Olympia-Nostalgie im hohen Norden
Ein Wort genügt. Und schon ist es um die grantige Verkäuferin im farbenfrohen Norwegerpullover-Store geschehen. Den Willkommensgruß hatte sie gerade noch so erwidert, aber kaum kommt die Sprache auf Olympia, dann ist sie plötzlich wie ausgewechselt. "Ich war damals noch ein Kind, aber diese 16 Tage waren einfach fantastisch", sagt die Verkäuferin und berichtet mit einem Strahlen im Gesicht von den Menschenmassen, die Tag für Tag von Lillehammer durch die Wälder und über die Wiesen hoch ins Birkebeineren-Stadion gepilgert waren.
Die Hunderttausenden Fans an den Loipen, die friedliche Atmosphäre, der Applaus für die Gegner, die kleinen Holzhütten im olympischen Dorf – all das hat sich eingeprägt. "Lillehammer waren meine ersten Spiele. Leider hatte ich den Höhepunkt schon zu Beginn, und danach ist es bergab gegangen", erinnert sich Kombinierer Mario Stecher.
Gegenentwurf
Seither hat sich vieles verändert in der Welt der Winterspiele – und nur sehr wenig zum Guten. Aus den herzlichen, bescheidenen, stimmungsvollen und auch umweltbewussten Winterspielen von Lillehammer ist innerhalb von 20 Jahren eine Veranstaltung geworden, die inzwischen das genaue Gegenteil verkörpert.
Für jemanden, der erst vor wenigen Monaten den olympischen Gigantismus und Größenwahn von Sotschi erlebt hat, erscheint es aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, dass dieses beschauliche Städtchen am Ufer des Mjøsa-Sees noch einmal zum Nabel der Sportwelt werden kann. Bei aller Sportbegeisterung der Norweger, bei all den mitreißenden Erzählungen von 1994 – für weitere Winterspiele können sich selbst die Norweger inzwischen nicht mehr erwärmen. Jedenfalls nicht für Winterspiele, wie sie mittlerweile offenbar beim Internationalen Olympischen Komizee gefragt sind.
Politik und Bevölkerung erteilten zuletzt einer Kandidatur für 2022 eine Absage. Und weil in München, Stockholm und St. Moritz der gleiche Grundtenor herrscht, sind als letzte Kandidaten Almaty (Kasachstan) und Peking übrig geblieben.
"Das tut weh", sagt Ernst Vettori, "man sollte sich wieder auf den Sport konzentrieren. So habe ich nämlich die Befürchtung, dass wir im Alpenraum so schnell keine Spiele mehr erleben werden."
Gregor Schlierenzauer musste durch das Nein der Norweger jedenfalls seinen Karriereplan über den Haufen werfen. Winterspiele 2022 im nordischen Mekka Oslo – dafür wäre er Feuer und Flamme gewesen. Aber ein Start mit 32 in Peking?
Ausgeschlossen.
Für drei Wochen sind immer alle Feuer und Flamme für Olympia, aber kaum erlischt das olympische Feuer, dann lautet das Motto nur mehr: aus den Augen, aus dem Sinn. An den Schauplätzen der letzten Winterspiele ist von Ruhm und Glanz wenig übrig geblieben. Seit Nagano 1998 prägen verwaiste Sportanlagen und ungenützte Sportstätten das Bild.
Nagano 1998
Die japanische Olympiastadt ist ein weißer Fleck auf der Sport-Landkarte. Die Alpinen machen seit Jahren einen Bogen um Asien, die Skispringer waren zuletzt 2004 dort. Die Bob-und Rodelbahn könnte 2018 ein Revival erleben – die Organisatoren der Spiele in Pyeongchang (Südkorea) wollen aus Kostengründen den Eiskanal in Japan benutzen.
Salt Lake City 2002
Im Winter nach den Spielen haben die Alpinen einmal noch einen Einkehrschwung in Utah eingelegt. Seither werden auf Weltcupebene nur der Eiskanal und die Halfpipe benutzt.
Turin 2006
Der Eiskanal von Cesana, in dem die Linger-Brüder zu Gold gerodelt sind, ist nicht mehr in Betrieb. Und Teile der Schanzenanlagen, auf denen Thomas Morgenstern Doppel-Gold gewonnen hat, wurden überhaupt abgerissen.
Vancouver 2010
Einmal und nie wieder – das war auch das olympische Motto in Vancouver. Nur der Eiskanal in Whistler wird noch weltcupmäßig befahren.
Sotschi 2014
Im ersten Winter nach den Spielen befinden sich die hochmodernen Sportstätten bereits im Dornröschenschlaf. Künftige Weltcupbewerbe in Sotschi? Praktisch ausgeschlossen.
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