Fast 30 Operationen hat Nina Ortlieb bereits über sich ergehen lassen, im Jänner brach sich die 28-Jährige zum zweiten Mal innerhalb von 14 Monaten den rechten Unterschenkel.
Aufgeben kommt für sie nicht in Frage. Nina Ortliebs Ehrgeiz ist ungebrochen. „Ich bin deutlich weiter, als vor einem Jahr nach dem Unterschenkelbruch.“
KURIER: Woran machen Sie das fest?
Nina Ortlieb: Nach meiner letzten Verletzung konnte ich in Wahrheit nie richtig rund gehen. Jetzt mache ich im Training schon wieder Sprünge, das war vor einem Jahr undenkbar. Genau das sind die kleinen Schritte, die mir Hoffnung geben. Wissen Sie, was das Schöne bei einem Knochenbruch ist?
Was ist daran schön?
Man kann als Patient die Unterschiede erkennen. Bei einem Kreuzbandriss kannst du nicht beurteilen, wie stabil das Band ist. Aber bei einem Knochenbruch sieht man an den Röntgenbildern, was sich tut und wie es sich verbessert. Wie viel Knochenmasse da ist und wie sich der Knochen verbindet. Das ist für den Kopf extrem wichtig, dass man diese Heilungsfortschritte auch bildlich vor Augen hat.
Wie kriegt jemand mit Ihrer Leidensgeschichte Vertrauen in den eigenen Körper?
Ich hatte das Glück, wenn man das so sagen kann, dass meine Verletzungen immer durch einen Unfall passiert sind. Für jede Verletzung gab es einen nachvollziehbaren Grund. Natürlich verbinde ich meine Stürze mit vielen Schmerzen. Aber wenn man sich während der Fahrt ohne Sturz das Kreuzband reißt, dann ist das auch nicht ohne.
Was macht so eine Verletzung denn anders?
Wenn so etwas passiert, dann ist es viel schwieriger, wieder Vertrauen in den Körper zu kriegen. Der Athlet hat ja eigentlich nichts falsch gemacht und würde alles noch einmal gleich machen. Der fragt sich beim nächsten Mal: Hält mein Kreuzband wirklich? Das ist mental eine ganz andere Aufgabe. Ich kann es leichter verkraften, weil ich den Grund weiß, warum meine Verletzung passiert ist.
Das ist jetzt aber ein sehr pragmatischer Zugang.
Man sucht in seiner Situation immer das Positive und redet sich solche Sachen ein. Natürlich habe ich ein Sturztrauma.
Welche Erinnerungen haben Sie an den Sturz im Jänner?
Man hat mich diesmal bereits in Garmisch in Narkose gelegt. Schon deshalb ist dieser Unfall für mich emotional ganz anders als in St.Moritz.
Dort haben Sie sich im Dezember 2023 beim Einfahren das Schien- und Wadenbein gebrochen.
Und da habe ich mir zehn Stunden lang bis zur Operation gewünscht, dass ich ohnmächtig werde und diesen Schmerz nicht mehr spüre. Damals war beim Hubschrauberflug auch noch Schlechtwetter und ich hatte wirklich den Gedanken: Wenn wir jetzt abstürzen, ist es mir auch wurscht. Wenn ich an den Unfall von St. Moritz zurückgedacht habe, hätte ich jedes Mal aufs Neue weinen können. Dieser Schmerz hat sich so stark in mein Gedächtnis eingebrannt. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mir gedacht: Das war mit Abstand der schlimmste Tag in meinem Leben. So was kann man nicht noch einmal erleben.
Aber Sie mussten alles noch einmal durchmachen.
Aber jetzt war es nicht so schlimm. Das Allerwichtigste ist, dass man die Verletzung akzeptiert. Auch das ist mir letztes Jahr schwerer gefallen.
Warum das?
Weil diese Verletzung aus dem Nichts gekommen ist. Es gab keine Vorankündigung und ich war in Topform.
Und heuer in Garmisch?
Bis zu meinem Sturz habe ich 13 Monate lang mit meinem Bein gekämpft und war nicht bei hundert Prozent. Da ist ein Sturz dann leichter zu akzeptieren, weil ich ich verstehen kann, warum es passiert ist. Und ich sehe, wofür das Ganze gut war. Ich kann heute besser gehen, ich habe weniger Schmerzen, ich stehe viel besser da. Drei Monate nach der letzten OP bin ich heute so weit wie letztes Jahr elf Monate nach der OP.
Haben Sie den Sturz in Garmisch noch einmal angesehen und für sich analysiert?
Ich habe mir bisher jeden meiner Stürze angesehen, nur den von Garmisch nicht. Ich habe gespürt, was passiert ist, das reicht.
Sie haben eine lange Leidenszeit hinter sich. Wie viele Menschen haben Sie animiert, weiter zu machen?
Ich brauche da keine Beratung. In meinem Umfeld sprechen mir alle Mut zu. Ob sie auch wirklich so denken, das weiß ich nicht. Ich habe mir alle Nachrichten auf meinem Social Media Account durchgelesen, bei den 800 Postings waren vielleicht zehn Leute dabei, die gemeint haben, ich soll jetzt aufhören. Das respektiere ich. Aber es ist meine Entscheidung, ich trage auch die Konsequenzen.
Sie wirken viel zuversichtlicher als letztes Jahr.
Das ist auch so. Im Nachhinein sehe ich einige Dinge anders. Ich habe zu viele Sachen toleriert und akzeptiert. Heute weiß ich, was ich alles untergeordnet habe, damit ich Skifahren kann. Mir war es egal, dass ich nicht gescheit gehen kann, Hauptsache ich konnte Skifahren. Vielleicht musste ich es auf die harte Tour lernen.
Das ist eine sehr harte Tour.
Aber vielleicht hätte ich es anders nicht geglaubt. Wenn mir letztes Jahr wer gesagt hätte: ,Nina, das Bein schneiden wir jetzt noch einmal durch, damit es besser wird’, dann hätte ich gesagt: ,Sicher ohne mich.’
Stand das Karriereende nie im Raum?
Eine Verletzung wäre sicher der leichteste Weg, eine Karriere zu beenden. Niemand nimmt es einem übel, wenn man so aufhört. Ich hatte auch in den schwierigen Phasen immer das Gefühl, dass ich weitermachen will. Es hilft mir dabei sicher, dass ich schon Erfolge hatte und gezeigt habe, dass ich nach Verletzungen wieder den Anschluss finden kann. Nach meiner Knieverletzung 2021 gab es mehr Widerstände aus dem Umfeld. Da gab es Stimmen: Warum tust du dir das an? Mit der Silbermedaille 2023 in Courchevel haben die Leute gesehen, dass ich einen Grund habe, warum ich weiter mache. Und auch eine Berechtigung. Ich bin ja kein Einzelfall, Cornelia Hütter war auch oft verletzt. Das ist auch das Schöne am Skisport. Dass man trotz vieler Verletzungen erfolgreich sein kann.
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