Marcel Hirscher: "Mach das, was du immer machst"
Eine einfache Frage, die Marcel Hirscher beim Medaillenempfang in den Raum stellte, sollte am Ende die beste Antwort auf diese seltsame Stimmung am großen Feiertag geben. "Was heißt noch einmal zufrieden?", sagte der 28-Jährige, als ein englischer Reporter wissen wollte, wie es denn um die Gefühlslage des neuen Olympiasiegers in der Kombination bestellt sei.
"Ja genau, satisfied."
Nicht dass Hirscher nach seinem Triumph keine Genugtuung verspürt hätte. Die Erleichterung und die innere Zufriedenheit waren enorm beim Salzburger, nachdem er nun auch dieses letzte große Karriereziel erreicht hatte. "Weil sich jetzt auch diese lästige Fragerei aufhört, ob zu einer perfekten Karriere der Olympiasieg gehört."
Marcel Hirscher war schon ein Superstar im Ski-Land Österreich. Nun ist er ein Held, weil er in der öffentlichen Wahrnehmung die höchste Auszeichnung im Skisport erhalten hat: Gold bei Olympischen Spielen.
Paradedisziplinen
Nach einer perfekten Kombination ist das Maß möglicherweise noch längst nicht voll. In den Nächten von Samstag auf Sonntag und von Mittwoch auf Donnerstag warten erst seine Paradedisziplinen: Riesentorlauf und Slalom. Und wer weiß, vielleicht lässt er sich auch noch zum Team-Bewerb hinreißen. Die Chance auf vier Goldmedaillen bei diesen Winterspielen, sie existiert. Zumindest besteht die Möglichkeit, den ÖSV-Rekord von Toni Sailer (drei Mal Gold 1956) einzustellen.
Es ist bloß so, dass sich Marcel Hirscher seinen großen Moment ein klein wenig anders vorgestellt. "Ich hatte diese Erinnerungen aus meiner Kindheit", erzählte der 28-Jährige, "da sind die Olympiasieger anders gefeiert worden, da hatte ich wunderbare Bilder im Kopf."
Im Nirgendwo
Was Hirscher da rund um seinen Olympiasieg zu sehen bekam, das war nichts, was bei ihm große Emotionen hätte auslösen können. Schon gar nicht bei einem Läufer, der es gewohnt ist, dass ihm bei den meisten seiner Siege die Massen zujubeln. "Wir sind hier im Nirgendwo, es sind keine Leute da und wir fahren halt irgendein Rennen. Ich werde das nie vergessen, wie ich bei der WM in Schladming im Slalom durchs Ziel bin und 50.000 Leute dann komplett abgedreht haben."
So einen Rahmen hatte er sich auch für den Olympiasieg ausgemalt. Aber nicht so eine triste Kulisse, wie sie sich bei diesen Spielen an vielen Wettkampfstätten präsentiert. "Es ist schon ernüchternd, wenn du im Ziel vor einer leeren Tribüne stehst und dann jubeln sollst", erzählt Hirscher. "Auch die Siegerehrung war krass. Sportlich war das top, nur ich hatte eine andere Erwartung an das Ganze. Das geht hier aber allen ähnlich. So einen Rahmen kennt man nicht."
Famose Abfahrt
Gut möglich, dass Marcel Hirscher mit ein bisschen Abstand anders darüber denken wird. Und er sich dann nicht mehr vorrangig an das Rundherum erinnert, sondern an seine famosen Auftritte in den beiden Rennen der Kombination. "Rein sportlich war das auch extrem toll. Das will ich gar nicht wegleugnen."
Denn der Weg zum letzten großen sportlichen Ziel, der war steinig wie noch selten zuvor in Hirschers Leben.
- In den drei Abfahrtstrainings war er nicht recht vom Fleck gekommen und hatte sich 3,6 Sekunden und mehr Rückstand eingehandelt, weshalb der Salzburger am Tag vor dem Wettkampf zum "Straftraining" abkommandiert worden war;
- die Startnummernauslosung ergab die ungeliebte frühe Nummer zwei für die Abfahrt, womit die Möglichkeit entfiel, vor der eigenen Fahrt noch die Konkurrenz zu studieren und neue Erkenntnisse zu gewinnen;
- einmal mehr blies der Wind über das südkoreanische Hügelland, "da hab’ ich auf dem Weg zum Start noch Stress bekommen, weil die Gondelbahn wegen des Windes auf einmal um drei Gänge runtergeschaltet hat";
- und wegen des Sturms war auch eine Windlinie ausgeflaggt, mit der die Sprünge anders an- oder überhaupt gleich umfahren wurden.
Goldener Blindflug
Trotz alldem raste Hirscher nicht nur auf den für ihn höchst respektablen zwölften Platz, nein, er schaffte es auch, den Rückstand auf den Schnellsten Thomas Dreßen aus Deutschland mit 1,32 Sekunden in genau jenen Bereich zu drücken, der ihm sämtliche Möglichkeiten offen ließ.
Doch die Probleme wurden nicht weniger. Wegen des Windes wurde nicht nur die Abfahrt verkürzt, auch der Slalom wurde beschnitten. Und als der Salzburger dann an der Reihe war, da tobte sich der Sturm noch einmal so richtig aus und nahm Hirscher die Bodensicht. "Ich hab’ mir gedacht: "Wollt ihr mich verarschen? Das gibt’s ja nicht. Es war richtig schwierig zu fahren. Cool bleiben, cool bleiben, mach das, was du immer machst und zieh jetzt ja nicht zurück", sagte er danach.
Ein echter Racer
Wie er es denn immer wieder schaffe, sämtliche Herausforderungen so souverän zu meistern und sich im Wettkampf immer wieder zu steigern, wurde er nach seinem Sieg gefragt. "Weil ich ein Rennfahrer bin, und kein Trainingsfahrer. Auf dieses Plus kann ich im Ernstfall immer zurückgreifen."
Dazu hilft ihm auch, dass er in seiner Laufbahn schon so viel erreicht und gewonnen hat. "Mit der Erfahrung und den Erfolgen entsteht so eine Gelassenheit", berichtet Marcel Hirscher. "Ich weiß: Ich muss nicht, ich darf vielmehr. Wenn’s nicht geklappt hätte, dann wäre alles vorher deshalb auch kein Schas gewesen."
Mit diesem Zugang fährt und siegt es sich leichter, ist der 28-Jährige überzeugt. "Für mich war meine Karriere schon perfekt mit meinem ersten Gesamtweltcupsieg. Das war viel, viel mehr als ich mir je zugetraut gehabt hätte. Das alles, was danach gekommen ist, war eine Draufgabe. Auch dieser Olympiasieg."
Wobei Marcel Hirscher schon zugibt, dass ihm die enorme Erwartungshaltung der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben ist. "Vor Großereignissen steigt der Druck ins Unermessliche. Alle wollten und erwarteten, dass ich hier Gold hole. Jetzt kann ich viel ruhiger schlafen, jetzt ist einmal die Luft draußen. Jetzt kann kommen, was will."
Und viele trauen Marcel Hirscher nun zu, dass er total abräumt und in seinen stärksten Disziplinen Slalom und Riesentorlauf weitere Medaillen gewinnt. Sogar ein Antreten im Teambewerb und ein Medaillen-Quartett ist nicht ausgeschlossen. "Der Marcel wird jetzt richtig heiß", sagt ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel. "Ihr werdet sehen, da kommt noch was in Korea."
Und was antwortete Marcel Hirscher spätabends im vollbesetzten Haus Austria?
"Das Gefühl ist saugut." Weitere Fragen überflüssig. Auch auf Englisch.
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