"Jeder Sportler ist ein Nerverl"

"Jeder Sportler ist ein Nerverl"
Christoph Sumann über seinen Rücktritt vom Rücktritt und warum er oft schwarzsieht.

In Östersund fällt der Startschuss zur neuen Biathlon-Saison. Dabei greift auch Christoph Sumann, 36, wieder zur Waffe. Der Oldie hatte zwar schon sein Karriereende verkündet, nach der vermurksten WM in Ruhpolding aber den Rücktritt vom Rücktritt erklärt.

KURIER: Woher kam Ihr plötzlicher Sinneswandel?
Christoph Sumann: So wollte ich nicht aufhören. Ruhpolding war die größte WM aller Zeiten, das wäre der perfekte Abschluss für meine Karriere gewesen. Aber was ich dort gezeigt habe, war nur erbärmlich. Tote Hose. Ich finde gar keine Worte für meine Leistung. Meine Frau hat mich bestärkt, dass ich weitermachen soll. Sie hatte das Gefühl, dass ich mit dem Biathlon noch nicht abgeschlossen habe.

Und hatte Ihre Frau recht?
Ich bin ja so daheim schon nicht zum Aushalten, aber dann wäre ich wahrscheinlich ins Extrem verfallen. Irgendwann wäre der Zeitpunkt gekommen, wo ich es bereut hätte. Ich will mit einem guten Gefühl aufhören und sagen können: ,Passt, Tschüss, Danke das war’s.‘

Das konnten Sie so nicht?
Nein. Ich habe gemerkt, dass ich die ganze Saison mit wenigen Ausnahmen nie imstande war, hundert Prozent zu geben. Aus dem einen oder anderen Grund.

Welche Gründe?
Wo soll ich anfangen: total aus der Form, angeschlagen, krank, demotiviert, Ski daneben, verschossen, schlecht gelaufen. Wissen Sie, was am meisten weh getan hat?

Sagen Sie’s.
Wenn man wie wir bei der WM mit der Staffel am Schießstand eine Glanzleistung abliefert, aber mit dem Medaillenausgang überhaupt nichts zu tun hat. Total atypisch für österreichische Biathleten. Früher sind wir ja meistens an unseren Schießleistungen gescheitert.

Sie haben die Konsequenzen gezogen und sind nach Innsbruck übersiedelt, wo Sie nun alleine trainieren. Warum dieser Schritt?
Weil ich für den Kopf dringend etwas Neues gebraucht habe. Ich bin jetzt 20 Jahre jeden Sommer mit der Mannschaft auf Trainingskurs gefahren. Das wollte ich vermeiden und meinen eigenen Weg gehen. Ich habe diesen Neuanfang gebraucht.

Hat sich die Übersiedlung rentiert?
Auf jeden Fall. Leider hat mein Körper nicht ganz mitgespielt. Meine Achillesferse sind die Atem­wege, und da hat sich bei mir einiges aufgestaut. Da habe ich heuer in den sauren Apfel beißen müssen und im Sommer einmal vier Wochen nichts getan, um das richtig auszukurieren.

Wie leicht fällt Ihnen das Nichtstun?
Das ist sehr schwer. Überhaupt wenn du genau weißt, dass in dieser Zeit alle deine Konkurrenten ackern, und du bist zum Nichtstun verdammt. Der Leistungssportler ist in dieser Hinsicht ein unglaubliches Nerverl. Und zwar jeder.

Ein Nerverl?
Wenn einmal ein Training ausfällt, kriegt man sofort ein schlechtes Gewissen und denkt sich: ,Um Gottes Willen, genau diese Trainingseinheit wird es sein, die mir am Ende abgeht. Alle anderen trainieren und ich kann nicht.‘ Man wird da als Sportler unausstehlich, aber man muss es schaffen, diesen Schalter umzulegen.

Tut sich da ein Routinier leichter?
Ich weiß jedenfalls, dass im Biathlon nichts mit der Brechstange funktioniert. Du musst den Kopf ausschalten, nicht generell, aber im richtigen Moment. Am Renntag ist es wichtig, dass man sich nicht über jeden Schas Gedanken macht.

Leichter gesagt als getan: Ist der Druck auf die Biathleten größer geworden, seit der ORF die Biathlon-Rennen live überträgt?
Wir stehen jetzt sicher anders im Blickpunkt. Es wird mehr berichtet, und wenn die Erfolge nachlassen und die Quoten weniger werden, kommen gleich die Fragen.

Die Öffentlichkeit will Sieger sehen.
Stockerlplätze sind bei uns so schwer zu erreichen. Wo ich früher Dritter war, bin ich heute nur mehr Fünfzehnter. Es betreiben inzwischen schon so viele Nationen Biathlon hoch professionell. Du brauchst schon ein perfektes Rennen, um in die Top Ten zu kommen.

Was für Ziele nehmen Sie ins Visier?
Ich will in erster Linie den Leistungssport positiv abschließen. Aber ich weiß jetzt schon, dass ich mich in jedem zweiten Rennen wieder fragen werde: ,Wieso tu’ ich mir das alles an?‘

Tun Sie das wirklich?
Sie können mir glauben: Jeder Biathlet tut das. Wenn es so wehtut, dass du nur mehr schwarzsiehst, und du dich am liebsten nur mehr hinlegen würdest, weil alles so brennt im Körper. Der Mann mit dem Hammer kommt fast immer.

Wie lange wird er bei Ihnen noch vorbeischauen?
Nach den Olympischen Spielen in Sotschi ist Schluss. Endgültig. Es freut mich riesig, dass Hochfilzen die Weltmeisterschaft 2017 bekommen hat. Aber ich bin nicht der Hubert Raudaschl des Biathlonsports.

Kommentare