ÖSV-Star nach Horror-Sturz: "Ohne dieses Medikament halte ich es nicht aus"
Schmerzen! Das ist wohl das Wort, das in diesem einstündigen Gespräch mit Max Franz am häufigsten fällt. Der österreichische Ski-Star leidet unter chronischen, heftigen Schmerzen, seit er sich im November 2022 in Nordamerika bei einem Sturz beide Unterschenkel gebrochen hat.
19 Schrauben, zwei Platten und ein Nagel fixieren seine Knochen, die Operations-Narben, die sich über seinen Körper ziehen, sind 114,5 Zentimeter lang.
Ein halbes Jahr nach dem Unfall ist Max Franz noch immer auf Krücken angewiesen. „Man gewöhnt sich daran, dass der Schmerz da ist“, sagt der 33-Jährige, als ihn der KURIER in Scheffau im Tennengebirge besucht.
KURIER: Gibt’s denn auch einmal Tage ohne Schmerzen?
Nein. Deshalb muss ich täglich ganz spezielle Tabletten nehmen. Herkömmliche Schmerzmittel nützen bei mir nichts. Es geht darum, dass der Nervenschmerz gedämpft ist. Ohne dieses Medikament halte ich es einfach nicht aus.
Das heißt, Sie nehmen permanent Schmerzmittel?
Ohne die spielt es sich nicht. Wenn ich sie nicht nehme, dann beginnt mein linker Fuß zu brennen und zu stechen. An anderen Tagen tut die Fußsohle extrem weh. Manchmal brauche ich bis zu fünf Tabletten am Tag. Der Nerv im linken Bein war zu 80 Prozent durchtrennt. Grundsätzlich ist es gar nicht so schlecht, wenn der Nerv so wehtut. Weil das ein Zeichen ist, dass sich was rührt und dass der Nerv sich entwickelt und wächst.
Von welchen Dimensionen reden wir da?
Ein Millimeter am Tag, sagen die Ärzte. Der Nerv muss aber zumindest 30 Zentimeter wachsen, bis er unten am Fuß angelangt ist. Und bis zu den Fußspitzen sind es 40 bis 45 Zentimeter.
Dann haben Sie also kein Gefühl im linken Fuß?
Einige Sachen sind durch die Reha zurückgekommen. Ich spüre zum Beispiel einzelne Punkte auf meiner Fußsohle, der linke Fuß wird empfindlicher. Am Anfang ist echt brutal viel weitergegangen. Da bin ich aufgestanden und gegangen und war schon wieder ohne Krücken unterwegs. Vor fünf Wochen bin ich noch einmal operiert worden, eine Schraube musste raus. Das war ein extremer Rückschlag.
Was ist seither passiert?
Nach dieser OP war ich auf die Krücken angewiesen wie noch nie zuvor. Ich habe das linke Bein nicht belasten können. Und wenn ich ab und an mit der Krücke abgerutscht bin und plötzlich Druck auf das Bein gekommen ist, hatte ich das Gefühl, dass der Knochen durch das Knie rausschießt.
Was können Sie im Moment überhaupt aktiv machen?
Ein bisschen Gehen geht. Aber das ist dann gleich eine große Belastung. Die Fußsohlen sind das nicht mehr gewohnt, die fangen dann richtig an zu brennen. Das Problem ist, dass es so viele kleine Sachen sind. Dann tut wieder eine Bruchstelle weh, dann wieder etwas anderes. Jetzt hinke ich und merke, dass es mein Kreuz verzieht, durch das Krückengehen bekommt man eine Fehlhaltung. Wenn man das alles aufzählt, was ich habe, dann klingt das richtig Scheiße.
Und sie haben bisher nur über die körperlichen Beschwerden gesprochen. Was macht das mit dem Kopf?
Es dauert halt alles ewig lang. Jetzt ist es über ein halbes Jahr her, und du hast das Gefühl, es geht nichts richtig weiter. Wenn ich mich wohlfühle, dann ist brutal viel Motivation vorhanden. Und dann möchte ich gleich wieder alles zerreißen. Aber sobald der Schmerz daherkommt – das ist so ein brutaler Dämpfer. Der Schmerz raubt dir die ganze Motivation. Und da werde ich dann auch ein bisschen zwider.
Was war der schlimmste Moment in den letzten sechs Monaten?
In den ersten Tagen nach dem Sturz habe ich ehrlich gesagt nicht gecheckt, was los ist und wie schlimm es wirklich ist. Nach der OP am linken Fuß hatte ich richtig wilde Schmerzen, aber der rechte Fuß musste auch noch operiert werden. Das waren drei extreme Tage. Und dann habe ich auch noch eine Gallenkolik bekommen. Das war dann nur mehr grauslig.
Wollen Sie es erzählen?
Man kann sich gar nicht vorstellen, welche Schmerzen das sind. Du hast Bauchkrämpfe, kannst aber nicht aufstehen und du weißt nicht, wohin mit dir. Da sitzt du da am Bettrand und denkst dir: Werde bitte einfach bewusstlos. Das war eine widerliche Erfahrung.
Sie waren gewohnt, um Hundertstelsekunden zu kämpfen. Hat Zeit heute eine andere Dimension für Sie?
Im Endeffekt setze ich mir regelmäßig kleine Ziele. Diese Ziele ändern sich praktisch von Tag zu Tag.
Was sind solche Etappenziele auf dem Weg zurück?
Das nächste wirklich große Ziel wäre, endlich wieder schmerzfrei gehen zu können. Ein kleineres Ziel auf dem Weg dorthin ist das Rad. Ich möchte endlich wieder auf dem Rad sitzen, ich glaube, das wäre gut für den Muskelbau und würde auch fürs Gehen helfen.
Haben Sie denn das Gehen neu erlernen müssen?
In gewisser Weise ja. Aber das hat eigentlich gut funktioniert. Ich habe einen beheizten Pool im Garten, den ich auch im Winter nutzen konnte. Da haben wir sehr viele koordinative Sachen machen können. Rechts hat das alles relativ schnell wieder funktioniert, aber links ist die Ansteuerung schwierig.
Max Franz zieht seine Hose nach oben und versucht, mit den beiden Füßen kreisende Bewegungen zu machen. Mit dem rechten Fuß sehen die Bewegungen schon wieder geschmeidig aus. Der linke Fuß hingegen macht nicht das, was Max Franz will, er bewegt sich nur ruckartig und unkoordiniert.
„Es kommt zwar ein Impuls am Fuß an, aber es wackelt alles, ich habe nicht die Kontrolle und kann die Bewegung nicht geführt und gezielt machen.“ Der Kärntner erzählt von seinen Gleichgewichts- und Stabilitätsübungen im Pool. Als er auf dem linken Bein stehen wollte, landete er im Wasser. „Ich bin einfach umgefallen. Ich konnte nicht mehr auf einem Bein stehen.“
Sie sind Spitzensportler und waren beim Unfall austrainiert. Wie muss es dann erst einem Ottonormalbürger ergehen, wenn er ihre Verletzungen erleiden würde?
Ich habe da sicher einen Vorteil. Durch meine körperliche Verfassung habe ich die ersten Operationen und die Narkosen sicher besser überstanden. Wir reden da ja von 24 Stunden Narkose. Aber ich habe dann gemerkt, dass auch bei mir die Substanz aufgebraucht ist.
Inwiefern?
Nach der sechsten OP vor fünf Wochen war ich richtig fertig. Mir war echt schlecht von der Narkose, da war körperlich keine Energie mehr da. Ich spüre auch, dass die Regeneration jetzt länger dauert. Nach der letzten Therapie habe ich zu Mittag drei Stunden schlafen müssen. Ich war fix und fertig und bin den restlichen Tag nicht mehr aufgekommen. Im Moment ist gerade eine richtig schwierige Zeit. In den Wintermonaten war es für mich irgendwie einfacher.
Wie kann man das verstehen?
Im Winter kannst du weniger machen, da stört es einen dann nicht so, wenn wenig weitergeht. Aber wenn es jetzt wärmer wird, dann fallen bei mir rund um das Haus viele Sachen an. Ich werke normalerweise gerne herum, aber ich kann einfach nichts machen. Ich kann nirgends mithelfen. Wenn ich einmal was tu’, dann geht das fünf Minuten, und dann muss ich mich wieder eine Viertelstunde hinsetzen, weil es nicht länger geht.
Das muss frustrierend sein.
Das ist echt Scheiße. Ich würde so gerne meiner Frau Marina beim Hausputzen helfen, beim Staubsaugen, aber wie soll das bitte gehen? Ich bin ihr keine Hilfe. Ich kann auch nicht mit den Hunden spazieren gehen. Ich kann gar nichts tun. Das ist eine lange Zeit für sie und für mich. Ich bin schon froh, dass ich ein Auto mit Automatik habe. Ich könnte sonst nicht fahren, weil ich in der linken Ferse kein Gefühl habe und nicht kuppeln könnte. Das wäre der absolute Wahnsinn, wenn ich auch noch auf einen Chauffeur angewiesen wäre. Dann kommst du von daheim gar nicht mehr weg.
Wie behält man sich den Humor und die Hoffnung?
Es ist echt schwierig. Es ist ja nicht so, dass ich nicht motiviert wäre. Aber wenn der Schmerz kommt, dann ist das so ein großer Stimmungskiller. Ich habe gelernt, dass man sich darauf nicht einlassen darf, denn sonst kommst du aus dem Loch nicht mehr heraus.
Gab es denn in den letzten Monaten auch Erfolgserlebnisse?
Etwas wirklich Großes war, als ich endlich aus dem Rollstuhl rausgekommen bin. Die anderen großen Ziele, die ich mir gesteckt habe, habe ich nicht erreicht. So ehrlich muss ich sein.
Waren die Ziele zu hoch gesteckt?
Ja. Ich hätte nie gedacht, dass sich das so lange zieht und ich jetzt immer noch mit Krücken unterwegs bin und so lange Schmerzen habe. Vor der letzten OP hat es geheißen, in zwölf Wochen wäre ich ein neuer Mensch. Jetzt ist die Hälfte der zwölf Wochen vorbei, und ich sehe noch keine Anzeichen. Ich bin ein geduldiger Mensch, aber irgendwann ist die Geduld aufgebraucht.
Stellen Sie sich manchmal die Sinnfrage?
Natürlich frage ich mich: Geht sich das aus, wird das alles wieder? Diese Fragen stelle ich mir vor allem an den Tagen, an denen es mir schlecht geht. Die Ärzte sagen, dass der linke Fuß ein Jahr nach dem Unfall wieder einigermaßen funktionieren sollte. Das würde bedeuten, dass ich im nächsten Winter wieder mit leichtem Skifahren beginnen könnte.
Der Nerv braucht angeblich eineinhalb Jahre, es könnte sich ausgehen, dass ich gegen Ende des nächsten Winters schneidiger fahren kann. Das wäre wichtig für die Saison 2024/’25, denn ohne Schneetraining und viele Kilometer in den Beinen kannst du nach zwei Jahren Pause nicht wieder einsteigen. Dann hätte ich im Weltcup auch nichts verloren.
Sie setzen sich ambitionierte Ziele.
Bei Nicole Schmidhofer haben alle gesagt, dass sie nie mehr wieder einen Schwung fahren wird. Die hat gezeigt, wie man sich nach einer Verletzung zurückkämpft. Hermann Maier hat nach seinem Motorradunfall sogar wieder gewonnen. Ich muss mir solche Ziele setzen, weil das die beste Motivation für die Reha ist. Wenn ich sagen würde: Die Chance ist gering, lassen wir es bleiben, dann lässt man es schleifen und kommt in der Reha nicht weiter. Andererseits....
...andererseits?
Ich frage mich natürlich schon auch: Wenn sich die Ziele, die ich mir jetzt gesteckt habe, schon dermaßen hinauszögern, wie wird das dann erst mit dem großen Ziel sein? Ich will es aber unbedingt schaffen.
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