Ex-ÖSV-Star Raich: "Es wird immer alles gleich so dramatisiert"

Ein lächelnder Skifahrer mit Skiern und Stöcken vor einem Imbissstand.
Der dreifache Weltmeister erzählt, wie die 17-jährige Shiffrin schneller war als er. Er beurteilt die Lage der Ski-Nation und findet, dass Sportler Social Media nicht so wichtig nehmen sollten.

Benjamin Raich stand bei Weltmeisterschaften zehnmal auf dem Stockerl. Allein 2005 in Bormio gewann er fünf Medaillen. 2015 beendete der dreifache Familienvater seine Karriere.

KURIER: Denken Sie eigentlich noch wie ein Rennläufer?

Benjamin Raich: Früher hatte ich noch öfter Träume, in denen ich Fahrer war. Das hat sich gelegt. Wenn ich aber vor einem Rennen einen Weltcuphang runterrutsche, dann kommen Erinnerungen daher und ich überlege mir, wie ich diese und jene Passage fahren würde. Und ich denke mir dann auch, wie gut sich das anfühlen würde, da jetzt schnell hinunterzufahren, so wie früher. Nur: Ich könnte es natürlich heute nicht mehr so. Ich bin zwar immer noch ein ganz ein guter Skifahrer, aber ich könnte nicht mehr so fahren, wie ich wollte. Das würde nicht funktionieren.

Werbung für die Ski-WM 2023 in Courchevel und Méribel.

Was glauben Sie: Wie viel Zeit würden Sie heute auf die Besten verlieren?

Ziemlich viel, fürchte ich. Es kommt natürlich auch auf die Verhältnisse an. Wenn es richtig eisig ist, dann würde ich es schon allein körperlich nicht mehr derpacken. Ich wüsste zwar vom Kopf her, wie es geht, aber mein Rücken würde sofort Probleme machen. Und dann hätte ich keine Stabilität und würde einfach zusammenklappen. Im Slalom würde ich sehr viel Zeit verlieren, im Riesentorlauf wäre es etwas leichter. So fünf, sieben Sekunden wäre ich wahrscheinlich schon hinten.

Sie blicken als ORF-Experte auf den Skisport. Wer fasziniert Sie im Augenblick?

Mikaela Shiffrin. Das ist jetzt aber nicht schwer, die fasziniert wahrscheinlich jeden. Ich war von Mikaela Shiffrin schon begeistert, als ich sie das erste Mal Ski fahren gesehen habe.

Wann war das?

Das muss im Herbst 2012 gewesen sein. Marcel Hirscher und ich haben zusammen in Copper Mountain Riesentorlauf trainiert. Wir beide waren damals richtig voll im Saft und eigentlich die Topfahrer im Herren-Weltcup. Und sie war 17 und ein junges Mädel.

Was hat Sie damals in Copper Mountain an Shiffrin so beeindruckt?

Wir sind einen Riesentorlauf gefahren mit ungefähr einer Minute Laufzeit, also schon anspruchsvoll. Mikaela Shiffrin war auf einer Minute Laufzeit gleich schnell wie wir. Sie war zwei Zehntel hinter Hirscher und zwei Zehntel vor mir.

Was haben Sie sich gedacht?

Zur Verteidigung muss ich sagen: Wir hatten damals gerade die Umstellung auf die neuen Riesentorlauf-Ski, aber trotzdem. Ich habe mit meinem Bruder Shiffrins Läufe im Video angesehen und mir gedacht: Genau so muss man Ski fahren. Man braucht sich gar keinen anderen Läufer anschauen. Shiffrin hat die beste Technik, deshalb hat sie jetzt 85 Rennen gewonnen.

Und in jeder Disziplin zumindest einmal.

Man hört ja oft, dass man heute als Allrounder keine Chance hat. Dass es nicht mehr gehen würde, mehrere Disziplinen zu fahren. Shiffrin ist das beste Beispiel, dass es sehr wohl funktioniert. Marco Odermatt zeigt es ja auch, dass man in mehreren Disziplinen erfolgreich sein kann. Oder denken wir an Marco Schwarz, der schafft das auch. Ich bin der Meinung, dass es sehr wohl möglich ist, drei Disziplinen unter einen Hut zu bringen. Das bringt ja auch einige Vorteile mit sich: Einerseits hast du einen guten Rennrhythmus, andererseits befruchten sich die verschiedenen Disziplinen gegenseitig. Leider ist das etwas verloren gegangen.

Zwei Skirennläufer mit Goldmedaillen und Kristallkugeln beim Ski Alpin Weltcup-Finale.

Themenwechsel: Auf das österreichische Ski-Team ist vor der WM viel Kritik eingeprasselt. Wie beurteilen Sie die Lage der Skination?

Ich bin jetzt keiner, der etwas schönreden möchte, aber mich stört’s, wenn es immer gleich eine pauschale Beurteilung gibt. Und es heißt: Der ÖSV. Es wird immer alles gleich so dramatisiert. Man sollte die Diskussionen öfter auf eine sachliche Ebene bringen. Wobei: Dass die mediale Berichterstattung in den letzten Wochen so war, wie sie war, daran ist der Verband selbst auch nicht ganz unschuldig. Da ist von gewissen Trainern und Funktionären auch nicht immer super kommuniziert worden. Wichtig ist, dass man sich vor die Athleten stellt und eine Ruhe reinbringt.

Hat es ein Rennläufer heute grundsätzlich schwieriger als zu Ihrer aktiven Zeit?

Man hört immer, dass früher alles leichter war. Das war zu meiner Zeit schon so. Und in zehn Jahren wird man das auch sagen. Jeder muss sich den aktuellen Gegebenheiten anpassen und lernen, damit umzugehen. Ich denke da zum Beispiel an die sozialen Medien.

In denen gerade in diesem Winter nicht mit Kritik gespart wurde.

Es ist sicher nicht einfach, wenn man sich das zu sehr zu Herzen nimmt, was da teilweise geschrieben und kritisiert wird. Vielleicht wäre es manchmal gut, wenn sich die Läufer auf das Wichtigste konzentrieren, das ist das Rennfahren. Vielleicht schadet es nicht, wenn man sich weniger mit den sozialen Medien beschäftigt. Mir ist schon klar, dass man an diesem Thema nicht ganz vorbei kommt. Aber ein Sebastian Vettel hat zum Beispiel ganz darauf verzichtet. Das finde ich auch schon wieder cool. Denn was bringen einem am Ende die Likes? Gar nichts.

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