Diethart: "Du warst so gut, jetzt bist du irgendwo"

Thomas Diethart injured in training crash
2014 gewann er als Nobody die Tournee. Von Wolke sieben ging’s im freien Fall auf den Boden der Realität.

Am drittletzten Tag seines persönlichen Seuchenjahres 2016 durfte Thomas Diethart endlich wieder einmal Höhenluft schnuppern. Er stand auf dem Siegespodest, er hatte fast die gesamte Konkurrenz überflügelt und sich so präsentiert, wie ihn die Fans in Erinnerung haben. Zugegeben, es war bloß ein zweiter Platz beim Austria Cup in Villach, der vierthöchsten Leistungsstufe im Skispringen, und der 24-Jährige sprang da Seite an Seite mit heimischen Teenagern – aber in der Situation, in der sich der Niederösterreicher gerade befindet, ist er für jedes Erfolgserlebnis dankbar. Und mag es noch so klein sein.

Flachlandadler

Thomas Diethart war einmal ein gefeierter Held. Als er vor drei Jahren als Nobody und Senkrechtstarter mit Tagessiegen beim Neujahrsspringen und in Bischofshofen sensationell die Vierschanzentournee gewann, flogen ihm die Herzen zu. TV-Stationen und Zeitungen entsandten ihre Reporter ins Tullnerfeld, um im beschaulichen Michelhausen dem Erfolgsgeheimnis des "Flachland-Adlers" auf die Spur zu kommen. Thomas Diethart wurde zum Aufsteiger des Jahres gewählt, mit Lob und Preisen überhäuft, und in seiner Heimatgemeinde trägt seither der Turnsaal der Volksschule seinen Namen.

Drei Jahre nach dem Triumph in Garmisch ist der 24-Jährige in der Versenkung verschwunden und beinahe in Vergessenheit geraten. Auf seiner Homepage stammt der aktuellste Gästebucheintrag vom Jänner 2016, die letzten Weltcuppunkte hat Thomas Diethart 2015 gesammelt, seinen Spind und Platz im Heeressportzentrum musste er räumen. Nach zwei schweren Stürzen im vergangenen Jahr in Brotterode und in Stams kämpft der Tourneesieger von 2014 um die Sicherheit, das Selbstvertrauen und um die Rückkehr zu alter Stärke.

KURIER: Wie sehr schmerzt es, dass die Vierschanzentournee ohne Sie stattfindet?

Thomas Diethart: Als ich letztes Jahr nicht dabei sein durfte, war es für mich definitiv viel schlimmer. Damals kam es unerwartet, ich hatte fest damit gerechnet, dass ich zumindest im nationalen Kontingent berücksichtigt werden würde. Damals war ich richtig enttäuscht.

Und wie ist es jetzt um Ihre Gefühlswelt bestellt?

Heuer macht’s mir eigentlich gar nichts aus, weil ich mir die Tournee nicht zum Ziel gesetzt habe. Das wäre in meiner Situation auch völlig unrealistisch. Ich bin schon glücklich darüber, dass ich heute endlich wieder ohne Probleme springen kann und alles wieder stabiler wird.

Wo lag denn das Problem?

Mir sind im letzten Jahr zwei schwere Stürze passiert. Wenn man eine solche Brez’n reißt, dann wäre das grundsätzlich noch nicht wirklich schlimm. Aber wenn du, wie ich in Stams, ein zweites Mal schwer stürzt, dann kommt automatisch die Verunsicherung. In den Monaten danach hat das Skispringen wenig Spaß gemacht. Es war ein einziger Kampf. Du beginnst zu grübeln und stellst dir permanent die Fragen: Warum ist das passiert? Was hat nicht gepasst? Liegt der Fehler etwa bei mir?

Und was war der Grund für Ihre Stürze?

Wir sind bei der Analyse draufgekommen, dass sich bei mir über die Zeit ein kleiner Skifehler eingeschlichen hatte. Der war hauptverantwortlich für den Sturz. Um diesen Fehler wegzukriegen, bin ich im Sommer nur auf kleinen Schanzen gesprungen. Ehrlich gesagt hätte mir für die große Schanze auch die Sicherheit gefehlt. Ich wollte dort gar nicht rauf.

Ist das jetzt anders?

Heute bin ich so weit, dass ich grundsätzlich weiß, dass ich da wieder runterkomme. Selbst wenn es windig ist. Wenn du dann oben stehst, ist das natürlich leichter gesagt als getan. Es braucht einfach seine Zeit, bis das Vertrauen wieder da ist. Und die Zeit muss ich mir auch nehmen.

Sie hören sich erstaunlich gelassen an.

Mir bleibt ja nichts anderes übrig. Alles andere würde auch keinen Sinn ergeben. Ich muss mich mit dieser Situation nun einmal abfinden. Klar wäre ich jetzt gerne bei der Tournee, aber ich habe dort nichts verloren und würde mir wahrscheinlich dabei auch nichts Gutes tun.

Wie schwer fällt es einem Sportler, der einmal Weltklasse war, wenn er plötzlich nur mehr Zuseher ist und in der dritten, vierten Kategorie springt?

Mir wäre es auch lieber gewesen, wenn die Karriere anders verlaufen wäre. Wenn man ehrlich ist, plagen mich die Probleme ja schon länger: Im Winter nach dem Tourneesieg war ich auch schon nicht mehr ganz vorne dabei. In dem Sinn habe ich mich schon ein wenig damit abgefunden. Eines können Sie mir glauben: Ich selbst habe mir wahrscheinlich am öftesten die Frage gestellt, was ich damals anders gemacht habe.

Diethart: "Du warst so gut, jetzt bist du irgendwo"
Thomas Diethart, Michelhausen, Skispringen
Was war denn damals anders?

Wenn ich meine Sprünge von damals mit denen von heute vergleiche, dann sieht man im Prinzip nur kleine Unterschiede. Im Skispringen haben Kleinigkeiten halt leider große Auswirkungen. Das Wichtigste war, dass ich damals den Kopf völlig ausgeschaltet hatte. Ich war total frei, bin einfach locker drauflos gesprungen. Das ist halt jetzt nicht mehr der Fall. Und eines ist auch klar: Je öfter man die Sachen zerklaubt, je mehr man nachdenkt und sich die Frage nach dem Warum stellt, desto schwieriger wird es. Da kommst du auf keinen grünen Zweig und findest auch keine passenden Antworten. Es geht sicher leichter, wenn man sich nicht so reinsteigert. Deshalb habe ich für mich auch einen anderen Zugang gewählt.

Nämlich?

Ich habe mit der Vergangenheit abgeschlossen und alles hinter mir gelassen. Man kann sagen, dass ich die Karriere wieder von null angefangen habe. Anfangen musste. Ich sehe das Ganze als Neustart. Schauen wir, was diesmal herauskommt.

Ist es für Sie ein kleiner Trost, dass praktisch jeder Skispringer schon einmal in ein Formtief geschlittert ist?

Ich bin nicht der Erste, dem das passiert, und sicher auch nicht der Letzte. Im Skispringen kann’s extrem schnell bergauf gehen, wie man bei mir gesehen hat. Umgekehrt genauso. Das ist irgendwie auch meine Hoffnung: Ich weiß, wenn mein Vertrauen wieder zu hundert Prozent da ist, wenn alles funktioniert, dann kann es wieder schnell gehen. Es hat ja schon einmal funktioniert. Warum soll’s nicht ein zweites Mal klappen?

Welche konkreten Ziele verfolgen Sie denn?

Das Wichtigste ist, dass ich mich langsam herantaste und wieder von dem überzeugt bin, was ich mache. Das mittelfristige Ziel sollte es sein, dass ich wieder beim Continental Cup dabei bin. Über alles andere mache ich mir im Moment keine Gedanken. Der Weltcup ist im Moment nur ein Fernziel, genauso wie mein erster Flug über 200 Meter, der fehlt mir nämlich auch noch.

Ist es denn ein Vorteil, dass Sie schon einmal zur Weltklasse gezählt haben, oder vielleicht doch eher eine Belastung?Ich sehe es eindeutig als Vorteil. Ich habe schon einmal Weltcupspringen gewonnen. Das zu wissen ist sicher eine Hilfe und besser, als wenn man sich selbst immerzu fragt, ob man wirklich das Zeug hat, jemals ein Springen gewinnen zu können.

Andererseits ist bei einem früheren Tourneesieger auch die Erwartungshaltung der Fans automatisch immer größer.

Natürlich gibt’s diesen Druck von außen. Die Leute kommen zu mir und sagen: ,Hey, das gibt’s ja nicht. Du warst so gut, und jetzt bist du irgendwo.‘ Wenn du solche Sachen hörst, ist das natürlich auch nicht so einfach. Am schwierigsten wird es aber dann, wenn du selbst zu zweifeln anfängst. Aber diese Zeit ist bei mir Gott sei Dank vorbei.

Kommentare