Ein Skiland ist noch keine Sportnation

Marcel Hirschers Erfolge zeigen, wo Österreichs Sport noch Aufholbedarf hat.

von Philipp Albrechtsberger

über einen Ausnahmeathleten

Mit „Was sonst“ überschrieb ein österreichisches Qualitätsmedium in seinem Online-Auftritt die Siegesfahrt von Marcel Hirscher im Riesentorlauf. Zwar ist man prinzipiell gut beraten, jeden Anflug von folkloristischer Heldenverehrung hintanzustellen und Superlative jeglicher Ausprägung zu vermeiden – eine angemessene Würdigung seiner Leistungen liest sich dennoch anders.

In einer Sportart, in der aufgrund der Spezialisierung der Athleten die Zeitabstände zusehends geringer werden, hat der Salzburger im wichtigsten Rennen der Saison den größten Vorsprung (+1,27 Sekunden) in einem olympischen Riesentorlauf seit fünfzig (!) Jahren herausgefahren.

Auffällig unauffällig

Hirschers Ausnahmestellung im alpinen Rennlauf lässt sich dennoch kaum aus Ergebnislisten ablesen. Viel zu hören war zuletzt von dem enormen Druck, der auf dem 28-Jährigen lastet und von der Akribie, mit der der beste Skirennläufer der Gegenwart seinen Sport ausübt. Auf der Piste erkennt man davon erstaunlich wenig.

Auffällig unauffällig wirkt Hirscher seit geraumer Zeit im Grenzbereich. Genau das ist die wahre Kunst der wenigen Ausnahmeathleten, zu denen Hirscher allmählich gehört. Und all jenen, die aufgrund der Seriensiege die Abwechslung vermissen, sei gesagt: In seltenen Fällen der Dominanz lässt sich nicht nur Langeweile erkennen, sondern auch Faszination. Kaum jemand hat sich daran gestört, dass die Leichtathletik seit zehn Jahren keinen anderen 100-Meter-Olympiasieger kennt als Usain Bolt; für den gestern errungenen 97. Turniersieg des 2018 noch immer unbesiegten Roger Federer (samt Rückkehr an die Spitze der Tennis-Weltrangliste) hat die Sportwelt nichts außer Bewunderung übrig.

Hochkonzentriert

Nicht selten wird beim Skirennlauf auf die lediglich älpische Begeisterung verwiesen, die Richtung Norden kurz nach Garmisch-Partenkirchen verebbt. Mag sein. Doch auch andere Nationen konzentrieren sich auf ihre Traditionssportarten, wie der Blick in den Medaillenspiegel von PyeongChang beweist: Die Norweger, die am Sonntag die Spitzenposition eingenommen haben, holen mehr als ein Drittel der Medaillen im Langlauf. Die Niederlande errangen elf von bislang 13 Podestplätzen im Eisschnelllauf (plus zwei im Short-Track).

Dennoch gehen viele dieser Länder – bei aller Begeisterung – nüchterner, wertschätzender, kritischer, aber weniger hysterisch mit den Lieblingssportarten um. Es sind nicht nur die Ergebnisse, die eine Sportnation ausmachen.

Vielleicht ist auch das ein Mitgrund, warum Marcel Hirscher am Donnerstag sein wohl letztes Olympia-Rennen fährt.

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