Kuttin: "Es ist richtig an die Nieren gegangen"

Klares Ziel: Der Coach hat die WM 2019 in Seefeld im Visier.
Der Chefcoach der Skispringer über Erfolge, Kritiker und das Erbe der berühmten Superadler.

Heinz Kuttin ist seit 2014 der Herr im ÖSV-Adlerhorst. Als Coach steht der Kärntner schon länger an der Schanze. Bereits während seiner aktiven Zeit hatte der Doppel-Weltmeister von 1991 die Trainerausbildung begonnen.

KURIER: Sie waren lange im Nachwuchs engagiert. Profitieren Sie von diesen Erfahrungen?
Heinz Kuttin: Ich sehe es als Riesenvorteil. Ehrlich gesagt, halte ich auch nichts davon, wenn Athleten aufhören und gleich ganz oben einsteigen. Nicht nur, weil die Erfahrung fehlt, du kriegst auch viel mehr Grundverständnis, wenn du einmal mit Kindern gearbeitet hast.

Inwiefern?
Das Interessante bei der Arbeit mit Kindern ist ja: Das, was du denkst und was du dir vorstellst, kommt bei den Jungen oft gar nicht an. Du musst zwangsläufig andere Wege der Kommunikation finden, um deine Botschaften zu verdeutlichen. Das ist spannend. Außerdem macht es Spaß, wenn du junge Athleten formen kannst und siehst, wie sie sich entwickeln.

Sie waren als Trainer auch in Polen. Eine lehrreiche Zeit?
In Polen habe ich in erster Linie gelernt, dass ich ruhiger werden muss als Trainer. Damals habe ich mir das eine oder andere Mal die Finger verbrannt, weil ich zu viel und zu klar Sachen angesprochen habe. In dieser Hinsicht muss man diplomatisch sein, obwohl das eigentlich nicht der Weg ist, den ich mag.

Würden Sie sagen, dass Sie heute ein anderer Trainer sind?
Eindeutig ja. Aber die Situation ist auch eine ganz andere. In Polen zum Beispiel war ich fast ein Mädchen für alles, ich habe damals sogar selbst Sprunganzüge mitentworfen. Jetzt in Österreich fühle ich mich manchmal sogar wie ein Personalchef, weil ich einfach mit so vielen Leuten in den verschiedensten Bereichen zu tun habe. Meine Aufgabe war es, da einen roten Faden zu finden, der bis ganz hinunter in den Nachwuchs geht. Mir taugt es, dass wir alle gemeinsam eine klare Linie fahren. Und da sind wir noch lange nicht am Zenit.

Apropos Zenit: Wie definieren Sie denn selbst Erfolg?
Ein Tourneesieg oder Medaillen bei WM und Olympia sind sicher Highlights. Ich sage aber immer: Für das ganze Betreuerteam ist der Nationencup die größte Auszeichnung. Wenn du einen hast, der alles niederreißt, aber der Rest springt nur irgendwo herum, dann ist das nicht zufriedenstellend. Der Nationencup ist eine Aufwertung für das ganze Team. Es gibt aber noch andere Erfolge.

Sprechen Sie von den Leistungen eines Manuel Fettner und Andreas Kofler, die von vielen bereits totgesagt wurden?
Solche Geschichten machen mich irrsinnig stolz. Wenn man sieht, wie ein Athlet sich plagt, sich dann aber so zurückkämpft, dann macht mir das eine riesige Gaudi. Als Trainer denkst du dir manchmal, so salopp gesagt: ,Der kapiert’s noch immer nicht. Der glaubt noch immer, dass er selbst aus dem Strudel so rauskommt.‘ Das ist eine Herausforderung: Du musst dann schauen, dass du es dem Athleten richtig verklickerst, dass er selbst vom Weg überzeugt ist.

Was für ein Typ Trainer sind Sie denn überhaupt?
Einer, der eher sehr viel aus dem Bauch heraus entscheidet, der viel mit den Athleten redet. Wir haben es mit Menschen zu tun, und wenn da einer familiäre Probleme hat, will ich ihn unterstützen. Auch wenn mir das in dem Moment sportlich vielleicht nichts bringt. Wobei: Ein zu freundschaftliches Verhältnis sollte man dann auch nicht haben. Es gibt Tage, an denen du einmal ordentlich reinpfeifen musst. Und es wird immer wieder Situationen geben, in denen du dich als Trainer falsch entscheidest und dich der eine oder andere Athlet vielleicht sogar verflucht. Es verstehen in dem Moment nicht immer alle alles. Andererseits muss ich am Ende auch den Kopf hinhalten.

War’s für Sie ein Segen oder nicht doch ein Fluch, nach einer so erfolgreichen Skisprung-Ära Cheftrainer zu werden?
Weder noch. Es war damals eine klare Anforderung an mich, das Team neu aufzubauen. Ich wollte das System von Grund auf neu formulieren und gestalten. Rückblickend betrachtet waren wir in meinen Augen sehr erfolgreich. Wir haben die Tournee gewonnen, bis auf den Mixed-Bewerb in allen WM-Wettkämpfen eine Medaille geholt, waren im Gesamtweltcup vorne dabei. Viele andere Nationen wären glücklich darüber gewesen.

In Österreich gab es Kritik.
Wenn etwas umgebaut wird, dann geht zwangsläufig die Konstanz verloren. Wir sind definitiv nicht nur hui und pfui, wir befinden uns auf einem kontinuierlichen Weg nach oben. Das Fernziel ist die WM in Seefeld, im Grunde sind wir von unserer Zielvorgabe sehr positiv unterwegs.

Hat Sie die Kritik denn gestört?
Wenn sie konstruktiv und auf den Punkt gebracht wird, dann hat Kritik ja auch etwas Positives. Ab und an ist die Schmerzgrenze aber überschritten worden. Als Trainer musst du lernen, damit umzugehen. Ich geb’s zu: Manchmal ist das richtig an die Nieren gegangen, so ein dickes Fell hat keiner. Es hat nicht jeder Tag gleich viel Spaß gemacht. Andererseits taugt es mir, wenn wir den Kritikern sportliche Antworten geben.

Österreichs Skispringer waren in der Öffentlichkeit lange die berühmten "Superadler". Wieso missfällt Ihnen der Begriff?
Weil ich für Bodenständigkeit stehe. Diese Geschichte von den Superadlern mit dem Luxusbus – das war perfekt für diese Zeit damals. Ein tolles Marketing, absolut top. Aber ich möchte, dass wieder die Athleten im Vordergrund stehen, jeder einzelne als Persönlichkeit. Klar ist: Du bietest mit solchen Bezeichnungen auch Angriffsfläche: An einem Tag sind’s die Superadler, am nächsten die Suppenhühner. Von dem halte ich absolut nichts. Da bewegen wir uns in einer Scheinwelt, und das will ich nicht.

Sie schicken immer wieder Trainerkollegen zu Interviews. Stehen Sie nicht gerne im Mittelpunkt?
Ich finde es wichtig, das die Öffentlichkeit die Personen kennt, die zum Gesamterfolg beitragen. Wir arbeiten als Team, nur so funktioniert’s. Daher haben es die Kollegen auch verdient, dass sie vorne stehen. Ich möchte das so haben, das ist eine Form von Wertschätzung.

Ihr Fernziel ist die WM 2019. Sie wären dann fünf Jahre im Amt. Wie lange kann und soll eine Trainer-Ära dauern?
Wenn man ein guter Trainer ist, merkt man, wenn man die Springer nicht mehr erreicht und sich ein System abnützt. Es ist eine ständige Herausforderung: Alles, was wir heuer machen, das zählt nächstes Jahr ja nichts mehr. Du musst ständig neue Reize reinbringen, sonst bist du verloren. Im Moment sehe ich, dass die Arbeit der letzten Jahre fruchtet. Und ich bin überzeugt, dass wir in den nächsten Jahren viel Spaß mit den Springern haben werden.

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