„Viele meinten, aus Thomas wird nichts mehr“

Die Eltern Christa und Gernot Diethart im Gespräch mit Ida Metzger.
Die Eltern des Vierschanzentournee-Siegers erzählen über den schönsten Moment ihres Lebens.

KURIER: Herr Diethart, haben Sie schon realisiert, dass Ihr Sohn innerhalb von 14 Tagen vom Nobody zum Star wurde?
Gernot Diethart:
Wir haben es noch immer nicht kapiert, was am letzten Wochenende passiert ist. Unser Thomas ist ein sehr guter Springer, aber durch gewisse Faktoren ist ihm der Durchbruch nie gelungen. Jetzt scheint ihm der Knopf aufgegangen zu sein und Thomas ist endlich dort, wo er immer hin wollte. Schon nach dem ersten Qualifikationsspringen sagte er zu mir: „Da is no vü mehr drinnen. Papa, i g‘schpier‘s“ (Ich spüre es). Aber mit einem Sieg rechnete keiner, da wurde für uns ein Wintermärchen wahr.

Ihr Sohn ist 21. Toni Innauer hat mit 22 Jahren seine Karriere beendet. Was waren die Gründe für den späten Durchbruch?
Gernot Diethart:
Es gab einige, die den Thomas belächelten und meinten: „Aus dem Jungen wird nichts mehr.“ Weil eben Morgenstern, Schlierenzauer und Goldberger sehr jung schon Weltklasse waren. Der Kopf muss beim Springen wirklich frei sein. Thomas hat erst kürzlich seine Lehre zum Industriekaufmann abgeschlossen. Er war nie ein guter Schüler, musste immer um die Noten kämpfen. Nach dem Lehrabschluss fielen viele Belastungen von ihm ab. Endlich konnte er sich nur aufs Springen fokussieren. Es war phänomenal, wie ruhig Thomas blieb. Ich habe ihn über die Leinwand am Balken beobachtet. Da gab es keine nervöse Atmung, in seinen Augen war Leere. Es saß so cool am Balken, wie wenn er beim Frühstückstisch sein Buttersemmerl essen würde. Das war sein Geheimnis.

Ihr Sohn möchte Ihnen nun einen Teil seines Preisgeldes (mehr als 40.000 Euro) als Dankeschön schenken. Werden Sie das Geld annehmen?
Christa Diethart:
Nein. Wenn Thomas weiterhin gut verdient, dann würden wir uns freuen, wenn er uns eine neue Küche schenkt, denn unsere bricht bald zusammen.

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Wie viel haben Sie in die Karriere Ihres Sohnes investiert?
Gernot Diethart:
Eine neue Ausrüstung kostet Minimum 2000 Euro. Das konnten wir uns anfangs nicht leisten. Die ersten Sprünge absolvierte Thomas mit gebrauchten und veralteten Sprungskiern, die Schuhe waren so zerfleddert, dass wir sie mit Isolierband zusammenpicken mussten. Wir kauften gebrauchte Sprunganzüge, die wir zu unserer Schneiderin gaben, um sie auf Thomas Größe zuschneidern zu lassen. Es ist unglaublich, wie teuer das Wachs ist. Eine kleine Dose Speedwachs kostet 100 Euro. Davon gibt es ein warmes, kaltes und ein mittleres Wachs. Davor muss der Ski aber noch 20- bis 25-mal mit einem Grundwachs präpariert werden. Ein kleiner Block Grundwachs kostet zwischen 35 und 70 Euro.

Wie haben Sie das finanziert?
Gernot Diethart:
Ich bin Polizist und meine Frau Wirtschaftshelferin bei der Hilfsorganisation „Rettet das Kind“. Wir mussten uns alles absparen. Es gab ein Familiensponsoring, wo die gesamte Familie einzahlte. Ich habe alle möglichen Firmen und das Land Niederösterreich angebettelt. Dann haben wir einen Kredit im Wert eines lässigen Sportwagens aufgenommen, denn sonst hätte Thomas nie nach Stams gehen können. Die Schule kostet im Monat 500 Euro. Wir konnten unsere Kinder nie verwöhnen, vielleicht war es deswegen kein Problem für Thomas, bei den Wettbewerben auf einer aufblasbaren Matratze unter der Schanze, im Auto, im Zelt oder später im Wohnwagen zu übernachten. Noch heute sagt er zu mir:„Papa, des war so a liabe Zeit.“

In einigen Zeitungsberichten werden 100.00 Euro kolportiert?
Gernot Diethart:
Ich möchte es bei dem Vergleich mit dem Sportwagen belassen. Über Geld spricht man nicht.

Gab es auch Momente, wo Ihr Sohn zweifelte, ob er den Durchbruch noch schaffen wird?
Christa Diethart:
Es war nie ein Thema für Thomas, das Skispringen aufzugeben. Zu mir hat er gesagt: „I kann ja nix anderes.“ Das Springen ist sein Leben, wenn Thomas aus Stams nach Hause kam, warf er seine Sachen ins Zimmer, ging aufs Trampolin im Garten springen und schlug seine Saltos. Er springt aus dem Stand zirka 1,60 m.

Wenn Sie in die Zukunft blicken, trauen Sie Ihrem Sohn noch mehr als den Vierschanzen-Tourneesieg zu?
Gernot Diethart:
Ich mache mir um Thomas’ Zukunft überhaupt keine Sorgen. Er hat einen Sieg errungen, von dem alle Skispringer träumen. Er kann noch alles schaffen. Aber selbst wenn es bei diesem Sieg bleiben sollte, wird ihm keiner böse sein. Denn jeder Skispringer weiß, wie schnell der Faden reißen kann oder eine Verletzung passiert und die Karriere ist zu Ende.

Apropos Verletzung: Sind Sie angesichts des schweren Sturzes von Thomas Morgenstern am Kulm froh, dass Ihr Sohn beim Skifliegen pausiert?
Christa Diethart:
Das sieht man wieder, dass eine Flugschanze einfach eine andere Dimension ist. Wenn man den furchtbaren Sturz von Thomas Morgenstern sieht, sind wir als Eltern natürlich froh, dass Thomas den Kulm auslässt. Wir halten Morgi natürlich die Daumen, dass alles gut ausgeht.

Was macht die Komplexität dieses Sportes aus? Nur Sprungkraft alleine reicht nicht, wie man am Beispiel Ihres Sohnes sieht.
Gernot Diethart:
Neben den körperlichen Voraussetzungen ist vor allem die Einstellung zum Sport wichtig. Man braucht viel Coolness. Der Skispringer hat für den Absprung nur eine Zehntelsekunde Zeit. Wenn man mit knapp 100 km/h die Schanze hinunterfährt, muss man komplett leer im Kopf sein. Der Absprung muss so automatisch wie die Atmung ablaufen. Es gibt ein Sprichwort: „Wenn du denkst, dann landest du.“ Denn dann ist der Sprung vorbei.

Wie entstand der Name „Didl“?
Gernot Diethart:
Das ist eine Familientradition. Auch ich war schon der Didl in der Schule. Einige wissen gar nicht, von wem wir sprechen, wenn wir über den Thomas erzählen, weil sie ihn nur als Didl kennen.

Nach dem sensationellen Sieg bei der Vierschanzentournee legte der 21-jährige Niederösterreicher eine Pause ein. Diethart hat die besten Sprungkraftwerte im Team. Bei ÖSV-Tests wuchtete er den Schwerpunkt seines 60 Kilogramm schweren Körpers 75 Zentimeter hoch – ein Sprung aus der Hocke und später mit durchgestreckten Beinen. Zieht er diese danach zum Körper, dann überspringt er laut Vater Gernot eine Hürde in der Höhe von 1,60 Metern.

„Aber Sprungkraft ist nicht alles“, sagt Österreichs Cheftrainer Alexander Pointner. Man müsse die Kraft in die richtige Richtung lenken, man müsse danach aerodynamisch gut arbeiten. Und vor allem müsse man im Kopf frei sein.

Daher ging Thomas Diethart am Kulm nicht an den Start. Am Samstag besuchte er aber die Skiflugschanze. Der Rummel war groß. Fans wollten Autogramme, Sponsoren seine Hand schütteln. „Die Stimmung ist ja jetzt schon Wahnsinn“, sagte Diethart zwei Stunden vor Beginn des Bewerbs. Den ersten Durchgang verfolgte er auf dem Trainerturm, den zweiten oben bei seinen Kollegen im Springerturm.

„Ich wäre gerne mitgesprungen. Aber ich glaube, dass es die richtige Entscheidung ist, nach dem Rummel eine Pause zu machen. Außerdem bin ich leicht verkühlt.“ Der Sturz von Morgenstern hat ihm nicht die Lust auf sein erstes Fliegen vermiest. Obwohl: „Ich habe ihn mir auf Video angeschaut, aber nicht ganz. Ich habe abgedreht. Das war richtig schiach.“

Seit Dienstag hat er die Ruhe genossen. Und die neue Aufmerksamkeit um seine Person. „Ich war zwar nur in der Apotheke. Aber auch dort hat man mich erkannt und ich durfte Autogramme geben.“ Auch mit dem Herrn Papa hat er länger telefoniert: „Wir haben noch einmal über alles geredet. Und er hat mir gesagt, dass er stolz auf mich ist.“ Am Mittwoch bricht Diethart mit seinen Kollegen nach Polen auf, wo er am Donnerstag in Wisla wieder im Einsatz ist.

„Viele meinten, aus Thomas wird nichts mehr“

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