Michaela Dorfmeister wird 50: "Sie haben Mundl zu mir gesagt"

Wenn man nach einem halben Jahrhundert zurückblickt und dort nicht nur eine Tochter sieht, die man aufgezogen hat, sondern auch noch drei Olympia- und vier WM-Medaillen, fünf kleine und eine große Kristallkugel, dann kann man wohl zufrieden sein.
Ohnehin wirkt Michaela Dorfmeister selten unzufrieden. Immer noch treibt sie sich (als sportliche Leiterin des Niederösterreichischen Landesskiverband) im Skizirkus herum, wo sie das Standing genießt, das ihren Erfolgen entspricht. Doch das war nicht immer so: In Wien geboren, mit vier Jahren nach Niederösterreich gezogen, mit zehn in die Skihauptschule Lilienfeld (die mittlerweile nach ihr benannt ist), mit vierzehn in die Skihandelsschule Schladming. Immer wieder musste Dorfmeister beweisen, auch als „Mundl“, wie sie genannt wurde, dass sie ganz oben hingehört.
Doppelolympiasiegerin
Dorfmeister gewann bei Olympia 2006 in Turin Gold in der Abfahrt und im Super-G. 1998 hatte sie Silber im Super-G gewonnen. Hinzu kommt WM-Gold in Abfahrt(2001) und Super-G (2003), Silber und Bronze in den beiden Disziplinen 1999
Weltcup-Erfolge
25 Weltcupsiege brachten Dorfmeister einmal den Gesamtweltcup (2002) und fünf kleine Kristallkugeln (2 x Abfahrt, 2 x Super-G,1 x Riesenslalom)
KURIER: Am Samstag feiern Sie runden Geburtstag. Ist 50 nur eine Zahl für Sie oder ist das ein Moment, wo man Resümee zieht?
Michaela Dorfmeister: Einerseits macht man schon einen Rückblick. Ein halbes Jahrhundert ist ja nicht irgendwas! Man muss froh sein, so alt werden zu dürfen. Bis jetzt war mein Leben mit vielen positiven Eindrücken behaftet. Das prägt mich auch. Ich seh’ das nicht so negativ, 50 zu werden. Viel Erfahrung - viel positive, aber auch negative. Das prägt.
Sie scheinen sich die positive Einstellung und Ausstrahlung immer bewahrt zu haben...?
So wie man sein Leben lebt, so gibt man das auch an die Mitmenschen weiter. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Warum soll ich auf jemanden böse sein, der einen Blödsinn gemacht hat?
Wenn Sie auf das bisherige halbe Jahrhundert zurückblicken, was macht Sie am meisten stolz?
Ich bin auf das Sportliche schon stolz. Denn wenn man immer als „Flachländerin“ abgestempelt wird, ist es schon eine Genugtuung zu sagen: „Ich werd euch schon zeigen, dass ich es kann.“ Das hat mich immer vorangetrieben.
Ich bin außerdem stolz auf meine Eltern, die mir das alles ermöglicht haben. Sie haben für 18 Jahre ihr Leben aufgegeben und all ihre Energie und ihr Geld in mich investiert.
Haben Sie aufgrund Ihrer Herkunft mehr Hürden im Skisport gemerkt?
Das hab ich von klein auf gemerkt, das war aber auch meine Motivation. Ich hab kein Problem gehabt, wenn sie in der Schule in Schladming „Mundl“ zu mir gesagt haben. Ich hab’ meinen Dialekt durchgezogen und mir keinen Steirer- oder Salzburger-Dialekt angeeignet. Bin immer dazu gestanden, wo ich herkomme. Das hat mich immer stark gemacht. Ich bin sicher Vorbild für die, die nicht die besten Voraussetzungen für ihre Ziele haben. Man kann es mit Durchsetzungsvermögen und Ehrgeiz schaffen.
Sie haben mal gesagt, als Widder hat man Hörner. Braucht man diese Durchschlagskraft, um im Leben weiterzukommen?
Ich denke im Durchschnitt nicht. Aber wenn man irgendwo an die Spitze will, lassen sich Hörner nicht vermeiden, die man sich abschlagen muss, um dort hinzukommen.
Umgekehrt hatten Sie Glück in Ihrer Karriere nie gröber verletzt zu sein. Aber es gab mal eine kuriose Ohrenverletzung...
Zur Jahrtausendwende hab ich mir am Silvesterabend, ohne Alkohol getrunken zu haben, mit dem Wattestäbchen das Trommelfell zertrümmert. Im Spital in Salzburg hat der Arzt dann gesagt: "Jetzt feiern wir beide daheim die Jahrtausendwende und morgen um 7 bist du wieder da für die OP".
Sie waren in einer Zeit aktiv, als das ÖSV-Frauenteam mit Ihnen, mit Renate Götschl, Alexandra Meissnitzer und anderen weitgehend dominiert hat. Was macht das mit einer Athletin?
Das spornt an! Du willst immer besser sein als die andere. Das hat uns zu unserer Zeit zu Höchstleistungen angespornt. Das war unser Erfolgsrezept.
Sie haben 2005 eine sportliche Krise erlebt, bei der WM in Bormio. Sie waren bei drei Rennen am Start, dreimal sind Sie nicht ins Ziel gekommen. Wie sind Sie aus der Krise wieder rausgekommen?
Ich hab vor dieser WM schon Super-G- und Abfahrtskugel uneinholbar in der Tasche gehabt. Nach den schlechten Erfahrungen bei der WM wollte ich die Karriere beenden. Aber mein Stolz hat das offenbar nicht zugelassen. Mein damaliger Trainer hat gesagt: "Die Saison fahren wir schon noch fertig". Und ich hab dann noch zwei oder drei Rennen gewonnen. Ich wollte sowas wie bei der WM nicht mehr erleben, aber doch noch die Olympiasaison 2006 fahren – mit dem Ziel, Gold zu gewinnen. Das haben wir intern für uns definiert. Umso schöner, dass es so geklappt hat!

Doppel-Gold in Turin 2006
Aus einer privaten Krise sind Sie gestärkt herausgekommen. (Dorfmeisters Ex-Partner wurde 2017 wegen schweren Betrugs zu 4,5 Jahren Haft verurteilt, Anm.) Wie steht man so was durch, wie findet man da wieder Vertrauen?
Man denkt monatelang darüber nach, warum man nicht vorher draufgekommen ist. Man verfällt ins Selbstmitleid – und ich hasse Selbstmitleid! Mir hat der Sport extrem geholfen, ich habe mich an der Nase genommen, mein Leben wieder selbst in den Griff gekriegt und mich nach vorne orientiert. Im Sport hakt man auch Saisonen ab und schaut nach vorne. Auch negative Erfahrungen prägen.
Ein riesiger sportlicher Schockmoment war 2006 in St. Moritz, als bei einer Abfahrt während Ihrer Fahrt plötzlich ein Streckenposten auf der Piste aufgetaucht ist. Was geht einem da durch den Kopf?
In dem Moment gar nichts. Du schaust nur, dass du aus der Situation rauskommst. Aber vielleicht hat alles seinen Sinn gehabt. Das war zwei Wochen vor den Olympischen Spielen in Turin, wo ich zweimal Gold gewonnen hab. Umso dankbarer kann man sein, dass es so ausgegangen ist.
Sind Sie eigentlich religiös?
Nein, eigentlich gar nicht. Aber ich denke schon, dass es irgendwas gibt, dass da auf mich aufgepasst hat und immer noch für mich da ist.
Sie haben danach zweimal Olympiagold gewonnen und in der Saison, von der Sie wussten, dass es die letzte werden würde, noch die letzten Klassiker gewonnen. Ist das eine mentale Superkraft von Ihnen, dass Sie im richtigen Moment "abliefern" können?
Ich glaube, dass ich psychisch und physisch in der Saison fast unschlagbar war. Ich habe es geschafft, im richtigen Moment meine beste Leistung abzuliefern. Ich war körperlich fit, psychisch auf der Höhe, hab Selbstvertrauen gehabt. Dann hast du fast keine Gegner! Wobei du im Sport natürlich auch Glück brauchst, das richtige Wetter, das richtige Material. Es ist schon alles ein Paket. Man kann in der besten Verfassung sein, aber ohne schnellen Ski gewinnst du nicht.
Vermissen Sie dieses Gefühl manchmal oder haben Sie das noch manchmal?
Ich bin sportliche Leiterin vom Landesskiverband NÖ. Wenn man Jugendlichen da etwas mitgeben kann, das ist schon was Schönes für mich. Vielleicht können sie es nicht gleich verwerten, aber auf den Weg mitnehmen und sich erinnern, dass die Dorfmeister mal was gesagt hat. Ich habe das Bedürfnis, diese Sachen weiterzugeben.
Kommentare