewusstsein und musste ins Spital. Nach der Einlieferung ins Krankenhaus soll der 33-Jähriga aber wieder bei Bewusstsein gewesen sein.

Stefan Kraft (21 Jahre):

Geboren: 13. Mai 1993 in Schwarzach im PongauWohnort: Mitterberghütten (S)Familienstand: ledigGröße/Gewicht: 1,70 m/56 kgHobbys: Fußball, Billard, SkifahrenVerein: SV SchwarzachHomepage: www.kraft-stefan.com

Größte Erfolge: Vierschanzentournee: Gesamt-Sieger 2014/15 (Tagesergebnisse: 1., 6., 2., 3.) Gesamt-27. 2013/14

Weltcup: 1 Sieg am 29. Dezember 2014 in Oberstdorf 7 Podestplätze (1 x 1., 3 x 2., 3 x 3.) erstmals 6. Jänner 2013 als 3. in Bischofshofen Gesamt-Zehnter Saison 2013/14 Debüt am 6. Jänner 2012 in Bischofshofen, bisher 53 Starts

Junioren-WM: Silber Einzel 2011 Bronze Einzel 2013

Michael HAYBÖCK (23 Jahre)

Geb.: 5. März 1991 in LinzWohnort: Thening/OÖFamilienstand: ledigGröße/Gewicht: 1,81 m/62 kgVerein: UVB HinzenbachHobbys: Golf, Leichtflugzeug-FliegenHomepage: www.michi-hayboeck.com

Größte Erfolge: Vierschanzentournee: Gesamt-Zweiter 2014/15 (Tagesergebnisse: 2., 7., 6., 1.) Gesamt-Neunter 2013/14

Weltcup: 1 Sieg am 6. Jänner 2015 in Bischofshofen 7 Podestplätze (1 x 1., 1 x 2., 5 x 3.) erstmals als 3. am 16. Jänner 2014 in Wisla Gesamt-14. 2013/14 Debüt am 3. Jänner 2010 in Innsbruck, bisher 78 Starts

Olympia: Silber Teambewerb Großschanze Sotschi 2014 5. Einzel Normalschanze Sotschi 2014 8. Einzel Großschanze Sotschi 2014

Junioren-WM: Gold Normalschanze 2010

Kraft gewinnt die Vierschanzentournee

Seriensieger sind an und für sich nichts Ungewöhnliches in der Welt des Spitzensports. Dass aber gleich eine ganze Mannschaft Erfolge am laufenden Band feiert, mit immer neuen Helden und neuen Siegergesichtern, dieses Phänomen war in dieser Form noch selten zu sehen.

Stefan Kraft ist jetzt bereits der sechste Springer aus dem österreichischen Team, der in den letzten sieben Jahren die Tournee gewonnen hat. Da hören Stars auf (Morgenstern), da befinden sich andere im Tief (Loitzl) oder sind nicht ganz auf der Höhe (Schlierenzauer) – und was passiert? Es springt eben ein anderer in die Bresche.

Die Triumphe und Siegertypen sind dem Österreichischen Skiverband nicht einfach nur so zugeflogen. Sie sind vielmehr Ausdruck und Ergebnis der Skisprung-Kultur, die sich hierzulande über Jahrzehnte entwickelt hat; mit dem Skigymnasium in Stams als optimaler Brutstätte für künftige Höhenflieger; mit der perfekten Schanzen-Infrastruktur von Innsbruck bis Bischofshofen.

Auch wenn ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel das nicht gerne hört: Die Skispringer haben den Skifahrern einiges voraus. Um in der Adler-Sprache zu bleiben: Ohne Seriensieger und Alleinunterhalter Marcel Hirscher wäre das Ski-Team in argen Turbulenzen.

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