Kriechmayr nach Silber in der Abfahrt: "Die Genugtuung ist riesig, aber ..."

Kriechmayr nach Silber in der Abfahrt: "Die Genugtuung ist riesig, aber ..."
Der Oberösterreicher überraschte nach seiner Knieverletzung mit dem Gewinn der Silbermedaille im Abfahrtsspektakel, das die 22.500 Fans in Hinterglemm von den Sitzen riss.

Zusammenfassung

  • Vincent Kriechmayr gewinnt überraschend Silber in der Abfahrt bei der Heim-WM trotz Knieverletzung.
  • Kriechmayr schätzt die Silbermedaille hoch ein und zeigt sich mit seiner Leistung zufrieden.
  • Sein Erfolgshunger und Perfektionismus haben ihm einen kompletten Medaillensatz in der Königsdisziplin eingebracht.

Es gibt Lärm, der lässt sich nicht so einfach beschreiben. Den muss man selbst gehört haben. Live und mit eigenen Ohren, im engen WM-Zielstadion von Hinterglemm, das stimmungsmäßig jeder Fußballarena Konkurrenz macht.

Als Vincent Kriechmayr in der Abfahrt mit Bestzeit über die Ziellinie raste, gab es auf den knallvollen Tribünen kein Halten mehr. Den frenetischen Jubel, der durchs Stadion hallte, dürfte man noch weit außerhalb des Glemmtals gehört haben. „Ich habe schon viel erlebt, aber diese Atmosphäre ist einzigartig. Allen, die hier dabei waren, muss das so gegangen sein“, sagte Kriechmayr. Zum Dank verneigte er sich nach seiner Fahrt vor dem Publikum.

Genugtuung

Es gab Zeiten, da hätte sich der überehrgeizige Oberösterreicher noch maßlos darüber geärgert, dass er später noch vom Schweizer Franjo von Allmen abgefangen und vom Abfahrtsthron gestoßen wurde. Aber diesmal erweckte Vincent Kriechmayr den Eindruck, als wäre er mit sich und der Welt ganz im Reinen. „Diese Silbermedaille hat für mich einen sehr großen Wert“, erklärte der Routinier und das war nicht einfach nur so dahingesagt.

Denn Vincent Kriechmayrs Start bei der Heim-WM hing lange an einem seidenen Faden namens Innenband, das in seinem rechten Knie nach einem Sturz in der Wengen-Abfahrt stark gezerrt war. „Letzte Woche wäre es noch undenkbar gewesen, ein Rennen zu fahren“, gesteht der Doppelweltmeister von 2021, dem es auf dem Weg zurück nicht schnell genug gehen konnte. „Ich habe keine Geduld. Das kann ich einfach nicht, weil man immer das Gefühl hat, dass man etwas tun muss.“

Perfektionist

Ungeduld ist eine Eigenschaft des Oberösterreichers. Andere auffällige Tugenden sind sein Hang zu Perfektionismus und Selbstkritik. Kriechmayr ist selten einmal mit sich und seiner Leistung restlos zufrieden. Er beginnt dann zu hadern und entdeckt mitunter Fehler, die anderen gar nie aufgefallen wären.

Wahrscheinlich ist er auch deshalb so ehrgeizig, weil er selbst weiß, dass er zu den begabtesten Skifahrern zählt, die dieses Land hervorgebracht hat. „Wenn man erfolgreich sein will, dann muss man an sich selbst hohe Ansprüche haben“, pflegt der Routinier gerne zu sagen.

Medaillensatz

Dieser unbändige Erfolgshunger ist auch dafür verantwortlich, dass Kriechmayr heute zu den erfolgreichsten Abfahrern der Geschichte zählt. Im Zuge der Weltmeisterschaften 2019 (Bronze in Åre), 2021 (Gold in Cortina) und 2025 (Silber in Saalbach-Hinterglemm) hat er in der Königsdisziplin einen kompletten Medaillensatz gewonnen. „Die Genugtuung über diese Silbermedaille ist riesig, aber das Abfahrtsgold in Cortina ist schon höher einzustufen.“

Aufholbedarf

Nicht nur auf Grund seiner aktuellen Verletzungsgeschichte kam diese vierte österreichische Medaille bei der Heim-WM wohl am unerwartetsten: Vincent Kriechmayr konnte in der Abfahrt zuletzt nicht mehr mit den Allerschnellsten mithalten, in der vergangenen Saison hatte es nur zu einem Podestplatz gereicht. Der letzte Abfahrtssieg liegt gar schon fast zwei Jahre zurück. Nach dem 55. Platz heuer in Gröden war er dermaßen angefressen, dass er sogar einen Rücktritt in den Raum stellte. „Hinterherfahren ist nicht mein Anspruch. Dann hau’ ich den Hut drauf.“

Man kennt solche Aussagen von Kriechmayr inzwischen zur Genüge. Er hat noch jedes Mal nach harten Worten an sich selbst auch klare Taten auf der Piste sprechen lassen. „Ich habe hier einen einzigartigen Moment bei meiner einzigen Heim-WM erleben dürfen“, sagte Kriechmayr.

Da muss doch selbst jemand wie er emotional werden, oder?

Nicht mit Vincent Kriechmayr. Wie meinte er doch gleich nach dem kollektiven Jubel, Trubel, Heiterkeit im Zielstadion. „Ich genieße das sehr im Stillen.“

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