Schlierenzauer: „Ich will mit einem Sieg aufhören“

Gregor Schlierenzauer (AUT) bei einer Siegesfeier in einem Lokal in Predazzo am Samstag, 02. März 2013.
Der beste Skispringer der Welt über sein Leben als Jungstar, über Geld, Ruhm und Egoismus im Spitzensport.

Falls es jemand noch nicht wissen sollte: Adler sind Wasservögel. „Selbstverständlich hüpfe ich im Sommer oft ins Schwimmbad“, meint Gregor Schlierenzauer, der König der Lüfte. Der beste Skispringer der Welt sitzt entspannt bei Cappuccino und Zitroneneis in der Outdoor-Lounge des Hangar 7 in Salzburg und denkt laut über seinen Lebenstraum nach: Olympiagold in Sotschi. „Ich genieße es, wenn es einmal etwas ruhiger ist und ich nicht ans Skispringen denke.“

KURIER: Seien Sie bitte ehrlich: Wie oft gelingt Ihnen das?
Inzwischen viel öfter als früher. Irgendwann ist mir klar geworden, dass ich nicht immer wie eine Maschine funktionieren kann. Ich habe gelernt, dass ich auch einmal abschalten muss. Es gibt jetzt genug Phasen, in denen ich einfach nur dahinlebe und das Leben genieße.

Wie sieht das aus, wenn Gregor Schlierenzauer einfach nur in den Tag hineinlebt?
Dann lasse ich mich treiben und schaue nicht auf die Uhr. Da kann es schon sein, dass ich mich bei einem Cappuccino versitze. Aber ich habe gemerkt: diese Auszeiten sind wichtig. Wenn du ständig nur ans Springen denkst, wirst du irgendwann verrückt.

Heißt das, Skispringen ist für Sie nicht mehr die wichtigste Nebensache der Welt?
Nein, nein: Skispringen ist nach wie vor die Nummer eins. Nur bin ich jetzt nicht mehr so verkrampft und verbissen wie als Junger. Aber mein Erfolgshunger ist immer noch riesig.

Obwohl Sie praktisch alles gewonnen haben, was es auf Schanzen zu gewinnen gibt?
Olympiagold fehlt mir halt schon noch.

Schlierenzauer: „Ich will mit einem Sieg aufhören“
APA11633620 - 25022013 - PREDAZZO - ITALIEN: Gregor Schlierenzauer (AUT) am Montag, 25. Februar 2013, in Aktion beim Trainingssprung auf der Großschanze bei der Nordischen Ski- Weltmeisterschaft in Val di Fiemme. APA-FOTO: EXPA/JÜRGEN FEICHTER
Braucht es denn den Olympiasieg für die perfekte Karriere?
Ich denke: Ja. Olympiagold ist mit das Größte, was ein Sportler erreichen kann. Andererseits reden wir da auch von Tagesform, von Windglück – eine Goldmedaille kann auch einmal passieren, ein Gesamtweltcupsieg eher weniger. Darum sage ich auch: Ein Olympiasieger ist der König, mit den meisten Weltcupsiegen bist du aber automatisch der Kaiser. Aber natürlich ...

aber natürlich ...
aber natürlich: jetzt wo ich an dem Punkt angelangt bin, dass ich die Tournee gewonnen habe und die meisten Weltcupsiege habe, da steht Olympiagold für mich über allem. Das ist eine richtige Challenge. Sotschi ist mein Antrieb. Wobei die Welt für mich ganz bestimmt nicht untergeht, wenn es nicht klappen sollte. Aber mit vollen Hosen ist jetzt auch leichter stinken als früher.

War das Leben als Jungstar denn viel komplizierter?
Am Anfang denkst du als Junger nicht viel nach. Dann kommt schnell der Moment, wo dir alles zu viel wird.

Zum Beispiel?
Ich habe mich schwer getan, in der Öffentlichkeit zu stehen. Es war total komisch, Artikel über mich in der Zeitung zu lesen. Oder noch schlimmer: Als ich das erste Mal meine Stimme im Fernsehen gehört habe. Da habe ich fast eine Krise bekommen. Und dann der ständige Rummel, der Stress, die Erwartungshaltung, die Schulterklopfer und das ständige In-der-Öffentlichkeit-Stehen. Aber das habe ich mir ja selbst eingebrockt.

Dafür haben Sie in jungen Jahren schon sehr viel Geld verdient.
Das ist immer relativ. Für einen 23-jährigen Tiroler Buam ist es natürlich sensationell. Aber das, was ich bisher an Preisgeldern verdient habe, verdient ein Skifahrer in einem Jahr. Von Fußballern rede ich gar nicht.

Welchen Luxus gönnt sich Gregor Schlierenzauer?
Ich bin da eher ein bodenständiger Typ. Natürlich ist es schön, wenn man sich keine finanziellen Sorgen machen muss, aber ich bin keiner, der mit dem Geld um sich wirft. Ich brauch’ kein Mega-Auto, aber wenn mir eine Jeans gefällt und sie 120 Euro kostet, dann kauf ich sie mir. Wenn sie 250 kostet, kaufe ich sie mir nicht, auch wenn ich es mir leisten könnte. Weil da stimmen die Relationen nicht.

Apropos Relationen: Eigentlich erstaunlich, dass jemand mit Ihrer Erfolgsstory noch nie zu Österreichs Sportler des Jahres gewählt wurde.
Darüber will ich mich inzwischen nicht mehr ärgern. Das ist doch eine politische Sache. Ich hab’ damals die Welt nicht verstanden, als ich nach meiner Rekordsaison 2008/’09 nicht gewonnen habe. Aber mittlerweile ist mir dieser Titel wurscht: Es gibt wichtigeres im Leben.

Spricht so der Einzelkämpfer, der stur seinen Weg geht?
Ein gewisser Egoismus ist gesund und den braucht man auch, um ganz erfolgreich zu sein. Wenn man immer nur den Sonnyboy spielt und immer nur der nette Bua ist, der es jedem recht machen will, dann geht dir irgendwie die Energie aus. Ich habe gelernt: Das wichtigste ist, dass du ein Ziel vor Augen hast und dass du diesen Weg strikt durchziehst.

Auch gegen Widerstände?
Auch gegen Widerstände. Mir ist bewusst, dass das jetzt vielleicht manchen nicht passt. Und vielleicht sagt dann auch wer: ’Der ist egoistisch und ein eingebildeter Hund!’, Aber der Erfolg gibt mir schlussendlich recht.

Denken Sie trotz Ihrer Jugend und trotz aller Erfolge und Rekorde schon an die Karriere danach nach?
Ich mach mir schon meine Gedanken, aber die sind noch weit im Hinterkopf. Ich glaube, dass man als Sportler spürt, wenn es genug ist. Mit 35 werde ich sicher nicht mehr hüpfen. Ich will mit einem Sieg aufhören. Das ist eines meiner größten Ziele. Es heißt ja: Man soll aufhören wenn es am schönsten ist.

Nach einem Olympiasieg zum Beispiel?
Das weiß ich heute noch nicht. Vielleicht bin ich in Sotschi ja in der Stimmung, dass ich dann den Hut drauf hau’.

Wenn Gregor Schlierenzauer über seine derzeitige Sprungform spricht, dann muss sich das für seine Konkurrenz wie eine Drohung anhören. „Man darf es fast nicht laut sagen: Aber ich war im Sommer selten so gut drauf“, erzählt der 23-Jährige, der sich derzeit mit seinen ÖSV-Adlerkollegen in Lillehammer auf den Olympiawinter vorbereitet. Einen Winter, in dem manches neu sein wird, aber auch einige alte Bekannte wieder am Schanzentisch auftauchen.

Janne Ahonen Der Pensionsschock muss für den Finnen enorm gewesen sein. Bereits zum zweiten Mal wurde Ahonen im Adler-Ruhestand wieder flügge, nun ist er 36 – und schon wieder die finnische Nummer 1. Der sechste Platz beim Sommer-Grandprix in Einsiedeln war nur ein Appetizer, Ahonens Erfolgshunger ist enorm. Der Oldie hat Olympia-Gold im Visier.

Andreas Widhölzl Der Tiroler ist nur wenige Monate älter als Ahonen, aber der ehemalige Tourneesieger hat längst die Seiten gewechselt. Seit dieser Saison verstärkt Andreas Widhölzl als Materialexperte das Betreuerteam von ÖSV-Chefcoach Alexander Pointner.

Zusätzlicher Privatcoach Gregor Schlierenzauer hat sein persönliches Trainerteam ebenfalls erweitert. Der ehemalige ÖSV-Damensprungchef Gerald Daringer steht dem Weltcupgesamtsieger mit Rat und Tat zur Seite.

Weltcupauftakt Jahrelang hoben die Springer zum Saisonstart im finnischen Kuusamo ab. Bei Wind und Nebel und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Für den Olympiawinter heißt es nun Schanze frei in Klingenthal (23./24. November). „Wir wollen mit einer Veranstaltung mit vielen Zuschauern in die Saison starten“, erklärt FIS-Direktor Walter Hofer.

Olympia ohne Generalprobe Die Adler betreten bei den Winterspielen in Sotschi Neuland. Auf dem großen Bakken wurde noch nie im Weltcup gesprungen.

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