"Durch Schumachers Unfall kommt viel wieder hoch"

Hans Grugger wenige Wochen nach seinem Sturz 2011.
Hans Grugger hat das geschafft, was Michael Schumacher noch vor sich hat.

Hans Grugger lag nach einem schweren Sturz auf der Kitzbüheler Streif 2011 zwei Wochen im Koma. Der Abfahrer aus dem Gasteinertal musste nach seinem schweren Schädelhirntrauma in der monatelangen Rehabilitation vieles wieder neu erlernen: Vom Gehen bis zu den Namen für die einfachsten Dinge des Alltags. Heute studiert der 32-Jährige Sport und Geografie auf Lehramt.

KURIER: Herr Grugger, wie ergeht es jemandem wie Ihnen, wenn Sie sehen, was mit Michael Schumacher passiert ist?

Hans Grugger: Mir geht so was sehr nahe. In dieser Hinsicht war ich aber immer schon ein sensibler Mensch. Wie der Daniel Albrecht in Kitzbühel so schwer gestürzt ist (Anm. Der Schweizer lag 2009 ebenfalls wochenlang im Koma) habe ich mich schon gefragt: ’Ist es das wirklich wert, das ganze Risiko einzugehen.’ Aber du fährst dann halt doch wieder runter und verdrängst solche Gedanken. Musst du als Rennläufer wahrscheinlich auch. Durch den Unfall von Michael Schumacher kommt bei mir wieder sehr viel hoch.

Zum Beispiel?

Da wird einem wieder bewusst, was für ein Privileg es eigentlich ist, dass ich heute so dastehen kann und ein normales Leben führen darf. Ich hatte das Glück, dass bei mir damals die Rettungskette und die Versorgung in den ersten Stunden perfekt funktioniert hat. Sonst würde ich jetzt nicht mit Ihnen reden. Ich bin den Flugrettern, den Ärzten und überhaupt allen, die mir geholfen haben, extrem dankbar.

Haben Sie denn noch irgendwelche Nachwehen und Probleme?

Im Grunde geht es mir sogar sehr gut. Im rechten Bein ist das Gefühl noch nicht so, wie es vorher war. Aber da habe ich mich gut angepasst und kann eigentlich alles tun. Womit ich aber noch immer ein bisschen zu kämpfen habe: Meine Konzentrationsfähigkeit und meine Aufmerksamkeit sind teilweise noch ein bisschen eingeschränkt.

Wie muss man sich das genau vorstellen?

Diese Probleme habe ich vor allem dann, wenn ich in einer größeren Gesprächsrunde bin. Wenn zum Beispiel zehn Leute rund um einen Tisch sitzen und durcheinanderreden, und dann vielleicht auch noch Hintergrundgeräusche sind, wie in einem Lokal – da findet sich dann mein Hirn nicht mehr zurecht. Ab einem gewissen Punkt nehme ich dann nicht mehr alles auf, was sie rund um mich sagen.

Und was machen Sie dann?

Ich frag’ halt noch einmal nach. Aber bitte nicht falsch verstehen: Das ist jetzt wirklich Jammern auf sehr hohem Niveau. Die Ärzte haben außerdem gemeint, dieser Prozess würde drei bis fünf Jahre dauern, bis sich alles im Gehirn wieder erholt hat.

Apropos Prozess: Wie schwer bzw. leicht ist Ihnen damals die Therapie gefallen?

Ganz unterschiedlich. Es war manchmal hart, wenn du siehst, dass nur langsam was weitergeht. Und dann gab es aber auch wieder extreme Glücksgefühle, wenn du wieder etwas geschafft hast. Ich musste ja vieles neu erlernen. Auch das Gehen.

Wie ist es Ihnen dabei ergangen?

"Durch Schumachers Unfall kommt viel wieder hoch"
APA4528324 - 07072011 - BAD HOFGASTEIN - ÖSTERREICH: Die Skifahrer Hans Grugger (r.) und Georg Streitberger (l.) bei einer Koordinationsübung anl. eines Fototermins des ÖSV am Donnerstag, 7. Juli 2011. in der Alpentherme Gastein. APA-FOTO: BARBARA GINDL
Es war extrem hart und es hat viel Kraft gekostet. Aber ich kann mich noch gut erinnern: Wie ich die ersten fünf Schritte alleine gemacht habe, mehr sind nicht gegangen, weil ich danach völlig fertig war, war das ein wunderbare Genugtuung und ein Ansporn. Dieser Moment hat sich viel, viel besser angefühlt als meine Weltcupsiege. In solchen Momenten wird dir bewusst: Das Skifahren oder der Spitzensport sind von der Wichtigkeit her sehr weit unten anzusiedeln.

Die körperliche Therapie ist das eine, aber wie hat sich Ihr Gehirn wieder vom schweren Trauma erholt?

Das Hirntraining und die Ergotherapie waren für mich das wirklich zähe. Das Trainieren des Körpers war ich ja als Spitzensportler gewohnt, aber beim Kopf hatte ich oft das Gefühl, dass überhaupt nichts weitergeht. Da war ich bei manchen Übungen schon auch oft am Verzweifeln, ob das überhaupt alles noch einmal was wird.

Bei welchen Übungen zum Beispiel?

Das Memory spielen war für mich zum Beispiel total frustrierend. Am Anfang habe ich sicher eine halbe Stunde gebraucht, bis ich mir endlich das erste Paar gemerkt habe. Das Gehirntraining war teilweise eine echte Qual.

Tut sich ein Spitzensportler wie Sie oder auch Michael Schumacher nicht leichter?

Ich glaube schon. Als Sportler kennst du eben viele Dinge aus dem Trainingsalltag, das Trainieren des Körper ist so was wie Routine. Ein Mann wie Michael Schumacher weiß von früher, was er im Training zu tun. Der kennt das aus seiner Zeit als Rennfahrer. Da tut man sich als ehemaliger Sportler sicher etwas leichter.

Und wie ist es mit der Verarbeitung des Unfalls?

Ich hatte ein wenig Angst davor, was passieren würde, wenn ich das erste Mal meinen Sturz auf Video anschaue. Das Schwierige daran war, die Starttaste zu drücken, weil ich nicht gewusst habe, was die Bilder in mir auslösen. Das Video selbst war dann überhaupt kein Problem: Ich habe keinen Zusammenhang zu mir hergestellt. Ich weiß zwar, dass ich es bin, der da stürzt und liegt, aber das Einzige, was ich sehe, ist, dass derjenige heute gesund ist und ein normales Leben führen kann.

Hans Grugger (*13.12. 1981) feierte in seiner Karriere vier Weltcupsiege (je zwei in Abfahrt und Super G). Der Bad Hofgasteiner beendete nach dem Horrorsturz von Kitzbühel 2011 die Karriere. Heute studiert Grugger Geografie und Sport auf Lehramt.

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