Sozialer Mensch
Das traurige Schicksal seines engen Freundes schien den Oberösterreicher mehr zu beschäftigen und zu bewegen als sein eigenes Abschneiden in der ersten Abfahrt von Kitzbühel. „Es zipft mich voll an, dass gewisse Leute jetzt nicht mehr das gute Bild von ihm haben“, betonte Kriechmayr im Ziel. „Ich kann nur so viel sagen: Ich kenne keine Person, die so sozial ist wie Matthias Mayer. Wenn man bedenkt, wie viel er für andere Leute getan hat, wie viel er gespendet hat, dass er Flüchtlinge aufgenommen hat, ohne das auf Instagram zu posten. Er hat es einfach gemacht. Er ist keiner, der sich profilieren wollte.“
Der Vorfall rund um Matthias Mayer relativiert den erneut schwachen Auftritt der österreichischen Abfahrer, die sich ergebnistechnisch immer tiefer in eine sportliche Krise manövrieren und mit Vincent Kriechmayr (7.) lediglich einen Läufer in die Top 20 brachten – das ist historisch das zweitschlechteste Abschneiden der Österreicher in Kitzbühel.
Dabei wäre der erste Stockerlplatz in diesem Abfahrtswinter für Kriechmayr durchaus in Reichweite gewesen. Vor allem im technisch so anspruchsvollen obersten Teil der Streif mit Mausefalle und Steilhang präsentierte sich der 32-Jährige bärenstark und lag nur zwei Hundertstelsekunden hinter dem französischen Sieger Cyprien Sarrazin. „Bis Mitte des Rennens war es sicher meine beste Leistung“, berichtet Vincent Kriechmayr, der dann im unteren Teil aber erstaunlich viel Zeit einbüßte, obwohl seine Fahrt optisch fehlerfrei wirkte. „Man muss es dann halt auch runterziehen und richtig performen. Im Moment mache ich das nicht“, gab sich der Doppelweltmeister von 2021 selbstkritisch. „Wenn du nur mit 95 Prozent fährst, wirst du halt durchgereicht. Die schnellsten Jungs geben halt von oben bis unten Gas.“
Draufgänger
Damit meinte Vincent Kriechmayr vor allem Cyprien Sarrazin, den Senkrechtstarter in der Königsdisziplin. Vor 14 Monaten hatte der 29-jährige Franzose seine erste Weltcupabfahrt bestritten, inzwischen ist der einstige Riesentorläufer der Mann, der das Tempo vorgibt und für Furore sorgt. „Es ist schon verrückt, wie schnell das bei mir gegangen ist.“
Tatsächlich hat dieser Cyprien Sarrazin eine rasante Entwicklung durchgemacht. Noch im vergangenen Winter konnten viele Abfahrerkollegen nicht hinsehen, wenn sich der leidenschaftliche Downhill-Mountainbiker in waghalsiger Manier die Pisten hinunter stürzte – im wahrsten Sinne des Wortes.
Nicht nur einmal landete der Draufgänger im Fangnetz und sorgte für Schreckmomente. Auch von der Streif war Sarrazin im vergangenen Jahr wild abgeworfen worden.
Senkrechtstarter
„Letztes Jahr habe ich eindeutig zu viel Risiko genommen“, erzählt der 29-Jährige, „Deshalb bin ich auch immer gestürzt. Aber das war damals nicht ich. Ich war einfach nicht richtig bei der Sache, jetzt bin ich viel fokussierter.“
Den Entschluss, auf Abfahrt und Super-G umzusatteln, traf der Sieger eines Parallel-Riesentorlaufs (2016), weil er in seiner einstigen Paradedisziplin nur mehr hinterhergefahren war. „Letztes Jahr wusste ich, dass ich Abfahrer werden muss. Heute fühle ich mich wie ein Abfahrer“, erzählt Sarrazin, der in dieser Saison schon drei Rennen gewonnen hat und auch heute beim zweiten Streifzug (11.30 Uhr, ORF1) der Mann ist, den es zu schlagen gilt.
Vincent Kriechmayr stufte seinen siebenten Platz am Freitag dann am Ende sogar besser ein, als man es von ihm erwartet hätte. „Ich weiß jetzt zumindest, dass ich konkurrenzfähig bin.“
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