Skispringen: Die weibliche Note am Sprungturm

Marion Vettori ist die jüngste Punktrichterin im Skisprungzirkus.
Marion Vettori, die Tochter des Olympiasiegers, feiert am Bergisel ihre Premiere als Rennleiterin.

Man möchte gerne Mäuschen spielen, wenn bei den Vettoris im Fernsehen gerade Skispringen läuft. So viel geballte Telemark-Kompetenz auf einen Fleck gibt es nicht einmal in der Familie Prevc. Da sitzen dann ein Skisprung-Olympiasieger (ÖSV-Direktor Ernst Vettori), ein früherer Kombinierer-Coach (sein Papa Wilfried), zwei ehemalige Kombinierer (Bruder Günther und Sohn Nils), ein früherer Skisprung-Chefcoach (Schwager Heinz Koch) und ein aktueller Damen-Skisprungtrainer (Neffe Björn) zusammen. Nicht auszuschließen, dass diese adleraffine Familie daheim sogar an einem Schanzentisch zu Mittag isst. "Meine Verwandten männlicherseits haben alle mit Skispringen zu tun. Es war absehbar, dass ich auch einmal dort landen würde", sagt Marion Vettori.

Große Ehre

Ein klein wenig schlägt die 27-Jährige dann freilich doch aus der Reihe. Marion Vettori hat als "Offizielle" im Skispringen einen steilen Aufstieg gemacht. Im Dezember durfte sie als FIS-Sprungrichterin in Klingenthal erstmals im Weltcup die Sprünge der Stars benoten, beim Bergiselspringen am Mittwoch wird der Tirolerin nun eine besondere Ehre zuteil: Marion Vettori feiert in Innsbruck ihre Premiere als Rennleiterin.

Sie ist damit eines von drei Mitgliedern der Jury, die für den reibungslosen Ablauf des Bergiselspringens sorgt. "Da geht es zum Beispiel um Dinge wie: Mit welcher Anlauflänge wird der Bewerb gestartet? Wir entscheiden, wann wir den Anlauf verkürzen oder verlängern. Und ich leite die Mannschaftsführersitzung", erklärt die Tirolerin. "Ein bisschen nervös bin ich schon, es ist ja doch die Tournee. Aber das ist genau die Richtung, in die ich hinwill." Auch bei der Heim-WM 2019 in Seefeld ist Vettori als Rennleiterin vorgesehen.

Bis dahin warten auf Marion Vettori noch etliche Einsätze als Sprungrichterin. Bereits seit 2006 schaut die Absamerin den Adlern auf die Flügel, seit zwei Jahren als eine von nur zwei offiziellen FIS-Sprungrichterinnen aus Österreich. Im Weltcup ist sie derzeit mit ihren 27 Jahren überhaupt die Jüngste.

Knapper Rückstand

So knapp, wie’s bei dieser Tournee zugeht – Stefan Kraft liegt nicht einmal ein Pünktchen oder umgerechnet 44 Zentimeter hinter Kamil Stoch (POL) – könnten die Punkterichter im Kampf um den Gesamtsieg zum Zünglein an der Waage werden.

Dabei geht es einem Wertungsrichter im Skispringen nicht viel anders als einem Schiedsrichter im Fußball. "Du wirst traditionell eher geschimpft als gelobt", weiß Vettori. Und auch der Zeitdruck, unter dem sie ihre Entscheidungen treffen muss, erinnert an die Probleme der Fußball-Referees. "Du hast kaum Zeit, sobald der Springer über die Sturzlinie gefahren ist, sollten wir die Wertung abgegeben haben." Wer trödelt, wird von einem Warnsignal des Computers zur Entscheidung gedrängt.

Klare Vorgaben

Der Skisprung-Fan sieht im Ergebnis von jedem Wertungsrichter immer nur die Endnote. Tatsächlich vergeben die Damen und Herren mit dem strengen Blick aber drei Noten. "Wir bewerten den Flug, die Landung und die Ausfahrt", erklärt Vettori. "Für alle Bereiche gibt’s Kriterien." Vettori klärt auf:

die Flugphase "Wichtig ist, dass sich schnell ein dynamisches Flugsystem bildet. Bei einem Skifehler gibt’s Abzüge, genauso, wenn der Springer in der Flugphase mit der Hand korrigiert. Wir achten auch auf die Landevorbereitung, man sollte schon vor der Landung eine leichte Schrittstellung sehen." Mögliche Abzüge: bis zu 5 Punkten.

die Landung "Im Idealfall sollte man beim Telemark ein leichtes Nachfedern sehen. Der Springer sollte möglichst aufrecht landen, mit beiden Händen im rechten Winkel vom Körper weg." Mögliche Abzüge: 5 Punkte.

Die Ausfahrt "Vorgesehen wäre es, dass der Springer zehn bis 15 Meter in der Schrittstellung ausfährt. Ohne mit der Hand in den Schnee zu greifen, ohne mit dem Ski aufzukanten." Mögliche Abzüge: 7 Punkte.

Strenges Auge

Obwohl das Regulativ eigentlich ganz klar ist, kommt es trotzdem immer wieder zu Diskrepanzen in der Benotung. Unterschiede von zwei Punkten sind bei den fünf Wertungsrichtern keine Seltenheit. "Das kann mit dem Blickwinkel zusammenhängen, aber natürlich sind auch die Geschmäcker verschieden", klärt Vettori auf. Mitunter schlägt wohl auch der Lokalpatriotismus durch.

Die Sprungrichter selbst stehen freilich ebenfalls unter Beobachtung. Jedes Weltcupspringen wird von einem Kontrollgremium verfolgt, das beim TV-Studium für jeden Sprung die richtige Note festlegt. Weicht ein Sprungrichter allzu häufig und deutlich von dieser Note ab, erhält er einen Fünfer – und muss ein Jahr im Weltcup aussetzen. "Je besser der Sprung, umso geringer dürfen die Abweichungen sein."

Volle Konzentration

Beim Wettkampf ist jeder Wertungsrichter auf sich allein gestellt. Absprachen untereinander sind genauso untersagt wie das Abschreiben voneinander oder der Blick in den Liveticker. Aber Marion Vettori hat ohnehin nur Augen für die Springer und ihre stressige Arbeit. "Während des Springens kriege ich wenig mit, weil ich so konzentriert bin. Ich sehe meist erst beim Blick in die Ergebnislisten, wer gewonnen hat."

Nach einem Jahrzehnt als Sprungrichterin hat Marion Vettori längst einen eigenen Blickwinkel. Wenn sie daheim mit ihrer Verwandtschaft im Fernsehen ein Skispringen verfolgt, dann ist sie die Einzige, der die Weite egal ist. "Ich kann einfach nicht aus meiner Haut: Ich bewerte die Sprünge, gebe eine Note, und ich schaue, ehrlich gesagt, auch immer zuerst auf die Punkte."

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