Morgenstern: "Jeder Sprung war eine Überwindung"

Der Ex-Skispringer spricht über den Absprung aus dem Spitzensport.

Plötzlich wirkt Thomas Morgenstern ratlos. "Puh, was bin ich jetzt eigentlich." Was soll einer wie er, wenn er ein Formular ausfüllt, im Moment als Beruf angeben? Olympiasieger? Weltmeister? "Skisprung-Pensionist geht nicht", meint der 28-Jährige, "und Hubschrauberpilot in Ausbildung klingt blöd." Als sich Töchterchen Lilly (2) aus dem Kinderzimmer zu Wort meldet, wird Morgenstern klar, was sein aktueller Beruf ist – seine Berufung nämlich. "Hausmann, natürlich. Was sonst? Ich bin im Moment mit Leib und Seele Hausmann. Da gehe ich auf, das ist eine Wahnsinnszeit mit der Lilly."

KURIER: Herr Morgenstern, wie sieht denn im Moment der Alltag bei Ihnen aus?

Thomas Morgenstern: Jetzt, wo ich Zeit zum Ausschlafen hätte, stehe ich so früh auf wie noch nie. Meistens schon um halb sechs, weil meine Freundin auch so früh raus muss. Und um acht kommt dann eh schon die Lilly und dann bin ich sowieso mit ihr den ganzen Tag beschäftigt. Im Grunde ist der ganze Tag verplant. Viel zum Sporteln bin ich die letzten Wochen jedenfalls nicht gekommen.

Täuscht der Eindruck, oder haben Sie seit Ihrem Karriereende etwas zugelegt?

Knapp zehn Kilo seit Sotschi. Wobei die Olympischen Spiele kein Maßstab waren, da war ich extrem ausgezehrt mit 66 Kilo. Das Höchste, das ich inzwischen hatte, waren am Abend einmal 76,5. Aber das Gewicht ist nicht raufgegangen, weil ich jetzt mehr essen würde. Ich hab’ früher auch immer wieder Chips, Pizza oder eine Schokolade verdrückt. Ich trainier’ im Moment einfach nichts und verbrenne dementsprechend weniger Kalorien als früher.

Klingt fast so, als hätten Sie inzwischen schon eine große Distanz zum Skispringen.

Nein, nein, ich weiß schon, was gerade los ist. Ich telefoniere sicher ein Mal die Woche mit Heinz Kuttin und schau’ mir die Springen auch an, wenn’s mir reinpasst. Den Terminplan habe ich jetzt aber nicht nach den Übertragungen ausgerichtet. Aber bei der Tournee werde ich schon dabei sein, Innsbruck und Bischofshofen sind Fixtermine. Und Sie können mir glauben: ich bin froh darüber, dass ich jetzt eine andere Perspektive habe und nicht mehr mitspringen muss.

War das Skispringen für Sie am Ende so eine Qual?

Zum Schluss hat es mich nur mehr fertiggemacht. Jeder einzelne Sprung war eine Überwindung und hat mich extrem viel Kraft gekostet. Ich war ständig am Zweifeln, ob das wieder wird. In diesem Gemütszustand macht es keinen Sinn. Mir sind dann sogar solche Sachen wie das Schuhezubinden schon mördermäßig auf den Keks gegangen. Oder wenn wieder irgendein Dreck auf den Skiern gepickt ist, weil’s geregnet hat. Furchtbar. Den einzigen Sprung, den ich genossen habe, war mein Abschiedssprung in Stams.

Sie sind wirklich noch einmal über die Schanze, nachdem Sie die Entscheidung getroffen haben, aufzuhören?

Genau. Noch am gleichen Tag. Am Bergisel ist am Vormittag überhaupt nichts gegangen, dann habe ich gesagt: ,das war’s‘. Und dann bin ich am Nachmittag noch einmal nach Stams. Bei meinem allerletzten Sprung habe ich extra viel Anlauf genommen und den Trainern gesagt, sie sollen bitte filmen. Am Ende ist mir die Entscheidung sehr leicht gefallen.

Vielleicht auch, weil Sie in Ihrer Karriere alles gewonnen haben, was es zu gewinnen gibt?

Das hat es sicher leichter gemacht aufzuhören. Der einzige Titel, der noch gefehlt hätte, war Skiflugweltmeister. Aber das hatte sich mit meiner Brezn am Kulm sowieso erledigt. Und alles andere? Ganz ehrlich, ob ich jetzt 32 Weltcupsiege habe und vielleicht noch eine WM-Medaille von Falun – das ist scheißegal. Ich bin froh, dass ich Olympiasieger geworden bin, den Weltcup gewonnen habe und die Tournee, und den WM-Titel am Holmenkollen – ich würde sagen, das reicht locker.

Ihr Erfolgshunger war gestillt?

Das Loch hatte ich früher einmal, nachdem ich alles erreicht hatte. Da habe ich mich dann gefragt: ,Und, was kommt jetzt?‘ Ich war immer einer, der klare Ziele gebraucht hat. Das hat mich auch nach dem Sturz am Kulm angetrieben. Ich wollte noch einmal zu Olympischen Spielen. Dafür habe ich auch alles getan. Dieses Ziel war extrem wichtig. Wenn der Sturz im März passiert wäre, dann hätte ich mich vielleicht etwas hängen lassen und wäre nicht so schnell wieder fit geworden.

Was Morgenstern über die Vierschanzentournee, sein Star-Dasein, sein Verhältnis zu Gregor Schlierenzauer und seine verborgenen Talente sagt, lesen Sie am Sonntag in der Printausgabe des KURIER ...

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